Was ist nur mit Poole passiert? Vom Ausnahmetalent zum Loser der Saison
02.03.2024, 06:37 Uhr
In Washington auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Jordan Poole.
(Foto: IMAGO/ZUMA Press)
Keine zwei Jahre ist es her, dass Jordan Poole im Trikot der Golden State Warriors die NBA in Entzückung versetzt. Er gilt als Steph Currys Erbe. 140 Millionen Dollar, einen hallenden Faustschlag und eine Abschiebung nach Washington später ist der Youngster zur Lachnummer verkommen.
Die Fans in der "Capitol One Arena" hatten genug gesehen - und buhten ihren eigenen Spieler erbarmungslos aus. Die Partie war eng, wenige Minuten vor Schluss, die heimischen Washington Wizards lagen gegen die Cleveland Cavaliers nur vier Punkte zurück. Jordan Poole hatte soeben vergeblich versucht, seinen Verteidiger abzuschütteln und einen Dreier abzufeuern, sich stattdessen aber orientierungslos im Halbfeld festgedribbelt.
Der Wurf schepperte an den Ring, Cleveland übernahm den Rebound und die Kontrolle. Wenig später setzte Washingtons bestbezahlter Profi einen weiteren langen Dreier daneben, die Buhrufe regneten auf ihn herab, während die Cavaliers das Spiel in trockene Tücher legten. 25 Minuten stand Poole an jenem Abend auf dem Parkett, erzielte keinen einzigen Zähler (0-5 aus dem Feld) und leistete sich sechs Fouls.
Als er 18 Sekunden vor Schluss nach seinem letzten Vergehen auf die Bank musste, reichte ein Blick in sein Gesicht - und in das seiner Teamkollegen -, um das volle Ausmaß der "Jordan Poole Experience" in Jahr eins seines Engagements bei den Wizards zu detektieren. Der Auftritt gegen die Cavs war der spielerische Tiefpunkt einer zunehmend schockierenden Saison, in der sich der 24-jährige Hoffnungsträger immer tiefer ins eigene Loch gegraben hat - ohne Aussicht auf Besserung.
Der dritte Splash Brother
Dabei hatte alles so gut begonnen für den Youngster. Keine zwei Jahre ist es her, dass Poole im Trikot der Golden State Warriors die NBA in Entzückung versetzte. Sein Talent und seine federweiche Leichtigkeit verblüfften, seine Kreativität und sein unerschütterliches Selbstvertrauen waren ansteckend. Dank seiner Fähigkeiten als Shooter, Dribbler und Scorer an der Seite von Steph Curry, Klay Thompson und Draymond Green sahen viele in Poole nicht nur einen kommenden All-Star, sondern auch die logische Antwort auf die Frage, wer denn eigentlich das Zepter von Curry & Co. übernehmen und Golden State nahtlos in die nächste glorreiche Ära tragen würde.
In der Saison 2021-22, während des Championship-Runs der Warriors, legte Poole 18,5 Punkte und 4,0 Assists pro Partie auf. Er führte die NBA bei der Freiwurfquote an und landete bei der Wahl zum "Most Improved Player" auf Platz vier. Im Laufe der Playoffs, auf dem Weg zu Golden States' bisher letztem Titel, erzielte Poole siebenmal 20 Punkte oder mehr, traf 13-mal in 22 Partien mindestens zwei Dreier, schrammte nur haarscharf an 50-40-90 Shooting Splits vorbei (50 Prozent aus dem Feld, 40 Prozent Dreier, 90 Prozent von der Freiwurflinie). Gut möglich, dass ohne seine elektrischen Performances ein Meisterschaftsbanner weniger im "Chase Center" wehen würde.
Der dritte "Splash Brother", damals erst 22 Jahre jung, schien zur perfekten Ergänzung und Entlastung für Fixstern Curry und die Dubs-Dynastie heranzureifen. Draymond Green, der ruppige "Bad Boy", hatte sich ihm als Mentor angenommen, weil er sich in Poole und dessen Trash Talk selbst wiederfand: die selbstbewusst-furchtlose, bisweilen irrational-arrogante Art kam zwischen all den seriösen Profis beim Dauer-Contender zunächst gut an. Wenn er heiß lief, war er kaum zu stoppen - ähnlich wie die legendäre Nummer 30 an seiner Seite. Golden State honorierte Pooles Aufstieg zum Schlüsselspieler mit einer exorbitanten Vertragsverlängerung: vier Jahre, 140 Millionen US-Dollar. Das sind mehr als 30 Millionen USD pro Jahr zwischen 2023 und 2027; nur 35 Spieler ligaweit verdienen besser.
Ein Faustschlag und der Anfang vom Ende
Wenige Tage vor der Verlängerung mit Poole im Oktober 2022 machte ein illegal gefilmtes Video aus der Warriors-Trainingshalle die Runde: Green und Poole, wie sie im Vorbereitungscamp aneinandergeraten waren. Es sollen Worte unter der Gürtellinie gefallen sein, Poole schubste Green, der seinen jungen Teamkollegen mit einem Faustschlag aus dem Nichts zu Boden streckte. Golden State belegte Green nur mit einer Geldstrafe, der entschuldigte sich bei Poole und der Mannschaft. Nach wenigen Tagen kehrte er zum Team zurück, eine Sperre blieb aus. Sowohl Poole als auch der Klub schienen die Sache schnell ad acta legen zu wollen - und bewahrten Stillschweigen. Schließlich galt es, einen Titel zu verteidigen. Der Schaden jedoch war angerichtet.
Sowohl in der Umkleidekabine als auch auf dem Parkett wirkten die Champs verunsichert. Steve Kerr sprach später vom "zerbrochenem Vertrauen". Poole versuchte vermehrt, sich in den Vordergrund zu drängen - und stieß die Veteranen im Kader zunehmend vor den Kopf. Die anfängliche Unterstützung schwand von Tag zu Tag. Pooles Effizienz ging in den Keller, seine Wurfquoten und Fehleranfälligkeit wurden immer irritierender. Im Januar, in einer eng umkämpften Partie gegen Memphis, ließ er sich zu einem bornierten Dreiversuch aus zehn Metern hinreißen - obwohl Curry direkt neben ihm stand und explizit den Ball forderte. Dass der beste Shooter aller Zeiten daraufhin frustriert seinen Mundschutz wegschmiss und wegen Unsportlichkeit des Feldes verwiesen wurde, türmte die Anti-Poole-Stimmung weiter auf.
Es sollte nicht der letzte Aussetzer bleiben. Die massiven Probleme während der mittelprächtigen regulären Saison (44-38) wirkten als mahnender Zeigefinger in Richtung Playoffs 2023, in denen das Trio Curry-Green-Thompson zum ersten Mal in der Kerr-Ära eine Serie in der Western Conference verlor. Poole sah immer weniger Spielzeit, kulminierend in mageren 20,7 Minuten und 8,3 Punkten pro Partie beim Serien-Aus gegen die L.A. Lakers in Runde zwei. Es sollten die letzten Einsätze für den einstigen Wunderknaben im Warriors-Dress bleiben: Im Juli wurde er im Tausch für den drittältesten Spieler der Liga, Chris Paul, nach Washington getradet - inklusive Draft-Picks und Cash, was unterstreicht, wie dringend sie ihn in San Francisco loswerden wollten.
"Gehört nicht in die Liga"
Eigentlich hätte die Situation in "D.C." für Poole nicht besser sein können: Die Wizards zählen schon sehr lange zu den Kellerkindern der Liga; in den vergangenen 35 Jahren weist kein Klub eine schlechtere Erfolgsquote auf als das Team aus der Hauptstadt, das derzeit einen Umzug nach Virginia anstrebt. Die Erwartungshaltung ist also gleich null, bei einem Team im Neuaufbau sollte Poole eigentlich befreit auf- und seine Stärken ausspielen können. Eigentlich. Eine bisher rabenschwarze Saison hat aber noch mehr Fragezeichen aufgeworfen, als ohnehin schon um ihn schwirrten. Der Warriors-Glanz ist längst verflogen, die bittere Realität hat ihn längst eingeholt.
Er spielt die schlechteste Saison seit seinem Rookie-Jahr, punktet weniger, verteidigt überhaupt nicht, leistet sich unerklärliche Patzer. Unter allen Profis mit erhöhter Nutzungsrate ist er der ineffizienteste. Sein Box-Plus-Minus zählt zu den miesesten aller Zeiten. Washington ist 377 Punkte schlechter, wenn er auf dem Parkett steht - ein schier unbegreiflicher Wert, der ihn nicht nur als Treppenwitz, sondern als größten Loser der Saison zementiert hat - egal, was bis April noch passiert. Hall of Famer Kevin Garnett, der bei Poole auf eine ähnliche Trajektorie wie bei James Harden nach dessen Wechsel aus Oklahoma City zu den Houston Rockets spekuliert hatte, sagte jüngst klipp und klar: "Er gehört nicht in die Liga."
Was immer offensichtlicher wird: Poole ist im Eiltempo durch die Höhen und Tiefen einer NBA-Karriere gerast. Der frühe Erfolg hat seine unzähligen Schwächen maskiert. Seine fahrlässig-hochmütige Art auf dem Parkett scheint seinem Naturell - schüchtern, wissbegierig, diszipliniert, respektvoll - und einer zuträglicheren Rolle in der NBA im Weg zu stehen. Dass der 24-Jährige auch in Washington für ähnlich viel Frust sorgt wie bei den Warriors, ist besorgniserregend. Nach wochenlangen Querelen wurde er zuletzt sogar zum Bankspieler degradiert - um vielleicht zu retten, was noch zu retten ist.
Washington weiß zu diesem Zeitpunkt selbst nicht mehr, was sie in Poole eigentlich haben. Sie sind bis 2027 vertraglich an ihn gebunden, sein Marktwert ist auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt. Poole wäre nicht der Erste, den es nach wenigen Jahren genauso schnell wieder aus der NBA spült, wie er einst am Ufer aus Ruhm und Potenzial angeschwommen war.
Quelle: ntv.de