"Wie Clowns in einem Zirkus" Unter Mette-Marits Augen wird Norwegens Handball-Party zum Fiasko
22.01.2025, 17:55 Uhr
Royale Haltung: Das Kronprinzenpaar lächelt im Angesicht des Scheiterns.
(Foto: picture alliance / Gonzales Photo/Jan-Erik Eriksen)
Norwegen startet desaströs in die Handball-Weltmeisterschaft, danach wird alles immer schlimmer. Es gibt eine Menge Ärger, die Hoffnung auf ein Wunder ist nicht vorhanden. Und das alles unter den Augen der königlichen Familie.
Es hätte ein Handball-Festtag werden sollen: Zum Auftakt der Handball-Weltmeisterschaft waren Tausende Norweger in die gewaltige Arena von Oslo gepilgert, die Fans verwandelten die Ränge in ein wogendes Meer in Rot, Weiß und Blau, die Lautstärke war ohrenbetäubend. Sie waren bereit für eine große Party, König Harald V. lächelte beseelt aus seiner Loge über die beeindruckende Szenerie. Es folgte ein Desaster. Norwegen verlor das erste Spiel völlig überraschend gegen Außenseiter Brasilien (26:29). Der König lächelte nicht mehr, auf den Rängen waren sie fassungslos.
"Ein schrecklicher Start in die Weltmeisterschaft", hieß es in den heimischen Blättern da schon, woanders schrieb man: "Wir ruinieren fast das Turnier, bevor es überhaupt begonnen hat" - es waren verzweifelte Rufe vom Rande des Abgrunds. Und danach wurde alles nur immer schlimmer. Wenige Tage später geriet auch das Vorrundenfinale gegen Portugal zum Fiasko. Kronprinz Haakon und Kronprinzessin Mette-Marit mussten inmitten ihrer entsetzten Landsleute ein 28:31 verfolgen. Dabei wollten sie es doch gemeinsam umbiegen: Mehr als 11.000 Menschen wollten Teil des Turnarounds sein, mehr als je zuvor zu einem Heimspiel der norwegischen Nationalmannschaft.
"Absolut furchtbar"
"Die Weltmeisterschaft ist ruiniert! Ein kompletter Fehlschlag", rief ein Kommentator des übertragenden Streamingdienstes Viaplay. "WM-Fiasko für Norwegen - Absolut furchtbar", titelte die Zeitung "Verdens Gang" online. Nationaltrainer Jonas Wille hatte vor dem Turnier seine Landsleute mit dem Versprechen heiß gemacht, sie dürften sich auf die beste Nationalmannschaft seiner Amtszeit freuen. Nun stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Durch den Pflichtsieg über den größtmöglichen Außenseiter USA (33:17) ist der Co-Gastgeber zwar für die Hauptrunde qualifiziert, nimmt aber dahin keine Punkte mit.
"Für mich war das Scheitern der Norweger absehbar. Auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass es so dramatisch wird", sagte Bob Hanning, Geschäftsführer von Bundesligist Füchse Berlin und ehemaliger Vize-Präsident des DHB gegenüber ntv.de. "Ich komme wirklich kaum über ihr Spiel gegen die Portugiesen hinweg, dass sie trotz einer guten Torhüterleistung und 16 technischen Fehler Portugals verlieren." Von der einstigen norwegischen Handballkunst, die den Co-Gastgeber in den vergangenen Jahren immer mindestens zu einem Geheimfavoriten gemacht hatte, ist nicht mehr viel zu sehen.
Der Weg in die K.o.-Runde führt angesichts der bärenstarken Konkurrenz mit Spanien und Schweden nur über gleich mehrere Wunder. Und wer die wirken soll, ist völlig schleierhaft. Sander Sagosen, der Weltstar, der seine Mannschaft 2017 und 2019 noch jeweils ins WM-Finale geführt hatte, wird es wohl nicht sein. "Der ehemalige Ausnahmespieler Sander Sagosen ist im Moment nur ein beliebiger Spieler", sagte Hanning. "Jeder Trainer, der sich derzeit zwischen Sagosen und Juri Knorr entscheiden müsste, würde Knorr wählen." Abgesehen von Polen 2023 ist Norwegens Gruppenphase die schlechteste, die ein Gastgeberland bei einer Handball-WM seit 2003 abgeliefert hat.
"Clowns in einem Zirkus"
Im norwegischen Handball brennt es schon vor dem Spiel am Abend gegen Spanien (20.30 Uhr/ sportdeutschland.tv und im Liveticker auf ntv.de) lichterloh. Die große WM-Party ist abgebrochen, mit dem Weiterkommen auf dem Weg zum Finale in Oslo rechnet niemand mehr. Während sie das Turnier aber noch zu Ende spielen müssen, lodern überall Brände auf: "Meiner Meinung nach sind die Experten in erster Linie Entertainer. Oder Clowns in einem Zirkus. Aber wir müssen akzeptieren, dass sie für Unterhaltung sorgen müssen", schimpfte Verbandsboss Kåre Geir Lio jüngst auf Experten rund um den ehemaligen Nationalspieler Boldsen. Der hatte mit deutlichen Worten den Rücktritt von Trainer Wille gefordert. Er wolle laut "Dagbladet" "den Kopf der Spieler und des Trainers auf einem Tablett" sehen.
Einen Grund für den dramatischen Niedergang sehen Experten ausgerechnet in einem Projekt, in dem ursprünglich einmal Weltklasse gebündelt werden sollte. "Ich denke, das Kolstad-Projekt hat die norwegische Nationalmannschaft ruiniert", sagt der ehemalige Nationalspieler Frank Löke der Zeitung "Nidaros". "Die Spieler dort sind im Level gesunken. Die Spieler sind Profis, aber sie haben einen Verein, der sie in die Irre geführt hat. Sie haben Gold und grüne Wälder versprochen, aber tatsächlich hatten sie eine schlechte Saison."
"Erniedrigung für den Rest"
In Kolstad hatten sie einst mit gewaltigem finanziellen Einsatz die größten Stars des Landes zusammengezogen: Sander Sagosen wechselte nach Stationen bei Paris Saint-Germain und dem THW Kiel zurück in die Heimat, Magnus Röd und Torhüter Torbjörn Bergerud (mit einer Zwischenstation bei GOG) folgten vom deutschen Topklub SG Flensburg-Handewitt. Doch der Kollaps setzte schon ein, bevor das erste Pflichtspiel absolviert war: Die Topstars mussten 30 Prozent Gehaltseinbußen zustimmen, um ihren Klub zu retten, inzwischen hechelt man selbst in der nationalen Liga der Konkurrenz hinterher. Trotz Sagosen, auf den sich nun auch - neben Trainer Wille - die Kritik im Lande kapriziert. Und selbst das sorgt für Ärger: Der aktuell verletzte Nationalspieler Göran Sögard Johannessen schrieb in einem wütenden Instagram-Beitrag: "Handball ist Mannschaftsport! Dass man so tut, als könne Sander Sagosen das Nationalteam ganz alleine tragen, ist eine Erniedrigung für den Rest der Mannschaft."
Wie auch immer: Die Party ist längst ruiniert, die Norweger werden unter Schmerzen zuschauen müssen, wenn die Handball-Welt in ihre Hauptstadt kommt, um die Medaillen auszuspielen. Zwei Viertelfinals, ein Halbfinale, Spiel um Platz drei und das Endspiel finden in Oslo statt. "Das tut dem Turnier natürlich nicht gut, es nimmt in Norwegen die komplette Euphorie weg", sagt Bob Hanning. "Der Vorteil für uns Deutsche ist: Sollten wir das Halbfinale erreichen, wird es in Oslo noch ausreichend Tickets geben. Die Fans aus Dänemark und Deutschland werden den Ausfall Norwegens kompensieren."
Quelle: ntv.de