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Größtes Glück, tiefer Schmerz Kader-Auswahl steht

Drei Wochen vor dem EM-Auftakt hat Joachim Löw überraschend die Torhüter-Baustelle in der deutschen Nationalmannschaft neu aufgemacht. Timo Hildebrand ist schwer geschockt, Ren Adler hoch erfreut: Statt der bisherigen Nummer zwei Hildebrand nimmt der Bundestrainer den Bundesliga-Shootingstar Adler mit zur Europameisterschaft. "Wir haben das von allen Seiten beleuchtet", erklärte Torwart-Coach Andreas Köpke zur Entscheidung, die viel Zündstoff in sich birgt. Zwar wird Jens Lehmann, der in dieser Saison als Bankdrücker beim FC Arsenal auch schon für heftige Debatten gesorgt hatte, als Nummer eins in das Turnier in Österreich und der Schweiz gehen. Doch mit der Neuordnung des auserlesenen Torwart-Trios erhöht sich der Druck auf alle DFB-Keeper.

Hildebrand zeigt sich "überrascht, geschockt, auch irritiert" von seiner Ausbootung: "Es schmerzt wie eine frische Fleischwunde." Die Absage sei "wie aus heiterem Himmel, ohne Vorzeichen" gekommen. "Ich bin überzeugt davon, dass ich mich im letzten Jahr weiterentwickelt habe, dass ich in allen wichtigen Bereichen besser geworden bin", erklärt Hildebrand auf seiner Homepage. Die Entscheidung müsse er so hinnehmen und auch akzeptieren. "Aber verstehen oder gar nachvollziehen kann ich sie nicht."

Eigentlich wollte der Ex-Stuttgarter als Nummer zwei sogar angreifen: "Weil Form und Leistung stimmen. Weil ich gut drauf bin, weil die Zeit reif ist." Er habe bisher immer geglaubt, dem Anforderungsprofil gerecht zu werden. "Ich war bei allen EM-Qualifikationsspielen dabei, es gab keine Kritik an meinen Leistungen, keine Hinweise darauf, dass es womöglich für mich nicht reicht", so Hildebrand. "Dieser Schlag wirft mich zurück, aber er haut mich nicht um."

Vorentscheidung in der T-Frage

Tatsächlich hatte der Bundestrainer noch bis in den März hinein in der "T- Frage" immer wieder davon gesprochen, dass "nach derzeitigem Stand" Lehmann, Hildebrand und Robert Enke seine drei EM-Fahrer seien. Doch offenbar hat die "Top-Analyse" (Löw) von Köpke, die der einstige Auswahl-Keeper in dieser Woche im engsten Trainerzirkel präsentiert hatte, das Bild gekippt.

"Aufgrund der hervorragenden Leistungen über ein Jahr in der Bundesliga und des Alters von Adler haben wir uns für einen Jung-Torhüter entschieden", sagte Köpke, ließ aber auch Platz für Spekulationen: "Ich werde jetzt nicht auf jede Einzelheit eingehen. Wir sind von dieser Konstellation absolut überzeugt." Nach der Ersatzrolle Hildebrands bei der WM 2006 und der EM 2004 ist er nun ganz draußen. "Was es jetzt für die weitere Karriere bedeutet, muss man offen lassen", sagte Löw Richtung Hildebrand.

Der erst 23 Jahre alte Adler könnte bei seinem ersten Turnier sofort zum Überflieger werden. Denn der Jungstar von Bayer Leverkusen, für den sich die geballte deutsche Fußball-Prominenz von Franz Beckenbauer über Lothar Matthäus bis Toni Schumacher stark gemacht hatte, könnte sofort in die Kronprinzen-Rolle rücken. Im Moment gebe es zwar keinen Grund, von der Reihenfolge Lehmann (1), Enke (2), Adler (3) abzurücken, meinte Köpke, sagte jedoch auch: "Das wird jetzt das Training zeigen." Löw hatte immer wieder betont, dass sich auch die 37 Jahre alte Nummer eins in der direkten EM-Vorbereitung gerade aufgrund der zuletzt mangelnden Spielpraxis beweisen müsse.

Überglücklich in Mittelfeld und Sturm

Doch Adler ist nicht der einzige, der zuversichtlich in die Vorbereitung geht und mit Spannung den 8. Juni erwartet. Thomas Hitzlsperger vom VfB Stuttgart freut sich "natürlich unglaublich", Teil des EM-Teams zu sein. "Wir haben eine gute Mannschaft und ich bin sicher, dass wir, wenn alle ihr Potenzial abrufen, auch eine gute Chance haben, im Turnier weit zu kommen. Persönlich habe ich natürlich das Ziel, mehr Einsatzzeiten als bei der WM zu bekommen." Im Training werde er sich anbieten, alles Weitere werde der Bundestrainer entscheiden, so Hitzlsperger, der glücklich darüber ist, "dass mit Mario einer meiner besten Kumpels beim VfB mit dabei sein wird."

Dementsprechend freut sich auch Mario Gomez "riesig" über seine Nominierung. "Es war sicher nicht die ganz große Überraschung, aber wenn man es dann erfährt, dass man zum Kader gehört, ist das ein unbeschreibliches Gefühl", erklärt der VfB-Spieler. "Bei einem großen Turnier dabei zu sein", sei schon immer sein Traum gewesen und er hofft, möglichst häufig zum Zuge zu kommen, räumt aber ein: "Wir haben fünf tolle Stürmer im Team."

"Geiler" Aufstieg

Einer davon ist der "überglückliche" Kevin Kuranyi. Für seine zweite EM hofft er, "dass wir als Mannschaft den guten Eindruck aus der Qualifikation bestätigen können und eine gute EURO spielen." Patrick Helmes, ein weiterer Mann im Sturm, findet es "geil" zum 26-köpfigen Kader zu zählen. "Am Ende der Hinrunde war ich noch weit davon entfernt."

Noch im letzten Jahr habe er "nicht mal zu den besten 40 gehört." Doch habe er immer gesagt, wenn seine Leistung beim 1. FC Köln stimme, dann komme "der Rest von ganz allein. Ohne meine Mannschaftskameraden hätte ich das aber nicht geschafft."

Stürmer Oliver Neuville freut sich sehr über seiner Nominierung und blickt auf "ein fast perfektes Jahr". Der Borusse bleibt jedoch vorsichtig. "Man muss bedenken, dass noch drei Plätze gestrichen werden."

Auch Jermaine Jones weiß, dass im Mittelfeld "noch drei gestrichen werden." Trotzdem sieht er die Nominierung als "Belohnung für die gute Saison", auf die er bei Schalke zurückschaut. "Gestern Abend hat mich Hans-Dieter Flick gegen 23 Uhr angerufen und mir die Nachricht mitgeteilt", auch Jones freut sich sehr. Ebenso sein Schalker Kollege Heiko Westermann "Die Berufung zur Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz ist für mich eine Bestätigung meiner harten Arbeit im zurückliegenden Jahr."

Verblüffende Wahl

Für "Zauberzwerg" Marko Marin ist dagegen ein Fußball-Märchen wahrgeworden. Nur wenige Tage nach dem Bundesliga-Aufstieg mit Borussia Mönchengladbach bereitete Joachim Löw dem Mittelfeldspieler mit der Berufung in das vorläufige EM-Aufgebot den nächsten Feiertag. "Ich war sehr überrascht und konnte es zunächst kaum glauben", kommentierte der 19 Jahre alte Debütant die überraschende Entscheidung des Bundestrainers. Neben Teamgefährten Oliver Neuville und Patrick Helmes ist Marin einer von drei Zweitliga-Profis, die von Löw eine Einladung für die EM-Vorbereitung des DFB-Kaders auf Mallorca erhielten.

Mit schelmischem Lächeln begründete der Bundestrainer die unerwartete Entscheidung für den Dribbel-Künstler: "Er ist ja noch - nicht nur was seine Körpergröße anbetrifft - ein Küken. Aber er hat herausragende Qualitäten in Eins-gegen-eins-Situationen. Von diesen Spielertypen haben wir nicht viele." Bescheiden freut sich Marin "erstmal auf die Tage auf Mallorca."

Quelle: ntv.de

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