WM-Halbfinale gegen Spanien DFB-Elf mit Jugend und Tugend
07.07.2010, 13:56 UhrDeutschland gegen Spanien – Sauerkraut gegen Paella, Autos gegen Stierkampf, Effizienz gegen Anmut. Alles vorbei. Jogis Jungs wirbeln den Weltfußball durcheinander, den der Barcelona-Madrid-Block des Europameisters vermeintlich dominiert. Möglich ist im WM-Halbfinale alles. Und Marcel Reif sagt bei n-tv: "Wir sind mindestens auf Augenhöhe."
In Deutschland herrscht Fußball-Ausnahmezustand, mindestens bis Montag – so die Hoffnungen aller Anhänger der DFB-Elf. Die gesamte Nation hofft auf ein WM-Traumfinale gegen Holland. Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Statt schon jetzt über Siegesfeiern bis in den Montagmorgen hinein nachzudenken, sollten die Fans den Anpfiff, und vor allem Abpfiff der Halbfinalpartie gegen Europameister Spanien herbeisehnen. Denn nach dem (semi-)finalen Trillerton aus der Pfeife des Unparteiischen könnte eine deutsche Nationalmannschaft zum achten Mal in einem WM-Endspiel stehen. Und nicht nur das. Lukas Podolski erklärt's: "Wir wollen mehr."
Dass der mögliche Endspiel-Gegner schon feststeht, hilft dabei nur bedingt. Die Niederlande um Bundesliga-Star und Torschütze Arjen Robben besiegten im ersten Halbfinale den zweimaligen Weltmeister Uruguay mit 3:2. Wenn Deutschland gegen Spanien gewinnen sollte, käme es damit zur Neuauflage des Endspiels von 1974 – das gewann Deutschland durch einen 2:1-Sieg in München. Ein gutes Omen?
"Wenn wir es schaffen, die Spanier in ihrem Spiel zu stören, haben wir gute Chancen", sagte Bundestrainer Joachim Löw. An Selbstvertrauen dürfte es der DFB-Elf nach den klaren Siegen gegen England und Argentinien nicht mangeln. "Es ist nicht die ultimative Prüfung", verkündete Teammanager Oliver Bierhoff optimistisch: "Die ist am Sonntag im Finale gegen Holland."
Ersatz-Trio in Lauerstellung
Die deutsche Mannschaft muss gegen Spanien ein großes Handicap wegstecken: Der vierfache Turnier-Torschütze Thomas Müller ist in der Neuauflage des EM-Finales von 2008, das Spanien in Wien dominierte und mit 1:0 gewann, gesperrt. Wer für Müller neu in die erste Elf kommt, wollte Löw vorab nicht verraten: "Es gibt drei Möglichkeiten: Trochowski, Cacau oder Kroos. Einer von den Dreien wird es sein."
Sollte der 20-jährige Toni Kroos zum Einsatz kommen, wäre es ein Spieler ganz nach dem Geschmack des Bundestrainers: jung, körperlich fit, mental stark. Allerdings ist die rechte Mittelfeldseite nicht seine Stammposition. Die liegt beim Bayern-Profi eher in der Mitte. Der zweite Kandidat ist Cacau. Beim Stuttgarter ist zumindest fraglich, ob er nach seinen Verletzungen körperlich wieder bei 100 Prozent ist. Zudem wäre er eine sehr offensive Variante. Piotr Trochwoski hat wohl die besten Aussichten auf einen Platz in der Startformation - er hat eine gewisse Erfahrung und spielt auch im Verein häufig auf dieser Position.
Trotz des Ausfalls von Shooting-Star Thomas Müller sieht TV-Kommentator Marcel Reif die deutsche Mannschaft "mindestens auf Augenhöhe. Das sehen alle Experten hier vor Ort so", so Reif bei n-tv. Bundestrainer Löw wolle Spanien die Favoritenrolle "unterjubeln". Spanien könne geschlagen werden, wenn die DFB-Elf das Mittelfeld des Europameisters sowie den Top-Stürmer David Villa in den Griff bekommen.
Kahn: Holländer haben Angst
Beflügeln soll die Mannschaft dabei die große Begeisterung in der Heimat: "Die Euphorie in Deutschland kriegt man natürlich mit über Fernsehen, Zeitungen und Telefonate mit zu Hause", berichtete Podolski: "Die Begeisterung ist da, darüber freuen wir uns riesig." In einer Grußbotschaft machte das Team um Kapitän Philipp Lahm den schwarz-rot-goldenen Anhängern Mut: "Unser Weg ist noch nicht zu Ende, die Party soll weitergehen", lautet sie. Auf ein Spiel um Platz drei - wie vor vier Jahr beim deutschen Sommermärchen - am Samstag gegen Uruguay hat kein Deutscher Lust.
Die Holländer sind sich nicht einig, auf wen sie im Endspiel gerne treffen würden. Während der Ex-Hamburger Rafael van der Vaart auf die Furia Roja von der iberischen Halbinsel setzt, hält es Bayern-Star Robben mit Deutschland und "meinen Jungs von Bayern München. Wir stehen ständig in Kontakt per SMS". Zur Erklärung: van der Vaarts Mutter ist Spanierin, außerdem steht der Offensivspieler bei Real Madrid unter Vertrag.
Der dreifache Welttorhüter Oliver Kahn glaubt, dass die Niederländer lieber Spanien als Deutschland im Finale sehen würden - und hat wohl schon kalten Schweiß bei den holländischen Spielern ausgemacht: "Man merkt die Angst und den Respekt vor Deutschland."
Schweinsteiger setzt auf Wille
Bastian Schweinsteiger ist zuversichtlich, dass das deutsche Team ins Finale kommen kann und betont eine der Tugenden des deutschen Teams: "Jeder unserer Spieler hat viel Selbstvertrauen getankt. Wir wissen, was wir können, der unbedingte Wille muss zu spüren sein. Den konnte man schon gegen Argentinien feststellen." Um auch gegen Spanien zu bestehen, müssen er und seine Mannschaftskollegen die Schlüsselpositionen im Team des Europameisters ausschalten, sagt der neue Mittelfeld-Chef: "David Villa ist zweifellos ein Spieler mit sehr gutem Torinstinkt. Wir müssen aber vor allen Spieler wie Xavi und Iniesta ausschalten, die das Spiel organisieren und Villa in Szene setzen."
Doch abgesehen von den taktischen Details könnte der von Schweinsteiger angesprochene Wille, eine dieser deutschen Tugenden, die deutschen WM-Teams schon in Vergangenheit Titel gebracht haben, ein entscheidendes Element des Halbfinals werden. Dazu die jugendliche Unbekümmertheit und neue Unberechenbarkeit von Jogis Jungs als Trumpf - und Spanien könnte seine Favoritenrolle auf den WM-Titel heute Abend los sein.
Quelle: ntv.de, mit dpa/sid