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"Historischer Tag für Färöer" EM-Debütant zelebriert den völligen Wahnsinn

Eskalation auf der Platte, Eskalation auf der Tribüne.

Eskalation auf der Platte, Eskalation auf der Tribüne.

(Foto: REUTERS)

Ekstase, Jubelsturm - und dazu eine kleine Cola. Die Färöer sorgen bei der Handball-EM für die große Sensation und ringen dem Mitfavoriten Norwegen ein Unentschieden ab. Tausende mitgereiste, ohnehin völlig euphorische Fans feiern eine Riesenparty. Das historische Spiel lässt alle Dämme brechen.

Trainer Peter Bredsdorff-Larsen hatte für den Abend noch einen Plan: Seine vielen Nachrichten checken, innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem Spiel kamen 80, und - mit Augenzwinkern - eine Cola mit seinem Team trinken. Als Belohnung für den Sensationserfolg seines Teams von den Färöern - Mitfavorit Norwegen hat es ein 26:26-Unentschieden abgerungen. Ein leicht ungläubiges Lachen ziert sein Gesicht auf der Pressekonferenz nach dem Spiel in Berlin. "Das ist ein historischer Tag für die Färöer. Es war schon großartig, bei dem Turnier dabei zu sein, aber das schlägt es."

Für den EM-Debütanten, der sich das erste Mal überhaupt für ein großes Turnier qualifiziert hat, ist der Punktgewinn gegen den skandinavischen Nachbarn, der ein Mitfavorit auf den EM-Titel ist, wahrlich eine Sensation. Eine, die wahnsinnige Bilder aus der Mercedes-Benz-Arena liefert. Mehr als 5000 mitgereiste Fans auf der Tribüne eskalieren völlig. Die Party tobt schon vor Anpfiff, sie steigert sich mit dem knappen Spielverlauf, bei dem die Färinger die Norweger nie wegziehen lassen. Doch dass noch eine Steigerung der Lautstärke möglich ist, beweisen sie nach Abpfiff. Die ausgelassenen Gesänge sind während der Pressekonferenz der Trainer bestens zu hören.

Als wären zehn Millionen Deutsche unterwegs

Gerade einmal knapp 54.000 Einwohner hat die Inselgruppe, bis zu 7000 von ihnen sind derzeit in Berlin. Sie wollen sich die erste Teilnahme ihrer Handballer an einem großen Turnier nicht entgehen lassen. Zum Vergleich: Das ist, als würden etwa zehn Millionen Deutsche zu einer Veranstaltung an den gleichen Ort im Ausland reisen. Und die Färinger sind gut zu erkennen, nicht nur an der Lautstärke. Sie tragen fast alle das weiß-blaue Nationaltrikot, haben große Blockfahnen dabei, kleine Fahnen zum Schwenken, sind in Landesfarben geschminkt. Der Hype ist Wirklichkeit, die Spieler können sich fühlen wie Popstars.

"Ich freue mich so sehr für die gesamten Färöer-Inseln. Wir sind hier, um unseren Teil zu einer großen Handball-Party beizutragen", sagte Bredsdorff-Larsen schon vor dem Spiel. Und nun sind sie eine der Hauptfiguren der Party. Der Coach erzählt auf der Pressekonferenz vom Hype auf der Inselgruppe, die ein autonomer Bestandteil des Königreichs Dänemark ist. Es gebe regelrecht das Phänomen "Fear of missing out", also "das unbehagliche Gefühl, dass man spannende Events verpassen könnte, an denen andere Leute teilnehmen, oft hervorgerufen durch Beiträge auf Social-Media-Kanälen", wie es das Cambridge Dictionary beschreibt. Kein Wunder, bei den Bildern, die die mitgereisten Fans liefern. Sogar Norwegens Spielmacher Christian O'Sullivan vom SC Magdeburg sagt hinterher laut handball-world.news: "Das war wirklich top. Es hat Spaß gemacht, hier zu spielen. Egal, ob die Fans für uns oder den Gegner waren, das war einfach geil. Das wollen wir im Handball doch haben."

Mit Kampf und Glück in Schlusssekunden

"Die Färöer haben ein eindrucksvolles Match geliefert. Ihr habt es uns echt schwer gemacht, wir waren vorbereitet, aber das war stark", sagt Norwegens Trainer Jonas Liberg Wille zu seinem Kollegen. "In den letzten Minuten haben wir uns einen Vorsprung verschafft, aber dann gab es das Finish, das sehr hart für uns ist." Gemeint sind die letzten drei Minuten der Partie. Alexandre Christoffersen Blonz macht das 26:23, Norwegen scheint die Partie nach einem stets engen, ausgeglichenen Verlauf für sich entschieden zu haben. Doch ab dann treffen nur noch die Färinger. "Wir dachten schon, wir hätten es vergeben, aber dann war das Glück auch auf unserer Seite", so Bredsdorff-Larsen.

Der Underdog kommt 23 Sekunden vor Schluss zum Anschlusstreffer, Roi Berg Hansen trifft nach einer Parade von Torhüter Pauli Jacobsen zum 25:26. Norwegens letzte Auszeit soll Ruhe ins Spiel bringen - doch Wille scheitert mit diesem Plan. Elf Sekunden stehen nur noch auf der Uhr, aber Zeit ist bekanntlich relativ - und die Uhr beim Handball wird bei den meisten Spielunterbrechungen angehalten. Die Färinger drücken Norwegen mit einer offensiven Deckung in die eigene Hälfte und dann gelingt Elias Ellefsen a Skipagotu der Ball-Diebstahl. Der Rückraumspieler, der seit dieser Saison für den THW Kiel in der Bundesliga spielt, läuft sofort in Richtung norwegisches Tor und wird ausgerechnet von seinem Bundesliga-Teamkollegen Harald Reinkind gestoppt. Allerdings mit einem Foul, die Schiedsrichter entscheiden folgerichtig: Zeitstrafe für Reinkind, Siebenmeter für a Skipagotu.

Die Ekstase aus fast zwei Stunden Party auf den Rängen kumuliert in einem eins gegen eins: a Skipagotu gegen Torhüter Torbjörn Bergerud. Der Färinger verwandelt, die letzten drei Sekunden des Spiels gehen im Jubel, Springen und Tanzen seiner Teamkollegen auf dem Feld unter. a Skipagotu sorgt für den ersten Punktgewinn in der Geschichte der Färöer. "Ein bisschen nervös war ich schon", sagt der Mann des Spiels anschließend über den Siebenmeter, das finale Nervenduell. Es hat ihn nicht vom historischen Treffer abgehalten, der seine Landsleute glücklich macht. "Ich fühle mich großartig, es ist ein wahr gewordener Traum zu gewinnen - ich meine nicht zu gewinnen, aber es ist ein Sieg für uns, einen Punkt gegen Norwegen zu holen, also ist es ein großartiger Tag für die Färöer und unseren Handball."

"Unsere Fans haben die EM bereits gewonnen"

Hakun West av Teigum, der bei den Füchsen Berlin unter Vertrag ist, hatte schon nach dem Auftakt gegen Slowenien, der knapp mit 29:32 verloren ging, gesagt: "5000 Leute aus der Heimat hier zu haben, ist unglaublich. Normalerweise spielen wir vor 1500 zu Hause, jetzt hat sich das verdreifacht." Laut Dyn wird auf den Färöern derzeit eine Halle gebaut, in der 3600 Zuschauer Platz finden sollen. Nun, da werden künftig viele EM-Reisenden draußen bleiben müssen.

Die Färöer ringen dem großen Favoriten Norwegen das Unentschieden mit einer kämpferischen Defensive, einem großartig aufgelegten Torhüter Nicholas Satchwell, der zeitweise bei einer Fangquote von 53 Prozent steht, und einer großen Portion Zusammenhalt ab. Dabei ist das Team ausgesprochen jung, acht Spieler sind im neuen Jahrtausend geboren, a Skipagotu und av Teigum etwa sind jeweils erst 21 Jahre jung.

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Handball, das ist bei den Färöern nicht nur bildlich gesprochen Familiensache. Elias Ellefsen a Skipagotu hat mit Roi Ellefsen a Skipagotu seinen Bruder in Berlin dabei. Und auch zwei Cousins der beiden vertreten die Färöer-Inseln: die Brüder Olli und Pauli Mittun. "Man spielt mit seinen besten Freunden und auch mit Familienmitgliedern. Das ist vielleicht der Grund, warum wir alle so motiviert sind, weil wir wirklich alles tun wollen, um unser Land stolz zu machen", so Spielmacher Olli Mittun.

Geht das Märchen vielleicht sogar noch weiter? Die Färöer könnten sogar in die Hauptrunde einziehen, dann nämlich, wenn Norwegen gegen das bereits für die Hauptrunde qualifizierte Slowenien verliert und die Färöer gegen das schon ausgeschiedene Polen gewinnen. "Natürlich ist das ein Traum, aber es wird hart", so Olli Mittun laut handball-world.news, der zugleich verspricht: "Wir werden aber wieder hundert Prozent geben! Es ist ein langer Weg, aber alles ist möglich und wir hoffen darauf!" Egal, wie die Spiele am Montag ausgehen, eins steht laut Trainer Bredsdorff-Larsen fest: "Unsere Fans haben die EM bereits gewonnen."

Quelle: ntv.de

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