
Carlsens St.-Pauli-Debüt rief großes Medieninteresse hervor.
(Foto: dpa)
Mit der Verpflichtung von Magnus Carlsen für die Schach-Bundesligamannschaft ist dem FC St. Pauli ein Coup gelungen. Sein Debüt für den Kiezklub wird allerdings von Protesten begleitet. Der FCSP bittet um Differenzierung - ausgestanden scheint das Thema jedoch nicht.
Die Fans des FC St. Pauli kürzten den Nachnamen zwar ab, aber natürlich wussten alle, wen die Gruppierung "Nord Support" meinte. "Der Sündenfall des Magnus C." schrieb sie auf den Flugblättern, die rund um einen Spieltag der Schach-Bundesliga verteilt wurden. Weil dort Magnus Carlsen erstmals für die Schachabteilung des Kiezklubs antrat, um dieser dabei zu helfen, den Traum vom Klassenerhalt in der stärksten Liga der Welt zu verwirklichen. Als Teenager hatte der Norweger einst für die Schachfreunde Neukölln aus Berlin debütiert, wie ein leicht unscharfes Foto auf der Liga-Webseite zeigt, und zuletzt als 18-Jähriger für die OSG Baden-Baden um Punkte gekämpft. Nun, mit 34 Jahren, schritt er also für den FCSP ans Brett.
Das sorgte einerseits für große Begeisterung, schließlich wird Carlsen gemeinhin als immer noch bester Schachspieler der Welt angesehen, obwohl er seinen Weltmeistertitel nach vier erfolgreichen Verteidigungen abgelegt hat, weil er sich dafür nicht mehr zu motivieren wusste. Andererseits wurde zwischen der Verpflichtung Carlsens durch den FC St. Pauli und seinem ersten Einsatz für die Hamburger ein Deal öffentlich, den die "Nord Support" jetzt eben als "Sündenfall des Magnus C." ausdrücklich kritisierte.
Denn die Schach-Ikone wurde in einer Pressemitteilung der vom saudi-arabischen Staatsfonds PIF finanzierten Esports World Cup Foundation genannt, die eine Partnerschaft mit chess.com geschlossen und Online-Schach in das Programm der Esports-WM 2025 in Riad aufgenommen hat. Mit Carlsen als globalem Botschafter. Für den 34-Jährigen eine "unglaubliche Möglichkeit, das Wachstum des Spiels voranzutreiben und ein neues Publikum zu erschließen". Kurzum schlicht das, was globale Botschafter ebenso sagen.
Und da der PIF eben als Geldgeber dabei ist und das Event in Saudi-Arabien stattfindet, gehört Carlsen nun eben zu all jenen Sportstars, die für die Öffentlichkeitsarbeit des Gastgebers der Fußball-WM 2034 eingebunden werden. Wie Cristiano Ronaldo und Rafael Nadal, wie Lionel Messi und Neymar, wie Newcastle United und die Formel 1.
Spielt Carlsen beim nächsten Mal im Ballsaal des Millerntor-Stadions?
Die Schachabteilung des FC St. Paul sieht das allerdings etwas differenzierter. Carlsen trete als Botschafter "nicht für Saudi-Arabien" auf, sagte der stellvertretende Leiter Oliver von Wersch dem "Hamburger Abendblatt", sondern "nur für sein Turnier. Das ist für uns ein großer Unterschied." Auf Anfrage von ntv.de heißt es, damit sei bereits alles zu dem Thema gesagt, zudem wird auf einen Kommentar der örtlichen Tageszeitung mit der Überschrift "Kritik von St. Paulis Fans an Magnus Carlsen verfehlt ihr Ziel" verwiesen. Darin wird ein "Faktencheck" empfohlen, demzufolge Carlsen eben nur das Schachturnier bewerbe und nicht für Saudi-Arabien werbe: "Die Schachabteilungsleitung des FC St. Pauli überprüfte dies eingehend, ebenso wie das Wertekorsett Carlsens, das für einwandfrei befunden wurde."
Allerdings heißt es im "Abendblatt" überdies, dass die Kritik "grundsätzlich den richtigen Ansatz wählt". Denn ein Klub wie der FC St. Pauli, der sich selbst einen "klar ausgerichteten Wertekompass" geschaffen hat, muss sich an diesem dann auch messen lassen. So sei "Sensibilisierung in einer Organisation wichtig, die sich Leitlinien gesetzt hat". Das könnte künftig auch das Trainingslager in Österreich betreffen, wenn dort bald Bundeskanzler Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ regiert, die Russland-Sanktionen ablehnt, ihre Wahlparty mit Rechtsextremen als "normale Wahlparty" verteidigte und eine gewaltige Liste rechtsextremer und neonazistischer Vorfälle vorzuweisen hat. Was eine Reise des FC St. Pauli dorthin wohl ausschließen müsste.
Eine Rückkehr Carlsens in die Hansestadt ist dagegen alles andere als ausgeschlossen, so zumindest ist der Hinweis auf das nächste Heimspielwochenende in der Antwort auf die ntv.de-Anfrage zu verstehen, dass die Schachabteilung im März in den "Ballsaal der Haupttribüne des Millerntor-Stadions" einlädt. Wobei "noch nicht klar" ist, "ob Magnus wieder für uns antritt". Zustande gekommen ist der Einsatz Carlsens für den Kiezklub über den Unternehmer Jan Henric Büttner, dessen Weissenhaus Chess Academy mit dem FC St. Pauli eine Kooperation schloss. Büttner hat außerdem mit dem Norweger die Freestyle Chess Grand Slam Tour an den Start gebracht, bei der Positionen der Figuren ausgelost werden, um altbekannte Strategien der Eröffnung und Verteidigung aufzubrechen.
Geschäftspartner kündigt Auftritt in kontroversem US-Podcast an
Sollte Carlsen im März am Millerntor weilen, könnte dem FC St. Pauli also erneuter Protest aus der Fanszene begegnen. Dessen Intensität auch davon abhängen dürfte, wie sich der Schach-Superstar bei einem Auftritt in den USA gibt, den Büttner im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Norwegens ankündigte. Bei NRK sagte er, dass Carlsen im Februar bei "The Joe Rogan Experience" zu Gast ist, also im Podcast von Joe Rogan. Dessen Folgen wurden milliardenfach abgerufen, weshalb Spotify laut "Wall Street Journal" im vergangenen Jahr bis zu 250 Millionen US-Dollar investierte, um den Exklusivvertrag mit Rogan zu verlängern.
In mehr als 2200 Folgen gibt sich dort die Prominenz das Mikrofon in die Hand, in den vergangenen vier Monaten unter anderem Elon Musk, Mark Zuckerberg, Peter Thiel und der kommende US-Präsident Donald Trump, für den Rogan eine Wahlempfehlung ausgesprochen hatte. Aber auch Mel Gibson, der seit Jahren eher mit menschenfeindlichen Äußerungen auffällt als mit schauspielerischen Darbietungen. Rogan verschafft in seinem Podcast immer wieder auch Verschwörungserzählungen eine große Öffentlichkeit, während der Corona-Pandemie verbreitete er Falschinformationen, laut "New York Times" wurden mehr als 70 Folgen von Spotify entfernt.
Über Wladimir Putin sagte Rogan nach der russischen Invasion in die Ukraine, dieser sei ein "starker Leader", während er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorwarf, den Krieg zu eskalieren. Weder Carlsens Management noch "The Joe Rogan Experience" bestätigten den Termin in Texas zwar bislang laut NRK - es wäre jedoch überraschend, wenn Büttner als enger Vertrauter des Schach-Giganten Quatsch erzählt hätte. Und so werden sicher auch rund um St. Pauli ein paar Menschen ganz genau hinhören, wenn die stundenlange Aufnahme veröffentlicht wird. Vor allem, wenn Carlsen dann wenig später am Millerntor wieder auf Sieg spielen sollte.
Quelle: ntv.de