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Raducanus Märchen des WahnsinnsViel zu kitschig für die Geschichtsbücher

12.09.2021, 13:54 Uhr
imageVon David Bedürftig
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Emma Raducanu küsst ihre US-Open-Trophäe nach einem herausragenden Turnier. (Foto: imago images/Xinhua)

Ein Teenager erobert die Tenniswelt: Emma Raducanu ist gerade einmal 18 Jahre alt und gewinnt als erste Qualifikantin überhaupt die US Open. Die Leistung ist so historisch, dass sich sogar die Queen einschaltet - und Brexitwähler Kritik einstecken müssen.

Ein Märchen, na klar, das funktioniert nicht ohne Königin und ohne Prinzessin. Und diese Geschichte ist ein Märchen. Eines, das eigentlich viel zu kitschig ist für die Realität - und doch in die Geschichtsbücher eingeht. Die 18-jährige Emma Raducanu, die neue Prinzessin des Tennissports, gewinnt als Qualifikantin die US Open. Ein Schock für die Welt des gelben Filzballs, denn das gab es noch nie in der gesamten Tennisgeschichte. Seit 1968 dürfen Amateure und Profis beim gleichen Turnier antreten, der britische Teenager bezwingt also als erste - um beim Märchen-Vokabular zu bleiben - das große Ungeheuer und findet den Weg heraus aus dem dunklen Wald.

Raducanu ist vor dem Turnier die Nummer 150 der Welt. Ein No-Name. Kaum jemand hatte bis vor ein paar Wochen von ihr gehört. Nun setzt sich die Prinzessin die Krone von New York auf. Unglaublich. "Es bedeutet mir so viel, das war immer mein Traum", jubelt sie nach ihrem Triumph. Ihr historischer Sieg verzückt auch die Königin. Die echte. "Das ist ein beeindruckender Erfolg in einem so jungen Alter und ein Beleg für harte Arbeit und Einsatz", schreibt Queen Elizabeth II. an die Tennisspielerin. "Ich habe keinen Zweifel daran, dass ihre herausragende Leistung und die ihrer Gegnerin Leylah Fernandez die nächste Generation Tennisspieler inspirieren wird."

Zu präzise, zu aggressiv, zu athletischUngesetzte Raducanu gewinnt US Open

Jung, begabt, tapfer und das Ziel klar vor Augen macht sich Prinzessin Raducanu in New York aber nicht etwa auf die Suche nach einem verwunschenen Prinzen. Stattdessen stürmt sie ohne Satzverlust ins Finale der US Open, als hätte sie schon immer auf dieser Bühne performt. Die Britin trotzt allen Widrigkeiten und gewinnt mit 6:4, 6:3 beim Endspiel im größten Tennis-Stadion der Welt gegen Leylah Fernandez. Die Kanadierin ist gerade einmal zwei Monate älter, startet als Ungesetzte und schaltet auf dem Weg ins Finale mal eben Angelique Kerber und Naomi Osaka aus. Es braucht keinen Drachen, keine hinterlistige Stiefmutter, keine ach so edlen Ritter: Diese zwei Frauen schreiben ihr eigenes Märchen einfach aufgrund ihrer unglaublich starken Leistungen.

Statt eines Froschs küsst Raducanu am Ende ihren Pokal. Und das völlig zu Recht. Im gesamten Turnier dominiert die 18-Jährige, die ab Montag auf Weltranglistenplatz 24 geführt wird. Zu präzise, zu aggressiv, zu athletisch für ihre Gegnerinnen tritt die Britin in New York auf. 20 Sätze nacheinander gewinnt sie, ihr Erfolg ist kein Zufall. Die Großen des Damentennis dürften gewarnt sein. "Die Tatsache, dass so viele junge Spieler hier so gut abschneiden, zeigt, wie stark die nächste Generation ist", sagt Raducanu noch vor dem Finale. "Es ist definitiv hilfreich, jung und frei zu sein. Frei schwingend und locker zu sein, das ist eine gewisse Qualität."

Mit all ihren Qualitäten gewinnt sie schließlich im Arthur Ashe Stadion und bricht auf dem Platz zusammen. Das britische Boulevardblatt "The Sun" bezeichnet den Triumph als einen von Großbritanniens "größten Siegen im Sport jemals". Sie ist die erste Britin, die einen Grand-Slam-Titel gewinnt, seit Virginia Wade 1977 dieses Kunststück gelang. Jünger ist bei einem Grand-Slam-Erfolg zuletzt Maria Sharapowa als 17-Jährige in Wimbledon 2004. Das US-Open-Finale gegen Fernandez ist das erste Teenager-Endspiel seit 1999 (Martina Hingis gegen Serena Williams) - also bevor beide geboren wurden.

Kritik an BrexitwählernDer sensationelle Lauf der Qualifikantin

Raducanu, die nach dem Viertelfinale bekannt gibt, dass sie ihre Rückflüge in die Heimat schon für die Zeit nach der Qualifikation gebucht hatte, erzählt auf der Pressekonferenz nach dem Finalsieg von einem weiteren großen Erfolg. "Mein Vater hat zu mir gesagt: 'Du bist sogar besser, als ich dachte.' Das war eine Bestätigung. Es ist wirklich schwer, meinen Vater zufriedenzustellen. Heute habe ich das geschafft." Die 18-Jährige schafft auch, dass Europa-freundliche Briten nun Brexitwähler dafür kritisieren, dass durch sie solch ein Märchen vielleicht nicht noch mal zustande kommen könnte. Denn Raducanu ist eine im kanadischen Toronto geborene Einwanderertochter eines Rumänen und einer Chinesin und spielt mit einem Outfit in den rumänischen Farben.

Natürlich überschlagen sich die Lobeshymnen auf der Insel. Auch die ganz Großen der Sportwelt, der Politik und des Adels halten nicht zurück. Fußball-Legende Gary Lineker, der live im TV moderiert, schreibt direkt nach dem Erfolg auf Twitter: "Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich während der Sendung twittere. Aber meine Güte, was für ein Auftritt, was für ein Triumph, was für eine erstaunliche junge Frau." Auf die 18-Jährige kommt nun aber erstmal viel Neues zu. Einen Siegercheck über 2,5 Millionen US-Dollar erhält sie direkt nach dem Finale. Laut der "Daily Mail" soll Raducanu nun mit Sponsorenverträgen von bis zu 100 Millionen Pfund ausgestattet werden, sei die Favoritin für die Ernennung zur BBC Sports Personality of the Year und könnte sogar von der Queen geehrt werden. Der echten.

"Ich bin immer noch so geschockt", jubelt Emma Raducanu direkt nach ihrem großen Sieg. "Es bedeutet mir wirklich alles, diese Trophäe in den Händen zu halten. Ich will sie einfach nicht loslassen." Und die ehemalige Wimbledon-Siegerin Chris Evert sagt: "Es ist ein Wunder." Oder eben ein Märchen. Eines, das eigentlich viel zu kitschig ist für die Geschichtsbücher.

Quelle: ntv.de

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