Kittel zu Kritik und Zielen "Ich bin heiß auf die Deutschland-Tour!"
08.08.2018, 10:52 Uhr
Die Tour de France ist abgehakt: Marcel Kittel freut sich auf eine Neuauflage der Deutschland-Tour.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Tour läuft für Sprintstar Marcel Kittel "enttäuschend". Dazu kommt Kritik von der sportlichen Leitung seines Teams Katusha-Alpecin: Er sei ein "Egoist". Wie er damit umgeht, welche Schlüsse er daraus zieht und welche Ziele er nun verfolgt, verrät er n-tv.de im Interview.
n-tv.de: Herr Kittel, kleiner Abstecher in die Heimat: Bei der Apres Tour in Gera wurden Sie Zweiter hinter Lokalmatador John Degenkolb. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Marcel Kittel: (lacht) Ich glaube, für Dege und mich am Allerwichtigsten war, dass wir in unserer Thüringer Heimat die Chance hatten, so ein Rennen zu bestreiten. Zeit mit den Fans zu verbringen, alte Weggefährten zu treffen, Spaß auf der Strecke - das zählt dann am Ende mehr als das reine Ergebnis.
Die Nähe zu den Fans macht also den Reiz aus?
Genau. Das ist einfach die Tradition dieser Rennen, deshalb werden sie auch veranstaltet, europaweit haben die ihr zu Hause. Der Hintergrund ist, die Tour-Fahrer damit auch ein wenig nach Hause zu bringen zu den Fans. Man hat einfach eine gute Zeit miteinander.
Welche Rolle spielen diese kleineren Eintagesrennen in Ihrem Rennkalender?
Sie sind wichtig, aber ich mache mir da persönlich keinen Druck in irgendeiner Form. Ich versuche, die schönen Sachen mitzunehmen - wie eben Gera jetzt. Manchmal klappt es, manchmal nicht.
Wichtiger ist für Sie aber die Frankreich-Rundfahrt. Sie haben vor der Saison gesagt, eine erfolgreiche Tour sei, "wenn ich einen Etappensieg habe". In diesem Jahr gingen Sie nach fünf Erfolgen 2017 leer aus. Mit etwas Abstand bereits: Wie fällt Ihr persönliches Fazit aus?
Es war sicherlich keine erfolgreiche Tour. Sie war schwierig für mich, ich musste kämpfen, hatte am Ende aber nicht den Erfolg auf meiner Seite und bin dann durch das verfehlte Zeitlimit - wie andere namhafte Sprinter auch - aus der Tour geflogen. Nicht schön, enttäuschend trifft es wohl ganz gut.
Wo lagen denn die Gründe?
Das ist trotz allem schwer zu sagen. Die Etappe, wo ich rausgeflogen bin, war eine sehr schwere. Die gibt es aber immer bei der Tour, genauso wie es immer wieder Fahrer geben wird, die das Zeitlimit nicht schaffen werden. Das ist halt so. Wer bei der Tour an den Start geht, steht auch gewissermaßen vor einer Fahrt ins Ungewisse: Wie wird es, wie läuft es, wie kommt man ins Rennen rein, spielt das Wetter mit, Sturzpech und so weiter. Ich habe mein Bestes gegeben, aber mehr als ein dritter Platz war dieses Jahr nicht drin.
Haben Sie die Tour im Kopf bereits abgehakt? Oder konnten Sie vielleicht sogar etwas Positives aus dem negativen Abschneiden ziehen?
Abgehakt ist sie auf jeden Fall. Für mich ist die Tour 2018 Geschichte. Ich muss nach vorne blicken und schauen, was ich da noch reißen kann. Wenn man etwas Positives rausnehmen will, ist es vielleicht der Fakt, dass ich auf jeder Etappe versucht habe, alles zu geben. Dass es am Ende eben mal nicht klappt, ist eine Erfahrung, die man als Sportler mitnimmt und analysiert.
Neben einem weiteren Tour-Etappensieg haben Sie vor der Saison ein weiteres Ziel ausgerufen: Sich bei Ihrem neuen Team Katusha-Alpecin gut einzuleben, sich "zu finden". Ist das gelungen?
Ich denke schon, mit vielleicht einer Ausnahme (lacht). Im Ernst: Ich verstehe mich mit den anderen Rennfahrern super, mit den Mechanikern, den Betreuern, die Physios.
Sie sprachen die Ausnahme an: Dimitri Konyschew, sportlicher Leiter des Teams bei der Tour. Er hat sie in der "L'Equipe" als "Egoisten" bezeichnet ("Wir bezahlen ihm eine Menge, aber er ist nur an sich selbst interessiert."), er habe Sie zudem "nicht ausgewählt". Sind Sie ein Egoist?
Nein, davon distanziere ich mich absolut! Diese Meinung hat Konyschew exklusiv. Ich bin in der Vergangenheit gerade dadurch aufgefallen, dass ich als Sprinter eben nicht egoistisch gefahren bin. Deshalb war es schon komisch, dass jemand, der mich gerade ein bis zwei Wochen richtig kennt, zu so einem Urteil gelangt. Es ist eine gehörige Fehleinschätzung Konyschews und für mich eine sehr enttäuschende Erfahrung.
Sie haben sich dann beide an einen Tisch gesetzt und das Ganze geklärt?
Soweit wie es eben geht. Gerade beim Radsport auf Topniveau muss ich mich auf die anderen Leute im Team hundertprozentig verlassen können. Das macht die Beziehung für mich schwierig. Klar ist, Freunde werden wir auf jeden Fall nicht mehr - und so weit es eben geht, werden wir beim Rennprogramm auch getrennte Wege gehen. Das Team hat ja nicht nur Konyschew als sportlichen Leiter.
Der Vertrag bei Katusha-Alpecin läuft noch ein Jahr?
(lacht) Ja, aber ganz unabhängig davon: Nur weil jetzt einer mal eine andere Meinung hat, schmeiße ich nicht gleich die Flinte ins Korn.
Sie sind vor Katusha-Alpecin bei Quick-Step gefahren, einem äußerst erfolgreichen Team, wieso eigentlich der Wechsel?
Einer der Hauptgründe war für mich diese deutsche Abteilung bei Katusha-Alpecin: mit Canyon ein deutscher Radausrüster, dazu mit Alpecin ein deutscher Co-Sponsor und natürlich auch die zahlreichen deutschen Fahrer in der Mannschaft, der bekannteste sicher Tony Martin. Auf diese starke deutsche Prägung des Teams habe ich mich sehr gefreut. Zudem gab es bei Quick-Step dann auch noch mit dem Kolumbianer Fernando Gaviria einen jungen Sprinter, der für meinen Tour-Startplatz ganz klar ein Konkurrent geworden wäre.
Nun stehen die beiden deutschen Saisonhighlights Cyclassics in Hamburg (19. August) und Deutschland-Tour (23.-26. August) an. Gehen Sie bei beiden Rennen an den Start?
Ich werde bei der Deutschland-Tour starten und bin auch heiß darauf! Für Hamburg stehe ich nicht im Rennprogramm.
Was ist Ihr Ziel?
Realistisches Ziel für mich ist, um den Sieg bei der ersten Etappe von Koblenz nach Bonn mitzusprinten. Danach wird es für mich eher schwierig, da kommt es dann auch auf den Rennverlauf an. Aber unabhängig davon ist es einfach geil, noch einmal zu Hause, vor deutscher Kulisse, über deutsche Straßen zu rollen.
Was halten Sie von der Rückkehr der Deutschland-Tour in den Rennkalender? Es gab sie ja über mehrere Jahre nicht.
Ich finde das cool, total spannend. Man hat sofort die Bilder von der Tour 2017 in Düsseldorf im Kopf. Aber da sollte man die Kirche erst einmal im Dorf lassen. Es ist fantastisch, dass es in Deutschland wieder ein großes Etappenrennen gibt. Die Fans, das Land, der Radsport haben das verdient - und wenn man ihr noch etwas Zeit gibt, wird sie auch eines der Highlights im internationalen Rennkalender.
Ist die Deutschland-Tour auch wichtig für den Nachwuchs hierzulande?
Zuallererst ist die Neuauflage der Deutschland-Tour ein Zeichen für den Aufwärtstrend im deutschen Radsport. Und natürlich ist diese Rundfahrt auch gut für den Nachwuchs. Es sind nicht die Profis, die zu kämpfen haben - es sind die kleinen Vereine an der Basis, denen es finanziell alles andere als gut geht und die sich schwer tun. So gesehen sind Nachwuchsrennen unheimlich wichtig und die wird es eben auch im Rahmen der Deutschland-Tour-Etappen gehen. Man darf nicht vergessen: Ohne den Nachwuchs von heute fehlen die Profis von morgen.
Apropos morgen: Was steht für Sie in diesem Jahr noch auf dem Rennprogramm?
Vuelta und die WM in Innsbruck nicht. Bei der WM sind von der Streckenführung andere Fahrertypen gefordert. Ich werde die Tour of Britain noch in Angriff nehmen, den Münsterland Giro fahren und dann Paris-Tours zum Saisonabschluss.
Mit Marcel Kittel sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de