Handball-Manager Oliver Roggisch"Unsere Jungs sind kein One-Hit-Wonder"

Die deutschen Handballer sind bereit für die Weltmeisterschaft. Im Interview mit n-tv.de spricht Teammanager Oliver Roggisch über das leidige Hick-Hack um die TV-Rechte, die grenzwertige Belastung der Spieler, die Chancen bei der WM und seine Karriereplanung.
Oliver Roggisch, Teammanager der deutschen Handballer, spricht vor Beginn der Weltmeisterschaft in Frankreich über die Entwicklung des Europameisters, die grenzwertige Belastung der Spieler, das leidige Hick-Hack um die TV-Übertragung und seine Karriereplanung nach dem Abschied von Bundestrainer Dagur Sigurdsson.
n-tv.de: Als die deutschen Handballer vor einem Jahr in Breslau landeten, um die Europameisterschaft zu bestreiten, waren alle Kameras auf Sie gerichtet, weil der Teammanager das Gesicht einer Mannschaft der Namenlosen war. Heute sind die „Bad Boys” eine Marke. Verblüfft Sie das Tempo?
Oliver Roggisch: Nicht wirklich, ich bin ja wesentlich näher dran an den Jungs als Außenstehende, habe also eine andere Perspektive. Ich wusste schon vor EM-Beginn, zu was diese Jungs in der Lage sind, wenn sie ins Laufen kommen. Ein Andi Wolff oder ein Tobi Reichmann waren in ihren Klubs ja schon etablierte Stammkräfte. Oder auch ein Kai Häfner, der in Polen als Nachrücker ein Wahnsinnsturnier gespielt hat. Wir wussten, wie viel Qualität da drin steckt, nur war das der breiten Öffentlichkeit damals noch nicht bekannt.
Was hat sich durch den Popularitätsschub geändert?
Vor allem, dass diese Truppe von keinem mehr unterschätzt wird, auch wenn sie immer noch sehr jung ist. Wir haben den EM-Titel durch den Gewinn von Olympia-Bronze in Rio bestätigt. Das ist kein One-Hit-Wonder. Aber wir wissen auch, wie schnell es bergab gehen kann. Ein paar schwache Minuten in einem Knock-Out-Spiel, und du bist draußen. Das kann uns aber nicht von unserem Weg abbringen, weil wir bis 2020 geplant haben.
War Ihr Lampenfieber vor großen Turnieren als Spieler eigentlich größer als in ihrer heutigen Funktion als Strippenzieher im Hintergrund?
Das ist kaum zu vergleichen, weil ich mich jetzt für die ganze Mannschaft verantwortlich fühle. Als Spieler kümmerst du dich in erster Linie um dich und deinen körperlichen Zustand. Heute kümmere ich mich um das große Ganze.
Bundestrainer Dagur Sigurdsson bezeichnet Sie als König der Excel-Tabellen. Gehen Sie so sehr in Ihrem Job auf?
Ich bin damit tatsächlich ziemlich happy. Ich habe schon früh gesagt, dass ich kein Trainer werden will. Ich fühle mich wohl, im Hintergrund zu arbeiten. Ich kann Leute führen, habe ein großes Netzwerk und einen guten Draht zu den Medien. Wir haben zusammen mit dem Trainerteam ein super Arbeitsklima. Von daher habe ich hier meinen Traumjob gefunden.
Die Handballer klagen seit Jahren über die riesige Belastung. Nun kommt eine WM mit der kürzesten Vorbereitung, die es je gab, auf sie zu. Wann ist die Grenze erreicht?
Wir haben die Grenze längst überschritten. Für Spieler, die in der Meisterschaft, im Pokal, in der Champions League und in der Nationalmannschaft gefordert sind, ist das Pensum ein Wahnsinn. Das sieht man daran, dass sich immer mehr eine Pause verordnen, indem sie Lehrgänge oder Turniere absagen. Selbst jüngere Spieler ziehen die Notbremse. Wir brauchen jedes Jahr eine EM oder WM, weil Handball nicht so im Fokus steht wie Fußball. Aber in der Champions League kann man sicherlich das ein oder andere Spiel streichen.
Der Bundestrainer hat eine ganz eigene Herangehensweise, mit Ausfällen umzugehen: Für ihn fallen keine Spieler aus, es kommen neue dazu. Ist dieser unerschütterliche Optimismus ansteckend?
Na sicher. Nicht über verletzte Spieler zu reden, ist das Beste, was du machen kannst. Wir reden nur über die Spieler, die dabei sind. Das sind schließlich alles gestandene Bundesliga-Profis.
Lassen Sie uns einmal gegen die eherne Regel verstoßen: Steffen Weinhold, Fabian Wiede, Christian Dissinger. Wer wird am schmerzlichsten vermisst?
Alle drei, weil sie klasse Spieler sind. Steffen Weinhold nicht nur als Linkshänder, sondern weil er im Mannschaftsrat Verantwortung übernimmt. Fabian Wiede war vor seiner Schulterverletzung richtig gut drauf, Christian Dissinger kann dir mit leichten Toren aus neun oder zehn Metern extrem weiterhelfen. Damit ist es aber auch gut, über diese Spieler sprechen wir erst wieder, wenn sie zu uns zurückkehren.
Holger Glandorf und Hendrik Pekeler stehen in der Heimat auf Abruf. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer oder gar beide im WM-Verlauf zu sehen sind?
Notnagel hört sich immer ein bisschen bescheuert an, vor allem bei Spielern mit dieser Qualität. Aber wenn nichts Großartiges passiert, werden wir das Turnier in Frankreich mit dem Kader durchziehen, der nominiert wurde.
Die neue Generation formuliert Ziele offensiver als zu Zeiten eines Heiner Brand. Torhüter Andreas Wolff sagt, er fahre nach Frankreich, um Weltmeister zu werden.
Grundsätzlich finde ich es gut, wenn Spieler eine eigene Meinung haben und die auch vertreten. Offiziell lautet unsere Vereinbarung, besser abzuschneiden als bei der WM 2015 in Katar, wo wir Siebter waren. Bei einer solch jungen Truppe halte ich es nicht für zielführend, ständig von Medaillen zu sprechen. Aber wenn Einzelne das anders formulieren, ist das vollkommen in Ordnung.
Wie schwer wiegt die Hypothek, dass mit Dagur Sigurdsson der Baumeister der Mannschaft nach der WM nach Japan weiterzieht?
Das ist überhaupt kein Thema. Wir können es ja nicht beeinflussen. Wir wollen in Frankreich alles rausholen, was möglich ist. Mit Dagur Sigurdsson. Alles andere kommt danach.
Im Vorfeld der WM wurde mehr über die TV-Übertragung debattiert als über das Turnier. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein.
Sicherlich nicht. Wenigstens gibt es im Internet einen Livestream zu sehen. Wir hoffen, dass sich möglichst viele Handballfans zum Public Viewing treffen und ein Event daraus machen werden.
Wenn das EM-Finale im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen wird, schauen in Deutschland mehr als 13 Millionen zu. Wenn die WM im Netz versteckt wird, werden nicht einmal zehn Prozent übrig bleiben. Das ist doch bitter.
Klar. Große Turniere müssen im Free-TV zu sehen sein. Alles andere ist inakzeptabel.
Sind Sie als Teammanager in die Suche nach einem neuen Bundestrainer involviert?
Aktiv nicht, aber ich bin informiert. Es gab eine Liste mit fünf Kandidaten, mit Christian Prokop und Markus Baur sind noch zwei übrig geblieben. Einer von ihnen wird es werden.
Wie sieht Ihre persönliche Karriereplanung aus?
Mein Vertrag mit dem DHB läuft im Sommer aus. Nach der WM werden wir uns zusammensetzen und reden. Ich werde erst entscheiden, wenn ich mit dem neuen Bundestrainer gesprochen habe und weiß, ob er mich in seinem Team haben will. Da ich mich mit beiden Kandidaten gut verstehe, sollte das kein Problem sein.
Sie sind neben Ihrem Job beim DHB noch in ähnlicher Funktion bei den Rhein-Necker Löwen gefordert. Bleibt da noch Zeit für Ihre Leidenschaft Tauchen?
Schwieriges Thema, das nicht einfacher wird, weil ich vor drei Monaten auch noch Vater geworden bin. Ich habe vor längerer Zeit eine Tauch-Safari auf Französisch-Polynesien gebucht, die im Sommer ansteht. Auf die zwei Wochen auf dem Katamaran freue ich mich sehr. Und wenn mein Sohn solch eine Wasserratte wird wie ich, nehme ich ihn eines Tages mit.
Mit Oliver Roggisch sprach Felix Meininghaus