
Hat erst vor sieben Jahren mit Kampfsport angefangen. Ziel sei, Champion bei Oktagon zu werden, so Jungwirth.
(Foto: Oktagon MMA)
Der Traum vom Fußballprofi scheitert bei Christian Jungwirth. Der Schwabe findet über Umwege eine neue Heimat im Kampfsport. Mittlerweile zählt er zu den bekanntesten MMA-Kämpfern des Landes und steht in Stuttgart vor 13.000 Zuschauern im Main Event. Rückblickend eine "Real-Life-Rocky-Story", wie er ntv erzählt.
Mixed Martial Arts (MMA) sucht in Deutschland noch nach Anerkennung, dabei füllen Events des Kampfsports bereits regelmäßig die größten Hallen des Landes. Einer, der den Sport auf seinen Schultern trägt, ist Christian Jungwirth. Der Schwabe blickt auf eine bewegte Vita zurück. Daher ist er nicht nur eines der Gesichter im deutschen MMA, "sondern das Gesicht des Sports in Deutschland", betont der 37-Jährige im Gespräch mit ntv.de.
"Von den anderen Fightern hebe ich mich durch meine Geschichte ab", setzt "The Kelt" ("Der Kelte"), so sein Spitzname im Ring, fort. "Ich bin erst mit 30 in den Sport eingestiegen und meine Geschichte ist einfach eine Real-Life-Rocky-Story", sagt der für seinen rigorosen Stil bekannte Käfigkämpfer.
"Sport war schon immer mein Lebenselixier"

Treuer Anhänger des VfB: Christian Jungwirth beim Heimspiel in Stuttgart.
(Foto: IMAGO/Pressefoto Baumann)
Bis in die B-Jugend spielte Jungwirth noch beim VfB Stuttgart, zusammen mit Andreas Beck und Serdar Tasci. Sein Trainer damals war kein Geringerer als der derzeitige Bayern-Coach Thomas Tuchel. Wenn Jungwirth den exzentrischen Trainer heute im Fernsehen sieht, habe der sich kaum verändert. "Ich hatte keine Probleme mit ihm, weil er gesehen hat, dass ich ein Arbeitstier bin und alles für die Mannschaft gegeben habe", so Jungwirth.
Mit dem Traum vom Profifußballer wurde es bei Jungwirth schließlich nichts, eine Knieverletzung machte ihm einen Strich durch die Rechnung. "Sport war schon immer mein Lebenselixier. Das wurde mir dann genommen. Ich hatte kein Ziel mehr im Leben. Schule war nichts für mich. Ausbildung war nichts für mich. Ich war schon immer ein extremer Typ und schon immer besonders. Nicht besser, aber besonders", erklärt Jungwirth.
Vom Ultra-Acker zum Boxen
Es folgten Alkohol, Drogen, Partys. Durch seine Liebe zum VfB Stuttgart kam er mehr und mehr in die Ultraszene des Vereins. Auch wenn er zu der Zeit noch im Amateurbereich gekickt habe, sei er eher wie ein "Discopumper" rumgelaufen, erinnert er sich. "Und so ein Typ wie ich fällt gleich auf." Wer die Ultraszene kennt, weiß, dass sich besonders fanatische Anhänger der Vereine auch schon mal Prügeleien auf dem Acker liefern. "Und da war ich dann auch mal dabei - auf so einem Acker. "Da habe ich schon gekämpft, ohne mit Kampfsport in Berührung gekommen zu sein", so Jungwirth, der dabei gemerkt habe, dass ihm das Kämpfen liege. Der Rahmen der Fanauseinandersetzungen sollte es aber in Zukunft nicht sein, und so entschied er sich, mit dem Boxen anzufangen. "Da hat die Flamme wieder gebrannt - und zwar lichterloh."
MMA kam für Jungwirth dann erst zwei Jahre später. Ein Event in Stuttgart habe ihn 2016 fasziniert. "Der Einlauf der Kämpfer hat bei mir schon Nervenkitzel ausgelöst", so "The Kelt". Ein Anruf beim Veranstalter und wenige Wochen später stand sein erster Amateurkampf fest. Danach war klar: Die sportliche Karriere soll mit MMA fortgesetzt werden. Ein Spagat, wie sich für Jungwirth herausstellte, der zu dieser Zeit im Schichtdienst als Staplerfahrer arbeitete und in Bopfingen rund 100 km von seiner Trainingsstätte in Stuttgart entfernt wohnte.
"Ich hab' meine Tochter um acht in den Kindergarten gebracht, bin dann nach Stuttgart gefahren. Und da war dann von zehn bis um zwölf Training, schnell geduscht, ins Auto und zur Arbeit. Im Bestfall konnte ich vor der Spätschicht noch 20 Minuten pennen", beschreibt der 37-Jährige seinen durchgetakteten Alltag von damals. Zwei Jahre ging er dieses Tempo, ehe dann die ersten Sponsoren kamen und Jungwirth sein Arbeitspensum reduzieren konnte.
Jungwirths Vorbild: ein 46-jähriger Kubaner
Der Schritt wenige Monate später, den Job zu kündigen und alles auf die Karte MMA zu setzen, sei aus finanzieller Sicht nicht leicht gewesen. "Aber wer in Deutschland arbeiten will, der findet auch Arbeit. Und ich wollte nicht bereuen, die Chance mit MMA nicht wenigstens ergriffen zu haben. Ich wollte ein Macher sein."
Mittlerweile ist sein ganzes Leben auf MMA ausgelegt. "Meine Frau macht mit. Meine Kleine, meine Mutter und mein Vater, der leider vor vier Jahren verstorben ist, war Feuer und Flamme. 10 bis 12 Trainingseinheiten in der Woche stehen auf dem Programm. "Ich überlasse nichts dem Zufall. Mein Training, mein Essen, mein Schlaf, meine Regeneration - da liegt mein Fokus drauf. Umso besser ich mit meinem Körper umgehe, umso länger kann ich den Sport machen." Vorbild in diesem Bereich sei Yoel Romero. Der Kubaner ist auch mit 46 Jahren noch in den größten MMA-Organisationen aktiv. "Der zeigt mir, dass alles geht, wenn man will."
Die Willenskraft hat ihn über die Jahre getragen: Über kleinere nationale Veranstaltungen baute er sich eine gute Kampfbilanz (aktuell 14 Siege, 8 Niederlagen) und eine große Fanbase auf. 2020 landete er bei Oktagon MMA, einem tschechischen Veranstalter, der aktuell die Nummer eins in Europa ist. Dass Jungwirth einzigartig ist im deutschen MMA, hat er auf dieser Bühne mit der wohl ikonischsten Szene des Sports in den vergangenen Jahren gezeigt.
Die Suche nach dem Boris-Becker-Moment
Im Kampf gegen den Serben Bojan Veličković im Juni 2023 sah er sich plötzlich in einem Rear-Naked-Choke, einem Würgegriff bei dem man in der Regel nach wenigen Sekunden das Bewusstsein verliert, gefangen. Der "Kelte" trotzte dem Aufgabegriff ganze 40 Sekunden, richtete sich mit seinem Gegner auf dem Rücken auf und schüttelte ihn ab. "Da hat mein Überlebensmodus eingeschaltet und ich habe mich rausgekämpft", so Jungwirth. Trotz dieser spektakulären Wendung im Kampf siegte am Ende sein Kontrahent nach Punkten. Der Kampf war Teil eines Turniers, das Europas bestes Weltergewicht ausmachen sollte und hatte mit 300.000 Euro noch ein hohes Preisgeld.
Das wäre er vielleicht gewesen, der Boris-Becker-Moment des MMA-Sports in Deutschland. Ähnlich wie der junge Leimener 1985 Wimbledon gewann und einen Tennis-Boom im Land auslöste, hätte ein Sieg gegen Veličković Vergleichbares lostreten können. Dass es so einen Moment mit Christian Jungwirth gibt, ist aber nicht ausgeschlossen. "Da ist noch sehr viel Potenzial drin, um auch Champion zu werden bei Oktogon. Das ist definitiv mein Ziel. Und darauf arbeiten hin. Den nächsten Schritt machen wir dann am 23. März Richtung Titel", so der Bopfinger.
Aus dem Macher Jungwirth ist nämlich mittlerweile der "Vollmacher" geworden. Er sorgt unter anderem dafür, dass die zweitgrößte Halle Deutschlands an besagtem Tag in Stuttgart mit dem MMA-Event Oktagon 55 ausverkauft sein wird. "Das wird brutal werden. Aber ich bin in der Balance und freue mich schon, zuhause zu kämpfen."
Eckerlin-Kampf in diesem Jahr?
Gegner in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle (13.000 Zuschauer) wird Robert Pukač sein. Gegen den slowakischen Weltergewichtler war Jungwirth bereits im März 2022 angetreten. Der Deutsche siegte, nachdem Pukač in Runde zwei das Handtuch warf und dem Druck Jungwirths in diesem Käfigduell nicht gewachsen schien. "Ich werde einfach zeigen, dass es kein Zufall war und ich beim zweiten Kampf genau dasselbe machen werde mit ihm", kündigte Jungwirth an.
Für viele Fans des Sports ist das Duell mit Pukač aber nur ein Anheizer und sie hoffen, dass es danach zum Käfiggipfel der beiden populärsten deutschen Fighter kommt. Der Kampf mit dem Frankfurter Christian Eckerlin war bereits angesetzt, eine Verletzung bei Jungwirth führte aber zur Absage. Vom Tisch ist der Kampf noch lange nicht. "Das wird definitiv kommen. Ich hoffe im Herbst", kündigt Jungwirth an. "Das ist der Kampf, den Deutschland sehen will, den Deutschland braucht, auch medial." Für die beiden Publikumsmagneten des Sports könnte die Bühne auch noch mal eine Nummer größer werden, als es das bislang in Köln mit 19.000 Zuschauern war. Ob es nun der Boris-Becker-Moment des Sports oder das nächste Kapitel in der schwäbischen Rocky-Story wird, steht in den Sternen. "Es wird in die Geschichtsbücher eingehen", ist sich Jungwirth aber sicher. "Und dafür bin ich genau der Richtige."
Quelle: ntv.de