Mit Skandalen in die Schmuddelecke Warum das Profiboxen in den Seilen hängt
06.10.2016, 17:29 Uhr
"Mein nächster Kampf Mai/Juni 2017 in Sarajevo": Felix Sturm.
(Foto: picture alliance / dpa)
Das deutsche Profiboxen steckt tief in der Krise. Die negativen Schlagzeilen häufen sich, die sportlichen Erfolge bleiben aus. Die Altmeister sind empört. Graciano Rocchigiani sagt: "Es wimmelt von völlig sinnlosen Titelkämpfen und Pseudo-Champions."
Schlechte Quoten, ein laxer Umgang mit dem Dopingproblem, nur noch ein Weltmeister: Das deutsche Profiboxen hängt mächtig in den Seilen, die einst so profitable Branche kämpft mehr denn je ums Überleben. Nachdem Felix Sturm seinen WM-Gürtel zurückgegeben und Jürgen Brähmer jüngst seinen WM-Kampf verloren hat, gibt es mit Jack Culcay in den großen Verbänden nur noch einen deutschen Champion, den aber die Öffentlichkeit kaum kennt.
Für die Altstars ist die Krise hausgemacht. "Das Boxen tritt seit geraumer Zeit nicht mehr überzeugend auf", sagte Ex-Weltmeister Henry Maske. "Der Zuschauer hat uns eine klare Antwort gegeben. TV-Quoten unter zwei Millionen Zuschauern sind kein gutes Argument." Es werde viel über Skandale geredet, aber nur wenig über Sport. "Das Boxen rückt wieder in die Schmuddelecke, wo es vor 1990 schon einmal war." Auch Graciano Rocchigiani lässt kein gutes Haar am Zustand des deutschen Profiboxens. "Es wimmelt von völlig sinnlosen Titelkämpfen, es wimmelt von Pseudo-Champions, die früher bei einer Amateurmeisterschaft die erste Runde nur mit einem Freilos überstanden hätten", sagte er "Berliner Morgenpost".
"Hoffen, dass wieder ein Rohdiamant rausfällt"
Auch Ex-Champion Sven Ottke überrascht die Krise nicht: "Dass wir ein Nachwuchsproblem bekommen, war schon länger abzusehen." Doch auch die Alten haben Probleme. Sturm, 37 Jahre alt, war bei seinem Punktsieg gegen den Russen Fedor Tschudinow am 20. Februar positiv auf die anabole Substanz Hydroxy-Stanozolol getestet worden. Das Ergebnis der B-Probe wird für kommende Woche erwartet. Seinen WM-Gürtel hat der Supermittelgewichtler zurückgegeben, allerdings mit der offiziellen Begründung, er könne wegen einer Ellenbogen-Operation in diesem Jahr nicht mehr kämpfen. Selbst wenn ihn die B-Probe als Dopingsünder entlarven sollte, droht Sturm vom Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) höchstens eine Einjahressperre. "Mein nächster Kampf Mai/Juni 2017 in Sarajevo", ließ der gebürtige Leverkusener mit bosnischen Wurzeln bereits über Twitter verlauten.
"Der BDB weigert sich beharrlich, die Regeln der Nada und Wada anzuerkennen und umzusetzen", kritisierte Lars Mortsiefer, Vorstand bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur Nada. Mehr Ungemach droht Sturm durch die Kölner Staatsanwaltschaft, die wegen des Dopingverdachts gegen ihn ermittelt. Seit Dezember 2015 ist Doping in Deutschland im Strafrecht verankert. So oder so: Weder Sturm noch der ein Jahr ältere Brähmer, der seinen WM-Titel am vergangenen Wochenende wegen einer Ellenbogenverletzung an Nathan Cleverly verloren hatte, können die Trendwende im deutsche Profiboxen einleiten. Brähmers verlorenen WM-Kampf wollten nur 1,87 Millionen Zuschauer im Fernsehen sehen.
Auch der entthronte Arthur Abraham, 36 Jahre alt, und Marco Huck, fünf Jahre jünger, Weltmeister des unbedeutenden IBO-Verbandes, sind keine Gallionsfiguren mehr. Tyron Zeuge, 24 Jahre alt, und Vincent Feigenbutz, 21, haben Talent, das Format eines Champions haben sie aber noch nicht. "Wir müssen hoffen, dass irgendwann wieder ein Rohdiamant rausfällt", sagte BDB-Präsident Thomas Pütz. Großbritannien setzt seit Jahren nicht nur auf das Prinzip Hoffnung, sondern auf systematische Talent- und Trainerförderung. Der Lohn: Aktuell befinden sich 15 WM-Gürtel in den Händen britischer Boxer. Davon kann Box-Deutschland zurzeit nur träumen.
Quelle: ntv.de, Jörg Soldwisch, sid