Aus der Sackgasse in Playoffs? Buffalos schläfrige Büffelherde donnert durch die NFL
23.12.2023, 09:24 Uhr
Mit ihm soll es für die Bills noch in die Playoffs gehen: Quarterback Josh Allen.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Sie zählten zum engsten Kreis der Titelanwärter. Doch die Buffalo Bills blieben das Gros der Saison hinter den Erwartungen zurück. Pünktlich zur entscheidenden Phase der Punktrunde kommen die Büffel wieder ins Laufen. Reicht's noch für die Playoffs?
Mitte November sah es nicht gut aus in Buffalo. Zum besseren Verständnis muss hier erwähnt werden, dass Buffalo auch im Frühling oder Sommer kein Geheimtipp für Touristen ist, sondern eher wie eine lustlose Ansammlung von Straßen, Häusern und Gebäuden wirkt. Aber im Spätherbst kommt all das eben noch ein wenig abstoßender herüber, als ohnehin schon.
Doch es soll hier natürlich nicht um Buffalos Stadtentwicklung gehen, sondern um das American Football-Team. Und eben jene Bills waren Mitte November endgültig in einer Sackgasse angekommen. Es ging nichts mehr. 22:24 hatten sie am 13. November das "Monday Night Game" gegen die Denver Broncos daheim verloren. Es war die fünfte Niederlage im zehnten Spiel. Unakzeptabel für ein vermeintliches Spitzenteam.
Offensive Coordinator nach 5:5-Bilanz gefeuert
Cheftrainer Sean McDermott wusste, dass er handeln musste. Ein Blick auf die Statistiken verdeutlichte, wo die größte Bills-Baustelle war: die Offensive. Der von Quarterback Josh Allen angeführte Angriffsverbund hatte von Spieltag fünf bis zehn insgesamt 21 Prozent seiner Aktionen mit einem Turnover beendet. Kein anderes Team hatte in diesem Zeitraum so oft den Football an die gegnerische Defensive verloren.
Zudem erzielte Buffalos Abteilung Attacke nach dem imposanten 48:20-Heimsieg gegen die Miami Dolphins in Woche vier in keiner Partie mehr als 25 Punkte. Und Josh Allen hatte in den ersten zehn Partien bereits elf Interceptions geworfen. Der scheinbar Schuldige war also schnell ausgemacht - Offensive Coordinator Ken Dorsey musste gehen und wurde durch Joe Brady ersetzt, der bis dahin für die Quarterbacks verantwortlich war. Bei ESPN war von einem "großen Wechsel inmitten eines Abwärtstrends" die Rede.
"Es gab Zeiten, da haben wir den Football gut nach vorne gebracht und Punkte erzielt. Aber diese Zeiten wurden weniger und weniger", begründete McDermott seine Entscheidung. Der 49-Jährige ergänzte, dass es "nicht um zwei oder vier Spiele" gehe, sondern "um das Gesamtbild und zu diesem Zeitpunkt um die ganze Saison". Er hoffe, so McDermott, dass der Wechsel für "mehr Energie und Kreativität" sorge.
Nun gab es aber auch Stimmen, die hervorhoben, dass diese Aktion der letzte Versuch von McDermott gewesen sein könnte, seinen Job zu retten. Die "Sports Illustrated" schrieb beispielsweise am 18. November, dass sich McDermott "in ernster Gefahr" befinde, entlassen zu werden, sollte er "trotz der Fülle von Talenten in Offensive und Defensive die Playoffs verpassen".
Konstanz wie seit Levy-Ära nicht mehr
McDermott hat seit 2017 bei den Bills das Sagen. Er stand bei 97 Hauptrunden-Spielen an der Seitenlinie. Eine solche Konstanz hat es in Buffalo seit Marv Levy nicht mehr gegeben. Der mittlerweile 98-Jährige ist bei den Bills eine Art Otto Rehhagel. Über allen Dingen erhaben und unantastbar. Denn die Levy-Ära (1986 bis 1997), das war die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte - verbunden mit den größten Erfolgen, zugleich aber auch den schmerzlichsten Niederlagen.
Von 1991 bis 1994 hatten seine Bills viermal nacheinander den Super Bowl erreicht - und tatsächlich alle vier Endspiele verloren. Bis heute sind sie damit untrennbar mit einem NFL-Rekord verbunden, der so viel wert ist wie die Auszeichnung des hässlichsten Stadions der Liga.
Nach Levy war es mit dem Verein so, wie mit dem Wasser an den nahe gelegenen Niagara-Fällen: Es ging bergab. Erst mit McDermott kam wieder Konstanz. Gleich in seinem ersten Jahr erreichten die Bills die Playoffs - und beendeten somit eine 18-jährige Durststrecke. Kein anderes Team in den vier großen nordamerikanischen Profiligen hatte so lange auf eine K.-o.-Runden-Teilnahme warten müssen wie die Buffalo Bills.
Mittlerweile hat Sean McDermott 63,9 Prozent seiner Partien gewonnen - eine solche Quote kann nicht mal Levy (61,5 Prozent) aufweisen. Seit dieser Saison ist er nicht nur Headcoach, sondern auch Defensive Coordinator. Die Abwehr ist trotz der verletzungsbedingten Ausfälle einiger Leistungsträger eine Bank - und die Offensive hat seit dem Wechsel von Dorsey zu Brady einen wahren Qualitätssprung gemacht.
Mammut-Aufgaben bravourös gemeistert
Im ersten Spiel unter dem neuen Offensive Coordinator besiegte Buffalo die New York Jets 32:6, verbesserte die Bilanz auf 6:5. Es war allerdings nur ein Pflichtsieg, mehr nicht. Doch dann kam der steinigste und steilste Abschnitt dieser Punktrunde. Drei Spiele, drei Mammut-Aufgaben. Auswärts bei Vizemeister Philadelphia Eagles, auswärts bei Champion Kansas City Chiefs und Heimspiel gegen die Dallas Cowboys. Schwerer geht's kaum in dieser Saison.
Mittlerweile lautet die Bills-Bilanz 8:6. Und es hätte nicht viel gefehlt und Buffalo hätte gar neun Siege und nur fünf Niederlagen gehabt. In Philadelphia spielten die Bills stark, richtig stark. Sie hatten den Football knapp 14 Minuten länger in ihrem Besitz als Philly, produzierten einen herausragenden Raumgewinn von 505 Yards, führten bis 20 Sekunden vor Ende der 60 Minuten 31:28 und anschließend auch in der Verlängerung 34:31. Doch dann traf Eagles-Quarterback Jalen Hurts sie mit einem zwölf-Yard-Lauf in die Endzone zum knappen 37:34-Sieg mitten ins Herz.
Es hätte vielleicht schon der entscheidende Nackenschlag sein können. Aber die Bills flogen anschließend nicht enttäuscht nach Kansas City, sondern selbstbewusst. Der Auftritt in Philadelphia hatte Mut gemacht, sie im Glauben an die eigenen Fähigkeiten bestärkt. Und diesmal waren sie die Glücklichen. Buffalo führte 20:17, als Kansas City 72 Sekunden vor Schluss an der 49 Yards-Linie der Bills stand.
Kurz darauf jubelten die Gastgeber, hatten, so dachten sie, durch Kadarius Toney den Sieg bringenden Touchdown erzielt. Doch der Wide Receiver hatte zuvor beim Snap um wenige Zentimeter zu weit vorne gestanden - ein Regelverstoß, weshalb der Touchdown nicht zählte. Es sei nicht der schönste Sieg gewesen, das sei natürlich allen klar, betonte Josh Allen. Aber die Defensive habe "fantastisch gespielt."
Dallas Cowboys vorgeführt
Und jene Defensive hatte vergangenen Sonntag dann auch die beste Offensive der Liga komplett unter Kontrolle. Buffalo führte die Dallas Cowboys (mit einer 10:3-Bilanz angereist) beim 31:10-Erfolg regelrecht vor. Die Texaner hatten bis zur 57. Minute nur ein Field Goal erzielt, Quarterback Dak Prescott - Top-Anwärter auf den Titel des wertvollsten Spielers (MVP) - kam auf lediglich 134 Yards.
Sein Bills-Pendant, Josh Allen, hatte sogar nur 94 Yards hinter seinem Namen stehen. Doch er brauchte diesmal keine Pässe für einen Raumgewinn von mehr als 250 Yards werfen. Eine Vorlage auf den überragenden Runningback James Cook (221 Yards im Lauf- und Passspiel) sowie ein eigener Touchdown genügten an diesem Nachmittag in Buffalo. "Ich fühle mich wie ein Kind, das bei einem Klassen-Projekt nichts getan, aber trotzdem eine 1 bekommen hat", meinte Allen anschließend.
Die Siege gegen Kansas City und Dallas sowie die imposante Leistung in Philadelphia haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Eine starke Verteidigung und ein kreativer Angriff ergeben zwangsläufig ein gutes Team. Und dies sind die Bills zum Jahresende 2023 wieder. Sie zählen derzeit zu jenen Mannschaften, gegen die niemand gerne spielen möchte.
"Die Bills überdenken"?
Ob es an der Zeit sei, "die Bills zu überdenken?", fragte das Online-Portal "The Athletic" bereits. Die Antwort kann Buffalo nur selbst geben. Denn trotz der bemerkenswerten Auftritte gegen die drei Elite-Teams sind die Bills aktuell noch nicht auf einem Playoff-Platz. Die nächsten Gegner heißen Los Angeles Chargers (auswärts) und New England Patriots (heim) und abschließend Miami Dolphins (auswärts).
Um die K.-o.-Runde noch zu erreichen, müssen die Bills schon seit Wochen Playoff-Football spielen. Heißt: verlieren verboten. Sie haben sich durch unerwartete Niederlagen gegen die Jets (16:22 nach Verlängerung), Patriots (25:29) oder Broncos (22:24) selbst in diese Lage gebracht. Center Mitch Morse ist sich dessen bewusst. Er weiß, dass die Saison noch gerettet und das Minimalziel Playoffs erreicht werden kann. Er sagt allerdings auch: "Wir haben einen tollen ersten Schritt gemacht, aber es ist immer noch ein schwerer Weg für uns."
Quelle: ntv.de