"Letzter Nagel im Sarg" Top-Sprinter läuft Depression nicht davon
13.08.2020, 18:00 Uhr
Noah Lyles spricht über seine Depression abseits der Tartanbahn.
(Foto: imago images/Bildbyran)
Er bezwingt die meisten Konkurrenten auf der Tartanbahn - doch seiner Krankheit entkommt er nicht. Sprintstar Noah Lyles leidet unter Depressionen. Corona, Olympia-Verschiebung, Rassismus-Debatte - es ist zu viel für den 23-Jährigen. Doch er findet einen Weg, damit umzugehen.
In den vergangenen Monaten lieferte sich Leichtathletikstar Noah Lyles immer wieder erbitterte Kämpfe. Nicht gegen die Konkurrenz auf der Bahn - die übermächtigen Gegner waren die bösen Geister in seinem Kopf. Ein Kampf, den er bereits seit seinem achten Lebensjahr führt und den schon viele vor ihm verloren haben. Der 200-Meter-Weltmeister aus den USA leidet unter Depressionen. "Es war das Schwerste, mit dem ich jemals zurechtkommen musste", sagte der 23-Jährige vor dem Start der Diamond League am Freitag in Monaco.
In der letzten Zeit war viel über ihn hereingebrochen, zu viel: Corona, Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und die Black-Lives-Matter-Bewegung. Es ging bis an die Grenzen der Erträglichkeit, und darüber hinaus. "Am schlimmsten war es im April", sagte Lyles: "Es war der perfekte Sturm aus all diesen Dingen. Dann denkst du dir: Okay, worauf soll ich meine Aufmerksamkeit jetzt richten?"
Vor allem die durch den gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyds ausgelöste Bürgerrechtsbewegung machte ihm schwer zu schaffen: "Das war der letzte Nagel im Sarg", erklärte der Topsprinter, mit 19,50 Sekunden viertschnellster Läufer der Geschichte über die halbe Stadionrunde.
"Ich kann nicht mehr!"
Vor der Kamera gibt sich Lyles meist als fröhlicher Top-Athlet. In ihm sieht es aber oft düster aus - und das schon seit 15 Jahren: "Das geht so, seit ich acht Jahre alt bin, und äußert sich in unterschiedlichen Formen und zu unterschiedlichen Phasen in meinem Leben."
In den vergangenen Monaten sei er dann "an den Punkt gekommen, wo ich gesagt habe: Ich kann das hier nicht mehr!" Seine Mutter Keisha Cane war es, die ihn schließlich zu einer Veränderung bewegte: "Sie hat einfach gesagt: 'Es ist Zeit, dass du anfängst, Medikamente zu nehmen'", so Lyles: "Ich stimmte zu, denn alles, was ich tat, das mir zuvor geholfen hatte, hat mir nicht mehr geholfen." Seit Anfang August nimmt Lyles mittlerweile Antidepressiva: "Es war eine der besten Entscheidungen, die ich seit einer Weile getroffen habe", schrieb er auf seinem Twitter-Kanal. Seitdem könne er denken "ohne den dunklen Unterton, dass alles egal ist". Neben den Medikamenten wird der 23-Jährige sportlich und persönlich von zwei Therapeuten betreut.
Am Freitag tritt Lyles in Monaco über seine Paradestrecke 200 Meter unter anderem gegen seinen Bruder Josephus und den neuen deutschen 100-Meter-Meister Deniz Almas an. Dann kann er sich wieder dem sportlichen Kampf stellen, hoffentlich befreit von den bösen Geistern.
Quelle: ntv.de, Jenni Lügger, sid