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WM-Debütanten übertrumpfen alles Deutschland staunt über zaubernde Giftzwerge

Deutschland verpackt den bitteren WM-Start bemerkenswert und rauscht nach drei Niederlagen zum Auftakt mit vier Siegen in Serie ins Viertelfinale. Dort wartet die bislang grandios aufspielende Schweiz. Chancenlos ist Deutschland aber nicht, wegen zwei unerwarteten Helden.

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft stürmt ins Viertelfinale der WM - und vorneweg stürmte, nein, zauberte Wojciech Stachowiak. Nach vier Minuten machte sich der Ingolstädter Stürmer auf und davon, zog mit voller Wucht zum französischen Tor, wurde gecheckt, flog auf die Knie, rappelte sich auf und spielte einen genialen Rückpass. Der mitgelaufene Alexander Ehl musste den Puck nur noch ins Tor hämmern - was er dann auch tat. Das DEB-Team führte 1:0 und war auf dem blitzschnellen Weg zum Duell mit dem Erzrivalen Schweiz am Donnerstag.

Vier weitere Tore ließ das Team von Bundestrainer Harold Kreis diesem zauberhaften Treffer folgen. Frederik Tiffels (16.), NHL-Stürmer John-Jason Peterka (23.), der ins Aufgebot zurückgekehrte Daniel Fischbuch (44.) und Maximilian Kastner (54.) schossen vor 8598 Zuschauern in der Nokia Arena in Tampere den ungefährdeten Sieg heraus, der die sechste Viertelfinalteilnahme in sieben Jahren perfekt machte. "Ich würde am liebsten schon wieder aufs Eis gehen. Der Donnerstag kann gar nicht schnell genug kommen", sagte Marcel Noebels, der vor zwei Jahren einen fantastischen Penalty zum Sieg gegen eben jenen kommenden Gegner Schweiz verwandelt hatte. "Ich nehme schöne Momente aus der Vergangenheit mit, aber die Jungs haben Bock auf eine neue Geschichte."

Peterka wird gerüffelt und liefert

Es wäre wieder einmal eine bemerkenswerte. Weil sich Deutschland nach dem überraschenden Abgang von Erfolgscoach Toni Söderholm erstmal sammeln musste, weil sein Nachfolger Kreis ein WM-Debütant ist, weil die Mannschaft so viele hochkarätige Absagen zu verkraften hatte, weil es drei knappe Niederlagen trotz toller Leistungen zum Start gegen die Top-Nationen Schweden, Finnland und USA gab. Und weil in diesem Turnier Helden geboren werden, die vorher niemand auf der Rechnung hatte. Der am wenigsten überraschende: NHL-Profi Nico Sturm. Defensiv war dem WM-Debütanten eine prägende Rolle zugetraut worden, doch dass er auch offensiv führt und glänzt, das war nicht unbedingt zu erwarten. Neben dem Eis tritt er ebenfalls selbstbewusst auf, ermahnt seine Mitspieler regelmäßig, auf jeden Schnickschnack zu verzichten. So geradlinig er als Typ ist, so geradlinig spielt er. Und das erwartet er von allen.

Top-Talent Peterka etwa musste sich früh im Turnier einen knackigen Rüffel abholen. Einen, der gefruchtet hat. Gegen Frankreich spielte er erneut zielstrebig und traf sehenswert. Schon nach seiner Gala gegen Ungarn hatte Sturm den 21-Jährigen gelobt und seine herausragenden Qualitäten hervorgehoben. Zuckerbrot und Peitsche.

Kluge Spielzüge und cleveres Forechecking

Die knallte bislang indes nicht durch die vierte Reihe der Nationalmannschaft. Dort spielen die international zuvor unbekannten Justin Schütz, Parker Tuomie und eben Stachowiak. Und sie spielen herausragend, sind die große deutsche WM-Entdeckung. Seit der Vorbereitung spielen sie zusammen. Das zahlt sich aus. Die Reihe wirkt perfekt aufeinander abgestimmt. Kluge Spielzüge und ein cleveres Forechecking zeichnet sie aus. Und mittlerweile eben auch Tore und Eishockey-Kunst. Wie etwa Stachowiak vor dem 1:0 gegen Frankreich stabil blieb, voll fokussiert, das war schlicht Weltklasse. Dabei war er von diesem Attribut bislang weit entfernt gewesen. In seiner vierten DEL-Saison war ihm erst der Durchbruch gelungen. Mit 39 Scorerpunkten in 74 Spielen hatte er sich auf den Zettel des Bundestrainers gespielt.

Dass er in Tampere nun so durch die Decke fliegen würde, hatte indes niemand erwartet. Die Reihe war nicht zum Glänzen eingeplant, sondern für harte Arbeit. Sie verbindet nun beides. Im knappen Duell mit Österreich standen sie am Ende auf dem Eis - und nicht die nominelle Topreihe um die kleinen und trickreichen Dominik Kahun, Tiffels und Peterka, die allerdings auch immer besser wird. "Sie (Anmerk. d. Red.: die Jungs der vierten Reihe) spielen einfaches Eishockey", lobte Sturm nach dem Duell mit dem Nachbarn, der am Montag den Abstieg gegen Ungarn gerade so verhinderte. "Sie machen nicht so viele Faxen mit der Scheibe an der blauen Linie." Für Stachowiak hatte der NHL-Profi ein besonderes Lob: "Wojo war unser bester Spieler auf dem Eis." Und Tuomie, den er aus gemeinsamen Zeiten in den Nachwuchs-Nationalteams und am College schon lange kennt, bezeichnete er als "richtigen Giftzwerg", der aber auch "brutal was an der Scheibe kann".

Sensationelles Solo gegen Österreich

Giftzwerg, das ist eigentlich kein schönes Wort. Es schwingt etwas Böshaftes, etwas Gehässiges mit. Im Sport aber ist oft das Gegenteil der Fall. Giftzwerg hat etwas Anerkennendes. Giftzwerge liefern, halten den großen Stars den Rücken frei. "Es ist eine hart arbeitende Reihe", lobte Kreis, "sie arbeiten gut zusammen, sprechen viel miteinander, haben eine gute Chemie und setzen unsere Spielweise gut um. Sie checken, sie kämpfen und zaubern. Wie gegen Frankreich und noch mehr zuvor gegen Österreich. Und immer wieder im Mittelpunkt Stachowiak, der mit seinen 1,85 Metern zwar körperlich nicht mehr als Giftzwerg durchgeht, dafür aber all die anderen Attribute der Galligkeit und Unnachgiebigkeit erfüllt. Das 2:1 von WM-Neuling Tuomie legte er clever ab, das 3:1 erzielte er nach einem furiosen Solo selbst. Als die Österreicher drauf und dran waren, den Anschluss zu erzielen, kurvte er im Vollsprint durch das gegnerische Drittel, vorbei an allen und schob den Puck durch die Schoner von Goalie David Kickert.

"Wir sind drei Jungs, die einfach viel Spaß miteinander haben, in der Kabine und auf dem Eis", sagte Stachowiak, der nach starken Play-offs mit Ingolstadt erst bei der WM-Generalprobe vor eineinhalb Wochen sein Debüt in der Nationalmannschaft gegeben hatte nach dem Österreich-Spiel. "Wir sind drei gute Skater, schnelle Spieler, die Energie bringen und so einfach wie möglich spielen." Diesen Spirit hat nun auch der Rest des Teams immer mehr adaptiert - was Hoffnungen gegen die grandios aufspielenden Schweizer schürt. Ebenso wie die letzten Resultate gegen die Eidgenossen. Immer, wenn es zuletzt darauf ankam, verlor die meist favorisierte Schweiz gegen die DEB-Auswahl: Im WM-Viertelfinale 2010, im Olympia-Entscheidungsspiel 2018 auf dem Weg zur Silbermedaille in Pyeongchang und eben 2021.

"Wir werden vorbereitet sein. Die Schweizer werden das Spiel bestimmt nicht diktieren. Wir werden schon auf Augenhöhe gegen die antreten", sagt Kreis. "Mit unserer Truppe, mit unserem Willen, mit unserem Können und unserer Geschlossenheit wird das ein sehr gutes Spiel werden." Schon 2010 beim ersten Coup gegen die Schweiz in Mannheim war er als Co-Trainer von Uwe Krupp dabei. "Harry hat eine sehr große Erfahrung und er hat diesen Weitblick und die Gelassenheit, die strahlt er aus. Er gibt uns Spielern die Verantwortung. Ich glaube, das hilft der Mannschaft, deswegen haben wir auch so eine starke Brust", sagte Torhüter Mathias Niederberger nach seinem ersten Shootout gegen Frankreich. Wenn die Schweizer das "weiße Ballett seien, was wäre Deutschland denn da, wurde Kreis in den vergangenen Tagen gefragt. Seine schlagfertige Antwort: "In der Oper und im Ballett kenne ich mich nicht so gut aus, aber mit Sicherheit nicht der sterbende Schwan."

Quelle: ntv.de

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