TV-Ikone Schmelzer im Interview "Massive Kritik am Skisport ist zu einseitig"
30.10.2022, 06:56 Uhr
Bernd Schmelzer ist einer der bekanntesten Reporter im deutschen Fernsehen. Seine Leidenschaften gelten dem Skisport und dem Frauenfußball.
(Foto: IMAGO/Ulrich Wagner)
Seit über 35 Jahren ist Bernd Schmelzer als Sportreporter unterwegs. Die Leidenschaft für seinen Job ist noch immer ungebrochen, auch wenn sich die Bedingungen massiv verändert haben. Im Interview spricht der 57-Jährige darüber, was ihn fasziniert, was ihn stört, was er nicht versteht - und warum er ein Buch über seine bisherige Kommentatoren-Karriere geschrieben hat.
ntv.de: Herr Schmelzer, Sie haben gerade ein Buch geschrieben, eine Liebeserklärung an Ihren Reporter-Job. Angesichts von Krieg, Energie-, Corona- und Klimakrise sowie Großveranstaltungen in politisch höchst umstrittenen Ländern, wie viel Spaß macht die Arbeit denn wirklich noch?
Bernd Schmelzer: Also, mir tatsächlich noch sehr viel. Alles was man mit dem alpinen Skisport zu tun hat, da ist die Freude ungetrübt von all den Dingen, die außen herum passieren. Klar, es wird dadurch nicht leichter. Aber der Job macht immer noch genau so viel Spaß am ersten Tag.
Aber die Situation gerade im alpinen Skisport hat sich extrem verändert. Schmelzende Gletscher, Rennen auf einem weißen Band in grüner Landschaft … Wie nehmen Sie diese Veränderungen im Wintersport wahr? Oder blendet man das im Job aus?
Nein, natürlich nimmt man das wahr. Es blutet mir jeden Tag das Herz, wenn ich das sehe. Das ist eine Entwicklung, die einen sehr nachdenklich stimmt. Man fragt sich dann schon: Wie viel Sinn macht das Ganze überhaupt noch? Macht es überhaupt noch Sinn? Aber ich glaube schon, dass es lohnenswert ist, für diesen Sport und gegen das negative Image von außen zu kämpfen. Klar gibt es Sachen, die sind diskutabel, aber nicht alles kann ich nachvollziehen. Natürlich ist es schwierig und schwierig zu erklären, wenn ich ein weißes Band herrichte, um ein Skirennen durchzuführen, aber auf der anderen Seite finden jede Woche zig Fußballspiele unter Flutlicht statt. Da wird nicht diskutiert, sondern einfach angemacht. Deswegen ist die massive Kritik am Skisport ein bisschen zu einseitig.
Ein Großteil der Kritik entzündet sich ja am Größenwahnsinn des FIS-Chefs Johan Carl Eliasch …
Ja, tatsächlich ist der Skisport dem Größenwahn ein bisschen zum Opfer gefallen. Die Alpinen zur Formel 1 des Winters machen zu wollen, was ja schon einmal zur Debatte stand, war und bleibt übertrieben. Gerade jetzt auch die Geschichte mit den Abfahrten am Matterhorn. Aber die Idee, etwas Neues auszuprobieren, eine Veränderung herbeizuführen, die finde ich grundsätzlich gut. Allerdings die Art und Weise der Kommunikation, wie das jetzt mit den Rennen am Matterhorn geschehen ist, das ist aus meiner Sicht verheerend.
Anmerkung der Redaktion: Die FIS wollte die Mega-Rennen am Matterhorn ungeachtet der klimatischen Bedingungen im Vorwinter- derzeit zu wenig Schnee, viel zu warm und drohender Wind - und der Gefahren für die Fahrer am Start einer der Saison unbedingt durchdrücken und gab erst auf den allerletzten Drücker nach.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie hören, dass die asiatischen Winterspiele 2029 in Saudi-Arabien, in einem Skigebiet in der Wüste, das noch gar nicht gebaut ist, ausgetragen werden?
Das ist eine Entscheidung, die perfekt ins Bild all jener Entscheidungen für die Großveranstaltungen der vergangenen Jahre passt. Die Großverbände machen alles falsch, was man falsch machen kann. Du gibst da nach außen ein Zeichen, das ist so abschreckend und negativ. Man steht da, staunt und fragt sich: Lesen die keine Zeitung? Schauen die kein Fernsehen? Sprechen die nicht mit Menschen? Diese Entscheidungen fallen aus so einer entrückten inneren Blase heraus, dass du dir noch denken kannst: Die haben das Glockenläuten echt nicht gehört.
Sie haben direkt zu Beginn gesagt, dass der Job Ihnen trotz all der Krisen immer noch so viel Spaß bereitet wie am ersten Tag. Was macht für denn gerade die Faszination des Alpinen aus?
Die Faszination ist natürlich die Arbeit in der freien Natur. Du hast dein "Büro" in exponierten Lagen. Morgens früh um 7 Uhr im Sonnenaufgang auf dem Berg stehen, wo auch immer in der Welt, das ist schon ein Privileg. Aber es sind vor allem die Menschen, die hier unterwegs sind. Das sind einfach so unglaublich nette und aufgeschlossene Charaktere. Das ist immer noch wie eine große Familie. Egal in welche Richtung der Skisport sich entwickelt, egal wie stark die Kritik von außen wird, egal wie schwer die Lage mit Corona oder anderen Krise auch war oder ist, man versucht sich immer zu helfen und zusammenzuhalten.
Ihre zweite große Reporter-Leidenschaft ist ja der Fußball der Frauen. Wie sehr lässt sich die Szene mit der alpinen Familie vergleichen und wie anders geht es dort zu als im Männerbereich?
Fangen wir mal mit dem Männerfußball an, der hat sich in den vergangenen Jahren ja nicht nur von den Fans, sondern auch von jeglicher Normalität verabschiedet. Die Arbeitsbedingungen sind zwar mega professionell, aber das Miteinander ist verlorengegangen. Mit ein paar Ausnahmen. Vor ein paar Wochen habe ich zufällig Oliver Kahn getroffen und nett mit ihm gequatscht. Der erinnerte sich noch, dass ich über ihn schon zu aktiven Zeiten berichtet habe. Auch mit Thomas Müller ist es immer nett. Oder mit Philipp Lahm. Aber insgesamt ist da schon eine gehörige Distanz aufgebaut worden, das ist in den anderen Sportarten oder auch beim Frauenfußball ganz anders.
Wie genau unterscheidet sich das Arbeiten oder Umgang mit den Spielerinnen im Vergleich zu den Spielern?
Du kommst einfach viel näher an die Spielerinnen heran. Du hast einen richtig Kontakt. Du kannst mit den Menschen noch reden. Das ist einfach ganz anders. Wie willst du denn mit einem Fußballer aus der Bundesliga abseits von einem verabredeten Interview noch reden? Beim Training etwa ist das doch gar nicht mehr möglich. Das ist schon, wie abgeschottet die sind, aber ich bin mir gar nicht so sicher, ob die das überhaupt möchten. Wenn man etwa einen Hansi Flick bei der Nationalmannschaft mal zufällig trifft, dann redet der ganz normal und offen mit einem. Und ich bin außerdem nicht sicher, ob die Spieler immer Bescheid wissen, dass man mit ihnen reden möchte. Ich habe schon häufiger mitbekommen, dass die Fußballer gesagt haben: Hey, davon wusste ich nix.
Und wenn es dann mal klappt, dann wirkt vieles doch eng abgestimmt mit dem Verein …
… ja, und geht durch die Hände von Kommunikationsberatern, Pressesprechern und wird dann noch 33 Mal verbessert. Das ist schon sehr fremd. Und eben dann doch ganz anders als bei den Alpinen und den Frauen.
Die beiden Szenen lassen sich also noch miteinander vergleichen?
Ja, ich finde schon. Nicht komplett, aber das liegt eben auch an den gewachsenen Strukturen im Fußball der Frauen. Früher hat man mit dem Team im gleichen Hotel übernachtet. So wie das bei den Alpinen immer noch üblich ist. Heute passiert das nicht mehr, aber auch eher aus dem Grund heraus, dass das Team und der Staff gewachsen sind und wir als Reporter auch mit immer größeren Gruppen anreisen. Aber grundsätzlich finde ich: Warum sollte man denn nicht im gleichen Hotel sein?
Was sind denn die Vorbehalte gegen gleiche Hotels für Teams und Reporter?
Es herrscht das allgemeine Vorurteil vor, dass man den Sportlerinnen und Sportler immer gleich was Böses will. Das ist aber doch gar nicht so! Ich arbeite da nicht als Empörungsmensch, sondern es geht doch viel darum, dass man von den Sportlern auch mal etwas erfährt. Dass wir unsere Reportagen mit guten Informationen anfüttern können. Und am Ende ist der Austausch eine Win-Win-Situation für Reporter und Sportler. Wenn du den Zuschauern erklären kannst, warum es einem Sportler oder einer Sportlerin nicht läuft. Wegen Krankheit, einer Verletzung, einem Sturz oder so. Wenn du nicht wundern musst, wenn der Athlet oder die Athletin plötzlich etwas Ungewöhnliches macht.
Sie sind jetzt seit über 35 Jahren als Sportreporter unterwegs, in Ihrem Buch "Ja, was macht der denn da?" haben Sie viele Anekdoten aufgeschrieben. Wie hat sich diese Reise durch das eigene Berufsleben für Sie angefühlt?
Vor ein paar Wochen habe ich meinen alten Hörfunk-Chef Franz Muxeneder getroffen. Er war es, der mich zum ersten Mal zu einem Termin geschickt hat. Ich konnte ihm sehr detailliert erzählen, wie das damals alles losging. Und wenn du dich dann damit auseinandersetzt, wie alles losging und was dir dann alles wieder präsent wird, das war phasenweise schon sehr emotional. Und das Schreiben war für mich eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ich komme ursprünglich von der Zeitung (Anmerk. d. Red.: Augsburger Allgemeine/Allgäuer Zeitung) und es hat unglaublich viel Spaß gemacht, auch wenn es viel mehr Arbeit war, als ich je gedacht hätte. Ich habe ja alles alleine aufgeschrieben und bin jetzt mega stolz drauf.
Wie kam denn eigentlich die Idee dazu?
Mir haben immer wieder Leute geschrieben, dass ich doch mal ein Buch über die ganzen netten Geschichten machen soll. Ich fand die Idee immer schon ganz gut, konnte mich dazu aber nie durchringen, bis ich im vergangenen Jahr von einem Agenten angesprochen wurde. Kurz davor hatte mich wieder jemand angeschrieben und die Idee mit dem Buch. Also habe ich dann gedacht, gut, dann machen wir das jetzt. So hat sich das ergeben.
Wenn Sie auf Ihre Reporterkarriere zurückschauen, was waren denn Ihre ein, zwei Highlights?
Was dir immer in Erinnerung bleiben wird, ist dein erstes Rennen. Aber natürlich auch der Kitzbühel-Triumph von Thomas Dreßen. Ach, es gibt einfach so viel. Der Überraschungs-Olympiasieg von Ester Ledecka in Pyeongchang, oder Gold für Maria-Höfl-Riesch, das letzte Rennen von Felix Neureuther. Aber ich war auch beim Wahnsinnssieg von Markus Wasmeier in Lillehammer. Man kann das nicht priorisieren. Was ich aber weiß: Ich werde längere Zeit nicht mehr nach Megève (ein Wintersportort in den französischen Alpen, Anm.d.Red) fahren. Da habe ich mir, das habe ich im Buch auch geschrieben, irgendeine kuriose Allergie in einer Wolldecke gefangen, die mich wochenlang begleitet hat, mit irgendwelchen Salben.
Sie haben Felix Neureuther gerade angesprochen. Wenn man Sie beide am Mikrofon hört, dann hat man das Gefühl, dass das nicht nur ein Kollegen-, sondern auch ein Freundschaftsverhältnis ist. Ist das nochmal so ein Beleg dafür, wie persönlich es in der Ski-Szene noch zugeht?
Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel. Ich kenne den jetzt seit 2003, da hat er sein erstes WM-Rennen gefahren. Ich habe den ja quasi seine ganze Karriere lang begleitet, bis zum letzten Rennen in Kranjska Gora. Das finde ich schon erstaunlich. Und dann kommt ja noch dazu, dass ich auch mit seinem Papa Christian schon kommentiert habe. Mit dem Hause Neureuther bin ich sehr verbunden. Aber das ist mit Maria Höfl-Riesch und Markus Wasmeier bis heute nicht anders. Ich kann mich nicht vorstellen, dass es in anderen Bereichen so möglich wäre.
Mit Bernd Schmelzer sprach Tobias Nordmann
Quelle: ntv.de