Entscheidung bei der Darts-WM Schafft Price, was van Gerwen nicht gelingt?
01.01.2022, 10:19 Uhr
Gerwyn Price könnte nach Phil Taylor, Adrian Lewis und Gary Anderson als vierter Spieler den WM-Titel verteidigen.
(Foto: picture alliance / empics)
Die Darts-WM biegt in die finale Phase ein, am Neujahrstag stehen die Viertelfinals an. Mit Titelverteidiger Gerwyn Price und Vorgänger Peter Wright, aber ohne Michael van Gerwen. Wer hat jetzt die besten Chancen auf den Titel im "Ally Pally"?
Die Darts-Weltmeisterschaft 2022 in London wird vom Coronavirus überlagert, hat aber auch sportlich einiges zu bieten. Enorm viele Partien sind bis zum Viertelfinale erst im letztmöglichen Satz entschieden worden. Die ein oder andere große Überraschung hat es auch schon gegeben. Am Ende dürften aber die üblichen Verdächtigen den Titel unter sich ausmachen. Die Favoriten, Geheimtipps und Außenseiter im Power-Ranking.
1. Gerwyn Price: Der Weltranglistenerste und Titelverteidiger hat sich vor allem mit einem nie gefährdeten 4:1-Sieg gegen Dirk van Duijvenbode zurück in die Spur gebracht. In der Partie gegen den Niederländer gewann Price zwölf Legs in Folge. Seine Auftritte zuvor waren dagegen weniger kompromisslos. Zum Auftakt musste er gegen Qualifikant Ritchie Edhouse lange zittern (3:1), gegen den Belgier Kim Huybrechts hatte Price Glück (4:3). In Summe klingt sein bisheriger Weg durch das Turnier aber trotzdem weltmeisterlich. Das wichtigste Turnier gewinnt meist nicht, wer seine Gegner reihenweise an die Wand spielt, sondern wer auch mal kritische Momente übersteht.
Im Viertelfinale muss der "Iceman" gegen Michael Smith ran und damit gegen den Spieler, der bislang am meisten überzeugt hat. Doch anders als Price weiß der Engländer nicht, wie man große Titel einfährt. Das spricht für Price, der froh sein wird, nicht gegen seinen Landsmann Jonny Clayton ran zu müssen. Im Spiel gegen den Schnellwerfer Smith kann Price auch taktisch vorgehen: Immer mal wieder verlangsamen, laut jubeln, das Publikum anstacheln. Fraglich, ob Smith in solch einer Situation genauso stark aufspielt wie zuletzt.
Price könnte mit einem weiteren WM-Titel seinen Nummer-1-Status zementieren und als erst vierter Spieler der Darts-WM den Titel verteidigen. Das haben bislang nur Phil Taylor, Adrian Lewis und Gary Anderson geschafft, Michael van Gerwen ist es bisher nicht gelungen. Mit zwei Weltmeister-Titeln in Serie wäre der Ex-Rugbyprofi zudem für mindestens ein weiteres Jahr nicht von der Weltranglisten-Spitze zu verdrängen und könnte damit eine neue Ära einläuten. Schon jetzt ist klar: Auch nach der WM grüßt der "Iceman" von Platz eins, die Frage ist nur wie groß sein Vorsprung sein wird.
2. Peter Wright: Der Schotte hat das Turnier vor zwei Jahren gewonnen und ist spätestens seitdem nicht mehr aus der Darts-Elite wegzudenken. Mittlerweile ist der Trophäenschrank des 51-Jährigen prall gefüllt. Gegen einen weiteren WM-Pokal hat Wright sicherlich nichts einzuwenden. Im bisherigen Turnierverlauf erwischte Wright nur eine schwache Viertelstunde, als er in der zweiten Runde gegen Damon Heta mit 0:2 in Rückstand geraten war. Nachdem er in typischer Wright-Manier mit anderen Darts weiterspielte, lief es wieder. Wright drehte die Partie und hatte im Achtelfinale mit Ryan Searle überraschend wenig Probleme.
Sein Viertelfinalgegner ist WM-Überraschung Callan Rydz. Bauernhof-Besitzer Wright ist im Vorteil, weil er anders als sein Gegner derart lange Spiele kennt. Für den Sieg braucht es fünf Sätze, im Halbfinale sechs, im Finale sieben. Rydz hat bislang nie mehr als fünf Sätze am Stück in seiner Karriere gespielt.
3. Michael Smith: Gegen den "Bully Boy" spricht in erster Linie sein Viertelfinalgegner Gerwyn Price. Sollte Smith im Duell mit dem Titelverteidiger aber ähnlich beeindrucken wie im Achtelfinale gegen Jonny Clayton, wird er Price definitiv gefährlich. Lässt sich Smith von Price nicht aus der Reihe bringen und hat anders als in der Vergangenheit seine Nerven im Griff, kann er die Partie gewinnen. Sein Weg zum langersehnten ersten großen Titel überhaupt wäre dann ausgerechnet beim wichtigsten Turnier der Darts-Welt frei.
Befreit kann Smith, der genau wie Wright auf einem Bauernhof wohnt, schon jetzt aufspielen: Dank seiner brutal starken WM-Auftritte dürfte ihm eine Wildcard für die finanziell lukrative Premier League sicher sein. Das macht den Kopf frei und könnte den "Bully Boy" noch gefährlicher machen.
4. Gary Anderson: Viele haben ihm in diesem Jahr, das über weite Strecken so schwach war, nicht viel zugetraut. Auch, weil die Auslosung für den zweifachen Weltmeister einige hohe Hürden parat hielt. Zum Auftakt musste Anderson den Ex-Weltmeister Adrian Lewis aus dem Weg räumen, nach einem famosen Comeback gegen Ian White (4:3 nach 0:3) wartete Rob Cross auf den Schotten. Gegen den gelernten Elektriker war "The Flying Scotsman" nur Außenseiter. Doch in den wichtigsten Spielen wächst Anderson immer noch regelmäßig über sich hinaus, wie sein 4:3-Sieg unter Beweis gestellt hat.
Im WM-Viertelfinale trifft die erfahrene Darts-Legende in Luke Humphries auf eines der vielversprechendsten Talente überhaupt. Anderson ist Favorit, müsste aber im Falle eines Sieges noch zwei Duelle aus der Außenseiter-Rolle heraus bestreiten. Möglicherweise gegen Wright im Halbfinale und eventuell in einer Neuauflage des Vorjahresendspiels gegen Price.
5. James Wade: Der kauzige Engländer hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Nur der WM-Titel fehlt. Gerade mal drei Halbfinal-Teilnahmen stehen für James Wade bei 17 Versuchen zu Buche. Für einen Spieler seiner Klasse ist das viel zu wenig. Nach einem entspannten Turnierverlauf, in dem "The Machine" nie gefordert wurde, bahnt sich diesmal aber ein großer WM-Lauf an. Wade, der Spiele selten spektakulär gewinnt, dafür in beeindruckender Manier Arbeitssieg an Arbeitssieg reiht, besiegte in Maik Kuivenhoven und Martijn Kleermaker zwei niederländische Qualifikanten. Zwischendrin bekam er ein Freilos, weil Vincent van der Voort zur dritten Runde wegen eines positiven Corona-Tests nicht antreten durfte.
Neujahr, ab 13:30 Uhr
James Wade - Mervyn King
Luke Humphries - Gary Anderson
Neujahr, ab 20:30 Uhr
Peter Wright - Callan Rydz
Gerwyn Price - Michael Smith
Auch im Viertelfinale ist Wade gegen Mervyn King in der Favoritenrolle. Gut möglich, dass Wade mit einem weiteren Arbeitssieg ins Halbfinale einzieht. Dass er dann auch für die potenziell stärkeren Scoring-Maschinen Price und Smith ein ekliger Gegner sein kann, hat er schon oft bewiesen. Bis zum Weltmeister-Titel darf's dann aber schon mal eine 180 sein. Den Highscore hat Wade im gesamten Turnierverlauf bislang nicht ein einziges Mal geworfen.
6. Callan Rydz: Der 23 Jahre junge Engländer ist die größte Überraschung dieser WM. Im Schnelldurchlauf gewann der ungesetzte Rydz seine vier Partien, gab dabei nur einen einzigen Satz ab. Was nicht an der Qualität seiner Gegner lag. In Runde 3 besiegte Rydz den Weltranglistenzehnten Nathan Aspinall überraschend glatt mit 4:0, in der Runde zuvor spielte Brendan Dolan beim 3:0-Sieg für Rydz einen Punkte-Durchschnitt von über 100. Zur Einordnung: Das haben von den acht Viertelfinalisten nur vier jeweils einmal bei dieser WM geschafft: Price, Wright, Smith und Rydz.
Gegen den Engländer im WM-Rennen spricht allerdings die Tatsache, dass er im Vergleich zu seinen Gegnern noch völlig unerfahren ist. Auf dem Weg zu einem möglichen Titelgewinn bräuchte Rydz mutmaßlich drei Sensationssiege.
7. Luke Humphries: Rydz ist neben Humphries eines der größten Versprechen im englischen Darts. Bei seiner fünften WM-Teilnahme ist "Cool Hand Luke" bereits zum dritten (!) Mal ins Viertelfinale eingezogen. Der "Ally Pally" liegt dem 26-Jährigen, die Runde der letzten Acht war allerdings bislang immer auch Endstation. Nach einem 1:5 gegen Michael Smith 2019 und einem 3:5 gegen Peter Wright im Jahr danach wartet diesmal Gary Anderson. Humphries ist Außenseiter, hat aber aus dieser Rolle heraus immer wieder aufgetrumpft. Bei der WM 2019 besiegte Humphries sensationell den damaligen Titelverteidiger Cross, im Frühjahr 2021 setzte sich der Engländer im Halbfinale der UK Open gegen einen gewissen Michael van Gerwen durch.
8. Mervyn King: Mit 55 Jahren ist "The King" der älteste Viertelfinalist dieser Weltmeisterschaft. Und womöglich der größte Außenseiter im Titelkampf. King, der in der Weltrangliste seit Jahren zwischen 16 und 24 platziert ist und regelmäßig überrascht, hat in seiner langen Laufbahn noch kein großes PDC-Turnier gewonnen. Insbesondere lange Partien können für den Engländer, der sich in der Vergangenheit mit starken Rückenprobleme herumplagen musste, zum Problem werden. Gegen James Wade könnte es mit einem weiteren Sieg klappen, aller Wahrscheinlichkeit ist das Halbfinale für ihn aber das Höchste der Gefühle.
Quelle: ntv.de