DDR-Doping wirkt nach Opfer haben keine Lobby
29.09.2010, 16:22 UhrDoping, Doping und kein Ende. 20 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten kommt die Diskussion nicht zur Ruhe. Neue Fälle und Enthüllungen belasten die Annäherung, viele Opfer fühlen sich trotz Entschädigung allein gelassen. Und im Westen passiert gar nichts.
Täter ohne Reue, Opfer ohne Lobby, Doping ohne Ende: 20 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und ein Jahrzehnt nach den bisher letzten Prozessen ist die Diskussion um den systematischen Betrug im DDR-Sport nicht vom Tisch. Zu alten Geschichten kommen neue Fälle, immer wieder wird das heiße Thema angeheizt. Eine Aufarbeitung gab es nur im Osten, eine Versöhnung wird es nie geben. Politik und Sport stellen die Erfolge heraus, die Dopingopfer sind frustriert.
Am 20. August 1998 wurden beim Pilotprozess gegen Verantwortliche des Doping-Systems Geldstrafen gegen drei Angeklagte verhängt. Zwei Jahre später, am 18. Juli 2000, wurde der langjährige DDR-Sportchef Manfred Ewald verurteilt: 22 Monate auf Bewährung wegen versuchter Körperverletzung - bis heute die höchste Strafe. Danach tat Eile Not, weil die Taten am 2. Oktober 2000 verjährten.
"Das ist eine weltanschauliche Korruption"
"Im Osten gab es über 100 Prozesse, die meisten sind mit Strafbefehlen abgeschlossen worden. Aber eine Bewährungsstrafe ist besser als gar nichts", sagt Werner Franke, Deutschlands bekanntester und bissigster Dopingfahnder. Im Westen, betont der Professor, "hat sich gar nichts getan. Das ist eine weltanschauliche Korruption." Franke sieht Licht und Schatten bei der Aufarbeitung. "Einiges ist ja an Wahrheit ermittelt und in Urteilen festgeschrieben worden. Das ist an sich schon ein Erfolg, ja. Schauen Sie doch mal in andere Länder: Ich kenne nur ein Urteil, das härter ausgefallen ist. Und das war ein Jahr Gefängnis in den USA", erklärt der 70 Jahre alte Molekular-Biologe aus Heidelberg.
"Der Sport hat in den vergangenen 20 Jahren wiederholt Anstrengungen unternommen, die Dopingproblematik aufzuarbeiten. Dabei sind auch Fehler gemacht worden, es kam zu Brüchen", sagt Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. "In den Fällen, wo es eine klare Faktenlage und eine juristische Handhabe gab, sind von staatlicher Seite Prozesse geführt worden. Diese waren richtig und alternativlos."
Opfern und Tätern gerecht zu werden, sei "eine große Aufgabe, die wahrscheinlich nie zur vollständigen Zufriedenheit aller lösbar ist. Wichtig ist, dass wir die Vergangenheit nicht vergessen und daraus für die Zukunft lernen", fordert Bach. Der DOSB lässt das Thema mit einer unabhängigen Studie "Doping in Deutschland" wissenschaftlich aufarbeiten; das Forschungsprojekt läuft bis 2012.
"Viele sind an den Spätfolgen gestorben"
Uwe Trömer gerät in Rage, wenn er das D-Wort nur hört. "Doping gleicht Gift, und dieses Gift wurde uns in Form von Experimenten zugeführt. Für mich steht das im Kontext von Gewaltverbrechen. Viele sind an den Spätfolgen gestorben", meint der Sprecher des Dopingopfer-Hilfevereins (DOH). Trömer war in der DDR ein guter Bahnradfahrer - heute ist er Dopingopfer mit bleibenden Organschäden und klagt die Täter an. "22 Monate Haft auf Bewährung. 25 000 Mark Geldstrafe. Viele Trainer und Funktionäre sind viel zu gut dabei weggekommen und heute wieder in Amt und Würden. Zum Beispiel in der Leichtathletik", sagt der 48-Jährige.
"Versuchen Sie, das mal meiner Mutter zu erklären: Mit 13 hat sie ihren Sohn kerngesund zum Sport gegeben. Und mit 23 hat sie ihn halbtot wiederbekommen - mit einer Papp-Urkunde in der Hand", sagt Trömer mit belegter Stimme. Die "Urkunde" besiegelte sein Aus als Leistungssportler in Erfurt.
Insgesamt 361 anerkannte Dopingopfer
Heute kämpft Trömer auch für seine früheren Leidensgenossen. Dass insgesamt 361 anerkannte Dopingopfer ein "Schmerzensgeld" von 9250 Euro beziehungsweise 10 439 Euro bekamen, ist für den Thüringer ein schlechter Witz. "240 000 Euro - diese Summe habe ich mal für meine Schmerzen und Leiden ausgerechnet. Ich weiß nicht, ob die den Leuten mit einer Handvoll Geld das Maul stopfen wollen. Wir haben keine Lobby, weder in der Politik noch im Sport oder in der Wirtschaft." Der DOH hatte insgesamt rund 600 Opfer erfasst.

"Im Osten war es die Politik, im Westen geht es um Kohle": Ines Geipel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
"Die historische Hypothek des DDR-Sports ist in der Tat zur Never-Ending-Story geworden", sagt die ehemalige Leichtathletin Ines Geipel, seit Jahren Sprachrohr und Frontfrau vieler Dopingopfer. "Im Osten war es die Politik, im Westen geht es um Kohle."
Die Literaturprofessorin aus Berlin ist für klare und harte Worte bekannt. "Dass Täter leugnen, ist ein alter Hut", sagt sie, "dass Opfer ohne Lobby sind, kennt man nicht anders, dass aber der deutsche Sport nach 20 Jahren Einheit so chemisch vergiftet wie nie ist, will vielleicht nur sagen, dass er auch ohne Zwangssystem DDR liebend gern zur DDR geworden ist", erklärt Ines Geipel, selbst ein Dopingopfer. Die ehemalige Sprinterin ließ sich aus den Rekordlisten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes streichen.
Quelle: ntv.de, Ralf Jarkowski, dpa