Entwicklungs- oder Sterbehilfe? Nordische Kombination zittert um ihre Zukunft
01.06.2022, 06:54 Uhr
"Dass diese Überlegungen überhaupt angestellt werden, finde ich sehr traurig", sagt Eric Frenzel.
(Foto: REUTERS)
Die Nordische Kombination ist eine von lediglich sechs Disziplinen, die seit jeher Bestandteil der Olympischen Winterspiele sind. Doch, bleibt das auch so? In einer wegweisenden Entscheidung Ende Juni geht es um nichts weniger als ihre Existenz.
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat das Thema Gleichberechtigung auf seine Agenda gesetzt und möchte in allen Disziplinen Wettkämpfe für Männer und Frauen bei den Olympischen Spielen haben. Die Nordische Kombination bildet bis dato eine Ausnahme, schließlich durften an den 40 Medaillenentscheidungen in den bisherigen 24 Ausgaben der Spiele lediglich Männer teilnehmen. Wie sport.de erfuhr, könnte aber genau dieses "Alleinstellungsmerkmal" der Disziplin allerdings zum Verhängnis werden. Am 24. Juni wird das IOC darüber abstimmen, ob die Kombinierinnen 2026 zu Olympia dürfen. Die möglichen Abstimmungsergebnisse hätten auf ihre Art große Auswirkungen auf die Disziplin.
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Szenario (I), Die Frauen-Kombination schafft es ins Olympische Programm: Im Jahr 2016 verabschiedete der Internationale Ski- und Snowboardverband (FIS) ein Strategiepapier, mit dem man anstrebte, die Frauen-Kombination bereits 2022 ins Olympische Programm zu bekommen. Dass dieses Ziel nicht erreicht wurde, war ein herber Schlag. Doch die Verantwortlichen um Renndirektor Lasse Ottesen arbeiteten unermüdlich weiter und erfüllten die verbliebenen Ziele der Roadmap: Seit 2019 ist die Frauen-Kombination im Programm der Junioren-Weltmeisterschaften, im Dezember 2020 wurde der erste Weltcup ausgetragen und 2021 in Oberstdorf erstmals um Medaillen bei einer Nordischen Ski-Weltmeisterschaft gekämpft.
DSV-Athletin Svenja Würth, die sowohl die Weltcup- als auch die WM-Premiere mit bestritt, unterstrich gegenüber im Gespräch die Wichtigkeit der Aufnahme ins Olympia-Programm: "Wir hätten, allein was die Förderungen angeht, ganz andere Möglichkeiten, wenn die Disziplin olympisch werden würde." Zugleich appellierte sie, über den Status Quo hinauszublicken: "In den vier Jahren bis zu den nächsten Spielen könnte sich unheimlich viel entwickeln, das muss man bei der Entscheidung, auch wenn sie bereits jetzt getroffen wird, im Hinterkopf behalten."
Szenario (II), Der Nordischen Kombination droht das Aus – nicht nur bei Olympia: Die erneute Nicht-Aufnahme ins Olympische Programm stellt eine reale Bedrohung für die Nordische Kombination dar, schließlich ist es aufgrund der erwähnten IOC-Agenda höchst fraglich, ob sie bei einer erneuten Nicht-Aufnahme der Frauen auch nach 2026 olympisch sein wird. Diesen Umstand kritisierte der siebenfache Weltmeister Eric Frenzel im Gespräch mit sport.de deutlich: "Dass diese Überlegungen überhaupt angestellt werden, finde ich sehr traurig. Für mich gehört im Sport die Tradition mit dazu und unsere Sportart ist pure Tradition."
Der Verlust dieses Status würde alle bisherigen Aufbauversuche seitens der FIS und der nationalen Verbände konterkarieren und hätte zudem verheerende Folgen für das Fundament, auf dem die Disziplin fußt: Für die FIS wäre es ungemein schwierig, den Fortbestand des Weltcups zu sichern. Sponsoren und Veranstalter würden abspringen und mit ihnen die Wettkämpfe und damit auch die Medienpräsenz, vor allem durch TV-Übertragungen. Auch für die Athletinnen und Athleten wäre es ein herber Einschnitt: Mit dem Wegfall von Wettkämpfen würden die ohnehin geringen Preisgelder verschwinden und "die Kombination wird über kurz oder lang nicht mehr betrieben werden", mahnte Frenzel.
Das IOC wird am 24. Juni entscheiden, ob es Entwicklungshilfe leisten oder neben der Gleichberechtigungsidee auch eine Kerndisziplin des Wintersports mit beerdigen möchte.
Quelle: ntv.de