Wunschkonzert

WM-Wunschkonzert auf n-tv.de Warum Italien es schaffen kann

Mit dem Sturm gewinnt man Spiele, mit der Abwehr holt man Titel. Das hat Italien in Deutschland bewiesen. Mit taktischem Geschick, Routine und Buffon klappt’s auch in Südafrika.

Italien - der alte und neue Weltmeister.

Italien - der alte und neue Weltmeister.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Fußball ist ein emotionales Spiel, ein irrationales Kollektivereignis. Der Kick mit dem runden Leder verbindet Menschen, Dörfer, Städte, ganze Länder – Italien beispielsweise. Nach außen kühl und berechnend wirkend, ist der Calcio der Squadra Azzurra der Gefühlskitt für 60 Millionen Italiener. Immer pünktlich zum Start einer Fußball-WM sind wir alle Tifosi. Genau: wir. Denn in jedem von uns steckt ein kleiner Italiener. Fragen sie mal Conny Froboess. Oder die beiden amerikanischen Schriftsteller Alec McGinnis und Tim Parks.

Sie haben die besten Fußballbücher aller Zeiten geschrieben: "Das Wunder von Castel di Sangro" und "Eine Saison mit Verona" gehören zu den Klassikern der Fußball-Literatur wie Ronald Rengs "Traumhüter" oder Nick Hornbys "Fever Pitch". Dass es gerade Amerikaner sind, die vom Calcio und seinem Drumherum in den Bann gezogen wurden, macht deutlich, welche Anziehungskraft in ihm steckt, welches Hochgefühl er auslösen kann. Das liegt vor allem an der Leidensfähigkeit der Tifosi, die sie übrigens mit den Thüringern - also auch mir - gemeinsam haben. Der Italiener und der Thüringer an sich wird seit Jahren von den falschen Leuten regiert und kann, wenn es um Fußball geht, zur rasenden Furie werden. Sie lesen richtig.

Heißblütig und kaltschnäuzig

Seit dem Finale 2006 weiß Marco Materazzi: Provokation gewinnt Pokale.

Seit dem Finale 2006 weiß Marco Materazzi: Provokation gewinnt Pokale.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Es ist nämlich so: Die ganze Welt außerhalb des Stiefels verachtet die Art, wie Italien Fußball spielt. Spricht abschätzig von Catenaccio, Riegel, Spiel-Zerstörern. Elende Kleingeister! Man muss das Spiel hinter dem Spiel erkennen, gewissermaßen zwischen den Pässen lesen, um die taktischen Winkelzüge, die kaltschnäuzige Ergebnisorientiertheit des Calcio genießen zu können. Das verlangt - zugegebenermaßen - ein bisschen Grips und vor allem einen starken Willen. Zu wissen, man kann den Gegner 3:0 oder 4:0 schlagen, düpieren, demütigen - und sich dann dennoch darauf zu beschränken, ein simples, unkompliziertes 1:0 mit Mann und Maus zu verteidigen, um den Gegner nicht zu brüskieren. DAS ist wahre Größe! Punkt. Aus. Basta. Und dafür erntet man dann auch noch weltweit Kritik. So ungerecht kann Fußball sein.

Auch bei der WM in Deutschland gab es Teams, die schöner gespielt, die Fans verzaubert haben. Aber wer wurde Weltmeister? Na? "Fratelli d’italia …" Mamma mia. Was kann man denn schon dafür, dass der beste Torhüter der Welt seit Jahren zwischen den Pfosten der italienischen Nationalelf steht und Gigi Buffon heißt. Nur zur Erinnerung: Buffon sorgte dafür, dass sich Italien in Deutschland in sieben Spielen lediglich zwei Gegentore einfing - ein Eigentor im Vorrundenspiel gegen die USA und ein Elfmeter im Finale gegen Frankreich. Buffon war es auch, der Italien im Halbfinale gegen Deutschland mit spektakulären Paraden in die Verlängerung rettete, Poldi, Klose und Co. zur Verzweiflung trieb und das proklamierte deutsche Sommermärchen frühzeitig beendete. Ja, die schwarz-rot-goldene Feierstimmung in Tränen und verlaufener Schminke untergehen ließ. Und Buffon war es auch, der in der Verlängerung des Endspiels gegen Frankreich einen unhaltbar scheinenden Kopfball von Zinedine Zidane noch aus dem Winkel fischte. Buffon war es aber nicht, der "Zizous" Karriere vorzeitig beendete. Das war Marco Materazzi. Aber wenn sie mich fragen: Ein Profi muss Beleidigungen jeglicher Art abkönnen. Vaffanculo!

Pirlo + Lippi + Buffon = WM-Titel

Wie läuft’s nun in Südafrika? Das wichtigste zuerst: Der Torwart heißt wieder Buffon. Der Trainer heißt auch wieder Marcello Lippi und auch das Juve-Milan-Korsett der Squadra Azzurra ist gleich geblieben: Fabio Cannavaro (Juve), Mauro Camoranesi (Juve), Gennaro Gattuso (AC Mailand), Gianluca Zambrotta (AC Mailand) und Andrea Pirlo (AC Mailand). Namen, die allein schon ob ihres Klangs (Dschennaro, Dschannluuu-kka) Fußballfans mit der Zunge schnalzen lassen. Sie alle standen in der Startelf des Finales von Berlin. Mit Vincenzo Iaquinta (Juve), Daniele de Rossi (AS Rom) und Alberto Gilardino (AC Florenz) kommen drei weitere WM-Helden von 2006 dazu. Fast alle sind Ü30. Bedeutet: Erfahrung und Routine pur. Auf insgesamt 69 WM-Partieeinsätze bringt es die italienische Elf. Kein anderes WM-Team in Südafrika kann mehr vorweisen, sagt sogar die Fifa. Und die muss es ja wissen.

Gianluigi Buffon und Marcello Lippi - zwei Titelgaranten.

Gianluigi Buffon und Marcello Lippi - zwei Titelgaranten.

(Foto: REUTERS)

Dem "Jugend forscht"-Wahn a la Jogi Löw ist Nationaltrainer Lippi also nicht verfallen. Warum auch. Die WM-Quali beendeten die Italiener ohne Niederlage. Zwischendurch war man sogar 31 Spiele ungeschlagen. Kein Wunder, wenn Lippi selbst sagt: "Wenn es um gute Fußballer geht, spielt das Alter keine wichtige Rolle. Viel wichtiger sind internationale Erfahrung und die Fähigkeit, sich in eine Mannschaft zu integrieren." Recht hat er, der alte, sture Taktikfuchs. Was macht es schon, dass Juve und Milan eine verkorkste Saison hinter sich haben? Eine Saison, in der Inter zwar die Champions League gewann - aber ohne einen Italiener in der Startelf und mit einem arroganten Portugiesen auf der Trainerbank. Eine Saison, in der kein neuer Alessandro del Piero weit und breit zu sehen war. Was macht es schon, dass Lippi - für mehr Ruhe im Team, denn das ist der Star - Künstler wie Luca Toni, Francesco Totti (beide AS Rom und bei der WM 2006 dabei) oder Antonio Cassano (unruhestiftendes Genie in Diensten Sampdoria Genuas) zu Hause lässt. Was macht es schon? Nichts!

Einzig Andrea Pirlo macht Sorgen. Wenn Michael Ballack in der DFB-Elf noch ersetz- und austauschbar scheint; Pirlo ist es bei Italien keinesfalls. Er ist der Kopf des Teams, der Dreh- und Angelpunkt des italienischen Offensivspiels. Er IST das italienische Offensivspiel. Er zieht die Fäden, leitet die Angriffe ein, ist die verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz.

Die neuen Elfer-Könige

So wie es nun aussieht, fällt Pirlo verletzt für mindestens ein bis zwei Spiele aus. Zum Glück heißen die Vorrundengegner aber Paraguay, Neuseeland und Slowakei. Erst im Viertelfinale wartet dann die erste große Herausforderung auf die Azzurri mit Spanien, Brasilien oder Portugal. Das Positive: Fällt Pirlo länger aus, müssen sich die Gegner auf ein neues System einstellen. Und nur wenige Mannschaften bei der WM in Südafrika sind dazu taktisch in der Lage. Italien kann es. Deutschland weiß das: Im WM-Halbfinale 2006 startete Lippi mit nur einem Stürmer ins Spiel. In der Verlängerung stellte er seine Taktik um, plötzlich standen drei und dazu noch ein offensiver Mittelfeldspieler auf dem Platz. Das Ergebnis ist bekannt. Ein Hoch auf den Strategen Lippi!

Greift erst später ins Turnier ein: Offensivmotor Andrea Pirlo.

Greift erst später ins Turnier ein: Offensivmotor Andrea Pirlo.

(Foto: REUTERS)

Ein weiteres Plus: Seit der WM 2006 können Italiener auch noch Elfmeter schießen. Bis dahin standen sie auf einer Stufe mit England, diesen Versagern vom Punkt. Aber dann kam das WM-Finale gegen Frankreich.

Und noch etwas spricht für Italien als alten und neuen Weltmeister, als Triumphator von Südafrika, als Gewinner der ersten auf afrikanischen Boden ausgetragenen WM: Italien hat es schon einmal geschafft, seinen WM-Titel zu verteidigen: 1934/1938. Böse Zungen behaupten zwar, da hatte der ein oder andere Schiri seine Pfeife pro-italienisch im Spiel. Aber hey, alles Quatsch! Und selbst wenn, wir leben in der Zeit des Robert Hoyzer.

Die WM am Kap der guten Hoffnung wird’s wieder einmal allen zeigen: Die alten Männer aus Italien haben’s noch voll drauf. Dov’è la Vittoria? Le porga la chioma, Forza Italia!

Quelle: ntv.de

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