Intrige um Dreijährigen?Indisches Schach-Wunder weckt plötzlich Zweifel

Ein Dreijähriger sorgt in Indien für einen Schachweltrekord. Doch eine Woche später wachsen die ersten Zweifel daran. Der Vater weist alle Vorwürfe zurück - und wittert eine Intrige. Welche Rolle spielt dabei ein Badezimmer?
Es ist knapp eine Woche her, da wird Sarwagya Singh Kushwaha auf der ganzen Welt bekannt: Der Dreijährige aus Indien hat als jüngster Spieler der Geschichte eine offizielle Wertungszahl des Weltschachverbands FIDE erreicht. Am Tag seines Rekords war er exakt drei Jahre, sieben Monate und 20 Tage alt. Die alte Bestmarke von Anish Sarkar, ebenfalls aus Indien, unterbot er so mal eben um einen Monat. Ein Wunderkind also.
Doch mittlerweile steht in der Schachhochburg Indien ein Vorwurf im Raum, über den "The Indian Express" berichtet: Demnach flatterte dem Weltschachverband FIDE inzwischen eine anonyme Beschwerde ins Postfach. Darin heißt es, dass es "eindeutige Verstöße gegen die Fairplay-Grundsätze der FIDE durch Trainer" gegeben haben könnte. Der Vorwurf: Dem Vorschulkind sei möglicherweise geholfen worden, den Weltrekord zu schaffen. Die FIDE selbst hat sich bislang nicht zu der Beschwerde geäußert. Das macht sie üblicherweise aber auch nicht.
Die Hürde zum Weltrekord war tatsächlich überschaubar. Um eine FIDE-Wertungszahl zu erhalten, muss eine Spielerin, ein Spieler an offiziellen Turnieren teilnehmen, mindestens fünf Partien absolvieren und dabei gegen schon gewertete Gegner mindestens einen Punkt erlangen. Heißt: entweder ein Duell gewinnen oder zweimal Remis spielen. Am Ende sollte zudem eine Wertungszahl von mindestens 1400 erreicht werden, der Nachweis für eine gewisse Spielstärke.
Ein Schach-Politik-Thriller?
Sarwagya Singh Kushwaha besiegte in den vergangenen Monaten gleich drei schon gewertete Gegner: Abhijeet Awasthi, Shubham Chourasiya und Yogesh Namdev. Die Beschwerde setzt dort an: Die drei Männer arbeiteten als Trainer an einer Akademie in der indischen 300.000-Einwohner-Stadt Sagar, wo auch der Dreijährige regelmäßig trainiert hat, heißt es. "Es scheint, dass die Wertung durch unlautere Mittel erreicht wurde, wobei die Trainer oder Personen, die die Spiele beaufsichtigten, eindeutig gegen die Fairplay-Grundsätze der FIDE verstoßen haben."
Der Vater und der Trainer des Dreijährigen weisen beide diese Vorwürfe zurück. Der Vater spricht von "Zufall" und behauptet im "Indian Express", dass die drei Männer an unterschiedlichen Akademien in der Stadt unterrichteten. "Nur weil diese Leute aus Sagar kommen und wir sie kennen, ist das kein Beweis, dass etwas unfair war", sagte Siddharth Singh Kushwaha der Zeitung. "Ich kenne diese drei Personen vom Sehen, weil ich ebenfalls eine Schachakademie leite. Sie sind so etwas wie unsere Konkurrenten."
Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt der Beschwerde. Vor allem das Duell mit Namdev wirft demnach Fragen auf. Beide Spieler, Namdev und der Dreijährige, hätten sich zu spät für ein Turnier gemeldet. Deshalb habe nicht das automatische System der FIDE über die Paarung entschieden, sondern, wie es beim Zuspätkommen üblich ist, seien die Namen manuell gezogen worden. Die Partie gewann der Dreijährige. Aber nach Darstellung der Beschwerde tat er das vor allem deshalb, weil Namdev die letzten Minuten der Schnellschach-Partie im Badezimmer verbracht hat.
Der Vater verneint, dass sein Sohn nur deshalb das Duell gewonnen habe. Und auch, dass nur die beiden sich zu spät zu diesem Turnier gemeldet hätten. "Es gab auch andere Kinder, die zu spät kamen und manuell gelost wurden", sagte er und wittert im Gespräch mit "The Indian Express" eine Intrige. "In Sagar gibt es zwei Fraktionen innerhalb des örtlichen Schachverbands. Eine Fraktion versucht, die andere ins Visier zu nehmen, indem sie zu beweisen versucht, dass die Erfolge meines Sohnes auf unfaire Weise erzielt wurden." Wann die FIDE über die Causa befinden wird, ist indes unklar.