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DHB-Team befreit sich, aber ... Noch lachen sie, jetzt droht der Höllenritt bei der WM

Julian Köster steigerte sich.

Julian Köster steigerte sich.

(Foto: IMAGO/camera4+)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft zieht mit einer makellosen Bilanz in die Hauptrunde der Weltmeisterschaft ein. Gegen Tschechien liefert das DHB-Team wieder eine ganz schwache erste Hälfte ab, am Ende wird es aber wirklich erfreulich.

Was ist da in der Jyske Bank Boxen in Herning passiert?

Alfred Gislason tobt in der 38. Minute, als sich seine Mannschaft dem Tschechien-Angriff entgegenwirft. Der Bundestrainer reißt die Arme hoch, springt an der Seitenlinie entlang und scheint mit allem, was ihm körperlich noch zur Verfügung steht, die deutsche Verteidigung stärken zu wollen. Vereint gelingt es, es ist ein kleiner Triumph in einem lange, lange Zeit zähen Abnutzungskampf. Der 29:22-Sieg des DHB-Teams in diesem finalen WM-Vorrundenspiel gegen Tschechien ist ewig eine einzige Aneinanderreihung von kleinen Kämpfen. Und am Ende steht dann doch mehr als die pure Erleichterung, die die ersten beiden Spiele gebracht haben. Es könnte ein Befreiungsschlag gewesen sein.

"Ich staune, wie wir uns selbst das Leben schwer machen. Was wir in der ersten Halbzeit an Chancen auslassen, das ist eigentlich nicht normal", kritisierte der Bundestrainer in der ARD. Es schien wie immer in diesem Jahr zu laufen: Die deutsche Mannschaft bringt sich durch unkonzentrierte Chancenverwertung und Unaufmerksamkeiten in der Abwehr in große Schwierigkeiten, um das Malheur doch noch irgendwie zu reparieren. Gegen limitierte Polen, gegen überraschend starke, international aber nicht erstklassige Schweizer und nun auch gegen offensiv biedere Tschechen.

Doch ewig wird der Tanz am Abgrund nicht funktionieren, der Trainer beweist Galgenhumor: "In der Pause gab es bei uns fast Sarkasmus, weil die zweite Halbzeit nur besser werden konnte." 11:11 steht es da. Es wird besser, wie schon zuvor, als der große Favorit gegen Polen (35:28) erst lange zurückliegt und dann doch noch den Auftakt rettet und das Kunststück beim 31:29 noch einmal wiederholt. Am Ende des Duells mit der Schweiz, das ewig auf der Kippe steht, freut sich der überragende Torwart Andreas Wolff nicht mal - er atmet nach der Schlusssirene einfach kopfschüttelnd durch.

Handball-WMDeutsche Spiele

Doch diesmal ist es eben doch noch ein bisschen anders als zuvor, denn irgendwann weicht der Krampf dem Flow: Angetrieben vom überragenden Torwart David Späth, der jede Parade zu einem eigenen emotionalen WM-Titel veredelt, schraubten Regisseur Juri Knorr, Topscorer Renars Uscins und ihre Kollegen das Tempo hoch. Das Tempo, das die Tschechen so lange verschleppt hatten. Angriff auf Angriff fährt die deutsche Mannschaft, bejubelt Treffer auf Treffer. Weil hinten Späth eskaliert und weil sie vorne Dinge einfach erscheinen lassen, die so lange so tonnenschwer wirken. Die Fehler der Tschechen werden konsequent bestraft, sodass schon lange vor dem Ende die Leichtigkeit Einzug hält ins deutsche Spiel.

Die Selbstverständlichkeit, die sie im letzten Sommer sensationell zur olympischen Silbermedaille getragen hatte. "Uns fehlt ein bisschen die Leichtigkeit, die kommt heute hoffentlich", hatte Gislason vor dem Spiel gehofft. Und lange vergeblich darauf gewartet. Am Ende aber, da war sie wieder zu spüren. Vielleicht gerade noch rechtzeitig.

Kann man so Dänemark schlagen?

Auf gar keinen Fall. An einem guten Tag könne man jedes Team der Welt schlagen, hatte Gislason vor dem Turnier gesagt - "außer vielleicht Dänemark". Ihr letztes Spiel bei einer WM verloren die Dänen 2017 und die Vorrunde lieferte keinerlei Anzeichen, dass sich daran in den nächsten Tagen etwas ändern könnte. Die deutsche Mannschaft lieferte trotz der rechnerisch tadellosen Vorrunde kaum Argumente für eine Sensation, und die Co-Gastgeber ließen in ihren drei Spielen vor entfesselten Landsleuten keinerlei Zweifel daran: Der vierte WM-Titel in Folge soll her.

Die Dänen überrennen ihre Gegner bisher förmlich, alle 20 Sekunden schließen sie einen Angriff ab. In diesem Wurfhagel kann man schnell untergehen. 118 Tore warfen Welthandballer Mathias Gidsel und seine ähnlich hochkarätigen Kollegen in drei Spielen. Selbst nach einem eigenen Tor geht es rasend schnell, bis man am eigenen Kreis wieder wild durcheinander gewürfelt wird - auch dann, wenn der Rückzug einigermaßen geklappt hat. Das Spiel gegen die Dänen wird das Gegenteil vom Duell mit den Tschechen: Die spielten nahezu jeden Angriff bis zum passiven Vorwarnzeichen aus. Es war diesmal vergleichsweise komfortabel für die deutschen Abwehrspieler. Das Spitzenduell mit den Hochgeschwindigkeits-Handballern aus Dänemark wird dann ein sechzigminütiger Höllenritt mit bestenfalls ungewissem Ende.

Gislason spricht von "der mit Abstand besten Mannschaft der Welt". Im Olympia-Finale vermöbelten die Dänen Knorr und Co. ganz böse: 26:39 hieß es am Ende aus deutscher Sicht. Auch, wenn es sich dabei um ein Freak-Ergebnis, um einen in dieser Drastik echten Ausreißer gehandelt haben sollte, haben sich die Kräfteverhältnisse eher nicht zugunsten der Deutschen verschoben. "Wenn wir so gegen Dänemark die erste Halbzeit spielen", sagte Gislason, "dann ist das Spiel längst vorbei."

Was ist dieses Spiel wert?

Der Wert dieses Spiels ist ganz einfach auszurechnen: Zwei Punkte, die der Sieg aufs deutsche Konto spült, stoßen die Tür zum Viertelfinale ganz, ganz weit auf. Mit der Maximalausbeute von vier Punkten startet das DHB-Team aus einer komfortablen Position in die Hauptrunde. Bis auf den unschlagbar scheinenden Serienweltmeister Dänemark werden die nun wartenden Gegner eher schwächer, als es Tschechen (mit 1:3 Punkten in der Hauptrunde), Schweizer (1:3) und Polen (ausgeschieden) waren: WM-Liebling Italien (2:2) wird am kommenden Donnerstag gegen das deutsche Team den eigenen Traum weiterleben, gegen Außenseiter Tunesien (0:4) soll dann am Samstag der Einzug in die K.-o.-Runde klargemacht werden. Mit zwei Siegen aus drei Spielen steht das DHB-Team aus eigener Kraft sicher im Viertelfinale.

Gibt es sonst noch eine gute Nachricht?

Absolut. Normalerweise ist es für die deutsche Mannschaft eine ganz schlechte Nachricht, wenn Andreas Wolff nicht groß aufspielt. Erreicht der Weltklassetorwart nicht annähernd seine Spitzenform, gibt es für das DHB-Team auf höchstem Niveau in der Regel nichts zu gewinnen. Weil der Torwart-Titan nur an einen der ersten sieben tschechischen Würfe eine Hand kriegt, kommt diesmal David Späth früh ins Spiel. Der Torwart der Rhein-Neckar Löwen, das zeigt er schnell, ist weit mehr als ein Stellvertreter: Der U21-Weltmeister zündet seine Mannschaft und die deutschen Fans schnell mit den ersten Paraden immer wieder an, je länger das Spiel geht, desto heißer läuft er selbst. Am Ende steht Späth bei knapp 50 Prozent gehaltener Bälle - eine bärenstarke Quote. Zwei Torhüter ins Turnier gebracht zu haben, kann noch ganz, ganz wertvoll werden.

Wann bekommt das DHB-Team die Sache mit den Siebenmetern in den Griff?

Siebenmeter zu verwerfen ist ein Luxus, den man sich auf höchstem Niveau nicht erlauben kann. Gerade, wenn man "für jedes Tor leiden" muss, wie es ARD-Experte Johannes Bitter in der ersten Hälfte des Spiels gegen die anstrengenden Tschechen sagte. Und doch: Gleich drei der ersten vier Strafwürfen vergab die deutsche Mannschaft. Erst scheiterte Lukas Zerbe, dann verwarf Marko Grgic und nachdem Juri Knorr seinen ersten Versuch versenkt hatte, scheiterte er mit dem zweiten. Nur Deutschlands vierter Schütze des Abends - Renars Uscins - traf tadellos: 1/1. Schon in den ersten beiden Spielen hatten die DHB-Schützen reichlich Chancen vom Strich liegengelassen.

Das Problem droht, strukturell zu werden: Bei der Heim-WM im vergangenen Jahr trafen Timo Kastening und Juri Knorr 19 von 27 Strafwürfen - das sind rund 70 Prozent. Zu wenig für größte Ambitionen.

Quelle: ntv.de

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