Mit WM-Titel ins Dschungelcamp Phil Taylor - ein letztes Mal auf 180
14.12.2017, 12:03 Uhr
Ein Jahr lang bereitet sich Phil Taylor auf diese Momente vor, auf seine letzten Auftritte im "Ally Pally". Der Rekord-Champion tritt noch einmal an die WM-Scheiben - und lässt das Darts-Spektakel zur großen One-Man-Show werden.
An einem Ziel ist Phil Taylor bei der Weltmeisterschaft 2018 bereits vor seinem ersten Wurf gescheitert. Im Juni hatte er verkündet, er werde bis zum wichtigsten Darts-Turnier des Jahres 60 Pfund abnehmen. Topfit wolle er sein, wenn er im legendären Alexandra Palace in London nach 30 Jahren zum letzten Mal auf großer Bühne vorstellig wird. Vor dem WM-Start schleppt sich der 57-Jährige indes immer noch mit einer so tüchtigen Wampe herum, dass der geplante Gewichtsverlust selbst im Dschungelcamp mit seinen Ekelprüfungen und der chronischen Mangelernährung nun absolut unerreichbar wäre. Dorthin übrigens zieht es "The Power", so lautet sein zufällig entstandener Spitzname, aber tatsächlich. Eine Teilnahme an der englischen Version "I'm a Celebrity, Get Me Out Of Here" im australischen Busch, so sagte Taylor vor wenigen Wochen, könne er sich sehr gut vorstellen - am liebsten als neuer Weltmeister.
- Geboren wurde Philip Douglas Taylor am 13. August 1960 in Stoke-on-Trent.
- Taylor ist Rechtshänder und spielt mit 26 Gramm schweren Darts.
- Taylor ist der erfolgreichste Dartsspieler aller Zeiten: Er gewann unter anderem 16 WM-Titel, ebenso oft siegte er beim World Matchplay. Die Premier League gewann er sechs Mal.
Am Fortschreiben seines ohnehin schon außergewöhnlich eindrucksvollen Erbes arbeitet der 16-fache Champion ab Freitag ein letztes Mal, wenn er in der ersten Runde auf Chris Dobey trifft (ab 22 Uhr im n-tv.de Darts-Liveticker), die Nummer 38 der Weltrangliste, die im Darts den klangvollen Namen "Order of Merit" trägt. Eine Pflichtaufgabe zum Auftakt, nicht mehr. Denn trotz leidenschaftlich gelebter und genossener Abschiedstournee hat Taylor, immer noch die Nummer sechs der Welt, im ganzen Jahr seinen Fokus nicht verloren. Und der richtet sich vehement auf seinen 17. WM-Triumph. "Ich habe keinen Druck, bin relaxed und werde es genießen. Ich kann die großen Turniere aber noch immer gewinnen, auch die WM", sagt er. Sein Sieg beim World Matchplay dem zweitwichtigsten Turnier der Szene, im Juli hat ihm gezeigt, dass immer noch alles möglich ist im Darts. In seinem Darts. Das ihn auch zum Multi-Millionär machte.
Anders als sein mittlerweile größter Konkurrent Michael van Gerwen, der als kleiner Junge dick war, ein fürchterlicher Fußballer, gemobbt wurde und sich mit dem Darts kleine Erfolge gegen den Frust und seine sich in Schlägen entladende Wut erarbeitete, polterte "The Power" großmäulig ans Oche. Während einer Showeinlage des bis Mitte der 1980er Jahre besten Dartsspielers der Welt, Eric Bristow, erklärte Taylor seiner Frau Yvonne ganz läppisch: "Wenn ich will, bin ich besser als er." Sie kaufte ihm daraufhin Darts und er trainierte. Wie ein Besessener. In der Kneipe eben jenes Bristow, den er toppen wollte. Der ließ ihn gewähren, förderte ihn gar. "Wenn Eric morgens in den Pub zurückkam, um aufzuräumen, stand Phil immer noch an der Scheibe und trainierte", erzählt Darts-Experte Elmar Paulke im Gespräch mit n-tv.de und "abends schwor er sich, erst schlafen zu gehen, wenn er drei 180er geworfen hatte". Die Scheibe hing in einem kleinen Raum, direkt neben dem Bett, in dem seine Frau verzweifelte, wenn die Pfeile mal nicht so flogen, wie es Taylor wollte.
"Der Pokal ist egal, was ist mit dem nächsten?"
Taylors Spitzname ist "The Power". Er verdankt ihm Peter George, einem Mitarbeiter des TV-Senders Sky. George war für die Inszenierung der Dartsturniere verantwortlich. Er hatte Taylor versprochen, einen geeigneten Spitznamen für ihn zu finden. Der Sender verwendete damals - es war Mitte der 90er - noch Musik-CDs. Im Dunkeln trat George, so erzählte Taylor in einem Interview, versehentlich auf eine CD-Hülle: "Es war "The Power" von der Band SNAP!. Das hat gepasst."
Taylor ist ein sportlich Getriebener. Der Mann, der als Jugendlicher in der dreckigen Malocherstadt Stoke-on-Trent mit verschiedenen Jobs sein Geld verdiente, der in einer Fabrik Toilettenhalter zusammenschraubte, fand im Kneipensport Darts seine Erfüllung. Das Pfeilewerfen machte ihn zufrieden, nicht aber satt. "Phil ist nie zur Ruhe gekommen, er hat nie gelernt Erfolge zu feiern. Wenn er nach einem Sieg nach Hause kam, so hat er mir mal verraten, sagte sein Vater: Der Pokal ist doch egal, was ist mit dem nächsten?", erzählt Paulke.
Taylors Denken ist bestimmt vom Erfolg und von der Angst davor, geschlagen zu werden. Er hat nie zu sich gesagt: Es reicht. So hat er seit 1990 seine bisher 16 WM-Titel eingefahren. So hat er auch 16 Mal das World Matchplay gewonnen. So hat er in den 1990er Jahren bereits regelmäßig Averages gespielt, die seine Konkurrenten erst Mitte der 2000er Jahre erreichten. So war er der Mann, den es zu schlagen galt, der so unglaublich schwer zu schlagen war.
Das möchte er nun noch einmal, ein letztes Mal beweisen - gegen den vermutlich härtesten Gegner seiner Karriere. Taylor, der alte, der seiner Zeit immer voraus war, der vier Generationen des Darts dominierte, Rekord um Rekord aufstellte, fordert ein letztes Mal van Gerwen, den jungen, den siegenden Holländer, wie ihn der "Spiegel" nach seinem Triumph bei der WM 2017 im Januar nannte, den Darts-Dominator mit der Gnade einer Abrissbirne. Und dieses Duell - eine schmalzigere Dramatik ist gar nicht möglich - kann es erst am 1. Januar geben, an jenem Abend, an dem der neue Weltmeister unwiderbringlich ausgeworfen wird. "Es wäre mein absolutes Wunschfinale. Ich habe das Bedürfnis dieses Taylor-Märchen mit leben zu wollen", sagt Paulke. "Dieses Spiel wäre für Phil die größte Herausforderung überhaupt." Taylors Traumgegner wäre aber ein anderer. Sagt er selbst: "Zweifelsohne Raymond van Barneveld (Dauerrivale Taylors und fünfmaliger Weltmeister, d. Red.) gegen mich. Ich liebe es, gegen ihn zu spielen und andersrum. Er nennt es 'den Clasico', und damit hat er vollkommen recht." Taylor gegen "Barney", das eine Finale fürs Herz. Taylor gegen van Gerwen eins für die Darts-Ewigkeit.
- Elmar Paulke ist Sportjournalist und Moderator.
- Seit dem Jahr 2005 kommentiert er für Sport1 die WM und andere Übertragungen der PDC-Turniere.
- Er gilt als die deutsche Stimme des Darts.
- Gemeinsam mit Spieler Tomas "Shorty" Seyler hat sich Paulke in Deutschland eine große Fangemeinde erarbeitet.
- Paulke hat auch bereits mehrere Bücher über den Darts-Sport geschrieben.
Zwar hat Taylor auf seinem unvergleichbar-sensationellen Zug durch die Darts-Welt vier Generationen dominiert, hat wieder und wieder seine größten Kontrahenten vom Board gespielt, Förderer Bristow zum Beispiel, den er in seinem ersten WM-Finale mit 6:1 vermöbelte, oder auch van Barneveld, gegen den er allerdings im WM-Finale 2007 auch seine bisher schwerste sportliche Niederlage erlitt. Aber die Klasse von van Gerwen hatte bislang niemand. "Das Niveau, welches Michael in den vergangenen beiden Jahren gespielt hat, hat noch niemand erreicht", sagt Paulke. Selbst Taylor in seiner ganzen Karriere nicht. "Beide", so erklärt der Experte, "hätten richtig Bock auf dieses Duell." Und für den Niederländer ist es auch die letzte Chance, eine kleine Schmach zu tilgen. Denn noch nie konnte er die Legende im "Ally Pally" besiegen. Gut, es waren auch erst zwei Duelle, darunter aber auch das WM-Finale 2013. "Diesen WM-Triumph bezeichnet Taylor als seinen wichtigsten, neben dem ganz besonderen ersten natürlich", erzählt Paulke, der im Vorfeld dieser WM eine Dokumentation über "The Power" gedreht hat.
Der brutale Weg ins Finale
Der Weg zum großen Showdown ist für Taylor allerdings brutal schwierig. Schon im Achtelfinale könnte James Wade warten, die Nummer 11 der Welt. Im Viertelfinale droht das Aufeinandertreffen mit Gary Anderson. Der Schotte stand 2015, 2016 und 2017 im Finale und hat das Turnier zweimal gewonnen. Außerdem lauern in der unteren Hälfte des Turniertableaus mit Simon Whitlock, Mervyn King, Adrian Lewis und Peter Wright weitere ehemalige und aktuelle Stars des Dartssports. Ein frühes Aus schließt Paulke trotz der Auslosungshärte aus. "Phil macht das nichts aus. Er geht auch nicht in die Spiele und denkt, es könnte mein letztes sein."
Die Emotionalität des Abschieds übermannt ohnehin eher seine Gegner als ihn selbst. Schon vor dem Finale beim Worldmatchplay im Juli brach Taylors Gegner Wright in Tränen aus. Nach dem Spiel weinte er weiter (nicht wegen der Niederlage). Ebenso der Moderator. Taylor machte dagegen alles wie immer: Er steckte die Pfeile in die rechte Brusttasche, umarmte den Gegner, schüttelte die Hände der Schiedsrichter auf der Bühne, nahm den roten Rand vom Board und signierte die Scheibe. "Zum Moderator sagte er damals: Du hast Tränen in den Augen", erinnert sich Paulke. "Dabei hätte er selbst doch weinen sollen!" Aber bei Taylor ist es eben so: Dieser Pokal ist doch egal, was ist mit dem nächsten? Und abnehmen? Kann er im Dschungel. Als Weltmeister, als 16-facher. Mindestens.
Quelle: ntv.de