
Alfred Gislason bleibt nach der geschafften Olympia-Qualifikation Bundestrainer.
(Foto: IMAGO/Noah Wedel)
Olympische Spiele fix, Vertragsverlängerung des Bundestrainers fix. Ein rundum gelungener Tag also beim alles entscheidenden Quali-Spiel der Handballer gegen Österreich? Mitnichten. Zwischen Alfred Gislason und dem Deutschen Handball-Bund ist es nicht so rosig.
Bloß keine leichtfertigen Fehler, bloß nix Dummes. David Späth beherzigt die Maßgabe genauestens. Er steht an der Seitenlinie und zählt mit den Fingern durch. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Sechs deutsche Spieler stehen auf der Platte. Dann schaut er nach oben zur Anzeigetafel: keine Zeitstrafe laufend. Und nochmal geht er mit den Fingern alle Teamkollegen auf dem blauen Belag durch. Immer noch sechs. Erst dann betritt er selbst das Feld in Richtung Tor.
Es ist eine kleine Szene aus der zweiten Halbzeit, die stellvertretend steht für das, was sich die deutsche Handball-Nationalmannschaft beim alles entscheidenden Spiel in der Olympia-Qualifikation gegen Österreich vorgenommen hatte. Endlich nicht mehr so viele Fehler machen. Offensiv effektiver sein, defensiv sicher stehen. Und dann das Ticket nach Paris buchen. Der Druck war groß, riesig gar. Nicht nur, weil es um den Erfolg fürs Team ging, sondern auch um den Job von Bundestrainer Alfred Gislason. Dank des 34:31-Erfolgs ist die Qualifikation geschafft, die Handball-Nationalmannschaft wird Deutschland in Frankreich vertreten. Mit dem Isländer an der Seitenlinie.
Der 65-Jährige muss das erst einmal sacken lassen. Während seine Spieler und sein Trainer-Team schon wie wild durch die Halle hüpfen, bleibt er erst einmal etwas abseits. Zu aufreibend war die Schlussphase des Spiels, in der Österreich mit einer offensiven Deckung noch mehrere Male den Ball abfängt und bis auf ein Tor wieder dran ist. Erst nach und nach fällt die Anspannung von Gislason ab. Bei der anschließenden Pressekonferenz kann er dann aber schon wieder scherzen.
Verhältnis zwischen Trainer und Verband scheint angespannt
Und wird doch deutlich: Die Situation hat den erfahrenen Coach genervt. "Ich war relativ gefasst mit der ganzen Situation", sagt er zwar, betont aber auch: "Natürlich habe ich mich nicht gefreut, dass es direkt in der Presse stand." Eine deutliche Kritik am Deutschen Handball-Bund, der die Vertragsverlängerung direkt mit dem Aber kommuniziert hatte. So hatte Gislason in den vergangenen Tagen neben ein paar sportlichen Fragen vor allem die zu seinem Vertrag und der kuriosen Situation beantworten müssen. Zunehmend entnervt wirkte er dabei.
Der ohnehin nicht als Plappermaul bekannte Isländer wurde noch wortkarger, lächelte weniger, schaute noch mehr auf seine Hände als zu den Fragenden. Daran ist der Verband schuld, schließlich gab es keine Not, die Zusammenarbeit mit Gislason vor dem Quali-Turnier zu verlängern. Das Verhältnis zwischen Trainer und Verband scheint angespannt. Nicht die beste Voraussetzung vor dem Olympia-Turnier, bei dem es aufgrund der wenigen teilnehmenden Nationen nur gegen Hochkaräter gehen kann. Die Gruppen werden am 16. April ausgelost.
Die kuriose Situation sei aus einem Dilemma entstanden, meinen dagegen Sportvorstand Axel Kromer und DHB-Präsident Andreas Michelmann. "Welche Lösung hätten wir Ihnen anbieten können, dass Sie nicht während dieses Turniers viele Fragen stellen", so Kromer in Richtung der Journalisten. Und Michelmann erklärt das Dilemma, das aus Sicht des Verbands bestand: Wäre nur die Verlängerung kommuniziert worden und das Team in der Quali gescheitert, hätte man die Klausel nachträglich beichten müssen. Der Tenor: Der Verband habe Ruhe schaffen wollen, auch für die Mannschaft.
Doch das ging nicht auf. Es wurde viel diskutiert und dem Team zugeschrieben, auch für den Trainer spielen zu müssen. "Ich finde, dass es zu viel Druck auf der Mannschaft gab. Ich glaube schon, dass es auch an meiner Situation lag", bilanziert Gislason.
"Sonst hätte ich woanders unterschrieben"
Offen berichtet er von den Gesprächen. Seiner Aussage zufolge hätte der Vertrag eigentlich schon nach der Weltmeisterschaft in Polen im vergangenen Jahr verlängert werden sollen. Dann gab es viele "Experimente" mit dem Team, nur Freundschaftsspiele gegen die absoluten Topteams Dänemark, Spanien und Schweden, "das sah nicht immer gut aus". Im Herbst habe er dann bereits einige andere Anfragen gehabt. "Da wollte ich wissen, was der DHB will, sonst hätte ich schon vor geraumer Zeit woanders unterschrieben."
Auch das spricht Michelmann an in seiner Verteidigung. Was wäre gewesen, wenn Gislason zwischendurch woanders unterschrieben hätte? Es hätte dann geheißen: "Wie blöd seid ihr beim DHB, euch ist damals Dagur Sigurdsson weggerannt? Warum habt ihr nix dazugelernt?" Sigurdsson, bei der Niederlage am Samstag gegen Kroatien dessen neuer Nationalcoach, war 2017 nach dem EM-Titel und Olympia-Bronze vom DHB weitergezogen nach Japan.
Nun ist es aufgegangen, mit einer deutlich reiferen Leistung als am Vortag gegen Kroatien fährt Deutschland das ersehnte Ticket ein. "Mir fällt ein Stein vom Herzen", so Michelmann. "Ich freue mich am meisten für die Mannschaft und den Trainer." Auch eigener Anspruch, Prestige und der wirtschaftliche Aspekt dürften dem Präsidenten zupass kommen.
An diesem Sonntag hat sich ein Team präsentiert, dessen Körpersprache von Beginn an stimmt, die mit Aggressivität spielt, ohne unfair zu sein, wo sich jeder für jeden reinhaut. Das vermeintliche Déjà-vu der nicht enden wollenden technischen Fehler wird schnell durchbrochen. Nach den ersten beiden verdaddelten Angriffen läuft der Ball. Schon die 18:15-Halbzeitführung zeigt die Marschrichtung deutlich.
Die Jungen und der Renten-Verweigerer
Renars Uscins ist wieder einmal der beste Werfer, wird zum dritten Mal in der dritten Partie von den Fans zum Spieler des Spiels gewählt. Weil Torhüter Andreas Wolff mit Würfen aus dem Rückraum so seine Probleme hat, kommt dann eben Späth rein - und hält gleich die ersten beiden Versuche der Österreicher. Der emotionale Flummi ist sofort wieder da, heizt die ohnehin spektakuläre Stimmung in der ZAG-Arena von Hannover weiter an. Kromer betont das Positive, seiner Meinung nach sei die Last im Team inzwischen auf mehr Schultern verteilt. "Wir waren in den vergangenen Monaten sehr von Juri Knorr abhängig, haben das auf mehrere Schultern verteilt. Das steht uns gut zu Gesicht." Das werde dem Team guttun.
Und dürfte auch bei den schwankenden Leistungen der jungen Spieler helfen, die noch immer den Status Talente tragen. Der 21-jährige Uscins zeigte vor seiner Heimkulisse überragende Leistungen, Julian Köster spielt so abgeklärt, dass man glatt vergessen kann, dass er am Samstag auch erst 24 Jahre alt geworden ist, Knorr wird es sogar erst im Mai. Späth und Nils Lichtlein sind ebenfalls gerade einmal 21 Jahre alt. Sie alle sind diese jungen Talentierten, von denen Gislason gern spricht. "Ich freue mich, diese junge, talentierte Mannschaft weiter zu begleiten", sagt er mit Blick auf die Heim-WM 2027, bis zu der sein Vertrag nun läuft.
Apropos Alter, Rentner wäre er bei einem Scheitern mit Deutschland nicht geworden. Nicht nur, weil andere ihn sofort verpflichten würden, sondern auch aus Selbstschutz. "Ich habe mal versucht, mit Handball aufzuhören, da ging gar nix." Der Mann, der so brennt für den Sport, bleibt jetzt also dem DHB-Team erhalten. Jetzt müssen sich nur noch die Wogen wegen der Vertragsklausel bis zur Reise nach Paris glätten.
Quelle: ntv.de