Sport

"Füreinander gestorben"Weinende WM-Heldinnen machen sich selbst fassungslos

13.12.2025, 07:30 Uhr
Germany-players-celebrate-their-victory-at-the-end-of-the-women-s-handball-World-Championship-semifinal-match-between-France-and-Germany-in-Rotterdam-Netherlands-Friday-Dec-12-2025
Party in Rotterdam: Deutschlands Handballerinnen stehen sensationell im WM-Finale. (Foto: AP)

Getragen von einer unglaublichen Welle der Euphorie und einem wahnsinnigen Zusammenhalt spielen sich Deutschlands Handballerinnen bei der Heim-WM bis ins Finale. Dort wartet das beste Team der Welt - na und?

Sie hatten Bock, richtig Bock. Schon als die Nationalhymne vor dem Halbfinal-Duell mit Frankreich gespielt wurde, lächelten die deutschen Handballerinnen kollektiv und beseelt vor sich hin. Da war keine Anspannung, kein Druck, kein Zweifel. Da war einfach nur die pure Freude auf das Duell mit den Gigantinnen aus dem Nachbarland. Die hatten den Titel zu verteidigen, also etwas zu verlieren, während das DHB-Team abermals nur gewinnen konnte. Sie waren schon weit über dem Soll. Und sie spielten sie auch. Befreit, leidenschaftlich, mitreißend. Überraschend ungefährdet wurde Frankreich aus dem Turnier geboxt (29:23), Finale.

Erstmals seit 32 Jahren geht es wieder um Gold. Auf das Wunder von Oslo soll nun das Wunder von Rotterdam folgen. Gegen die Norwegerinnen, die das absolute Überteam stellen. State of the Art im Handball, quasi. Am Abend nach der Sensation gegen die Französinnen dachte aber wohl nur Bundestrainer Markus Gaugisch an die nächste Aufgabe. Die Spielerinnen feierten. Sie hatten Tränen in den Augen und wussten gar nicht, wohin mit ihren Emotionen. Schon zwei Minuten vor Ende des Spiels ertappten sich die ersten dabei, zu verwirklichen, was da gerade passiert. Fünf Tore lagen zwischen beiden Mannschaften und Frankreich war weit weg von einem Flow, der einen Zusammenbruch des deutschen Teams forciert hätte. "Ich kann nicht mehr. Es waren 60 Minuten purer Kampf", sagte Rückraumspielerin Viola Leuchter. Vor dem Spiel hätte sie bei diesem Ausgang "den Vogel gezeigt".

Frankreich fällt einfach nichts ein

Wieder einmal hatte Deutschlands Abwehr um Aimée von Pereira einen Gegner zermürbt. Körperlich hart, aber nie unfair wurden die Weltmeisterinnen entthront. Die hatten, obwohl sie um die Stärke des Rivalen wussten, keinen Plan B, Plan C oder D. Außer Tempospiel fiel ihnen gar nichts ein. Weil die Spielerinnen von Markus Gaugisch aber mit einer unglaublichen Disziplin nach hinten arbeiteten, waren die schnellen Wege zum Tor meist zugestellt. Und wenn mal Bälle durchkamen, war da immer noch Turnier-Titanin Katharina Filter. Die Torfrau war mit etlichen Paraden eine der großen Heldinnen. Sie sorgte als grandioser Rückhalt auch für ein Ende des zwei Jahrzehnte währenden Frankreich-Fluchs. In ihrer Verzweiflung wurden die Französinnen auch ruppiger. Nach einem Kopftreffer gegen Nieke Kühne sah Onacia Ondono Mitte der zweiten Halbzeit glatt Rot.

Durch den Halbfinalerfolg sicherte sich die Mannschaft übrigens bereits eine Rekordprämie: Silber wird vom Verband mit 300.000 Euro belohnt, bei einem Titelgewinn winkt dem Team ein Betrag von 425.000 Euro. Und so soll's kommen. "Jetzt sind wir im Finale. Jetzt wollen wir es auch gewinnen", so Gaugisch.

Eine andere Heldin: Antje Döll. Die verwandelte einen Siebenmeter nach dem nächsten. Und hatte auch sonst dicke Aktien am erfolgreichen Spiel. Nach der Schlusssirene lief sie tränenüberströmt über das Parkett. Der Druck von turbulenten Monaten brach von ihren Schultern. "Phänomenal. Ich bin voller Emotionen, ich bin so glücklich", sagte Döll am ARD-Mikrofon. Man sei "füreinander gestorben. Es war von Minute eins bis zur sechzigsten ein absolutes geiles Spiel." Im Moment des größten Glücks holten sie aber auch die Ereignisse aus dem Sommer ein. Die Finanzkrise bei ihrem Ex-Klub HB Ludwigsburg sorgte für einen Paukenschlag in der Bundesliga. Der amtierende Meister zog sein Team zurück – die Spielerinnen waren plötzlich vertragsfrei. «"Wir haben es einfach verdient, hier eine Medaille zu holen. Nach dem ganzen Scheiß, der im Sommer passiert ist."

Mit 37 Jahren auf dem Höhepunkt

Der Lebens- und Leidensweg der Chefin ist ohnehin bemerkenswert: Mit 37 Jahren und einer großen Titelsammlung ist Döll die Grande Dame des deutschen Handballs. Seit März ist sie Kapitänin. Der Weg dahin war lang, denn Döll ist eine Spätberufene. Erst mit 28 Jahren debütierte sie in der Nationalmannschaft - andere denken in diesem Alter bereits über ein Karriereende nach. Sie hat es nicht in Erwägung gezogen und ist nun mindestens WM-Silbermedaillengewinnerin. Aber sie will mehr. Das Team will mehr.

"Norwegen ist das beste Team der Welt. Aber mit dem Mindset und der Defense, die wir spielen, kann alles möglich sein", sagte Döll: "Wir werden voller Energie sein und werden das Warm-up gar nicht mehr brauchen, weil wir am liebsten schon gleich loslegen wollen." Torhüterin Filter verspürt keinen Zweifel. "Wir sind von Spiel zu Spiel gegangen und hatten das Selbstbewusstsein: Wir machen das. So werden wir am Sonntag auch ins Spiel gehen. Geschenkt wird uns aber nichts."

Das deutsche Team steht zum zweiten Mal in der Geschichte in einem WM-Finale und kann sich zum zweiten Mal nach 1993 zum Weltmeister krönen. "Wie geil wäre es, wenn wir Geschichte wiederholen", sagte Emily Vogel, deren Mutter Andrea Bölk zur Weltmeistermannschaft vor 32 Jahren gehörte: "Es ist nur noch ein Spiel. So dicht dran waren wir noch nie. Es gibt keinen Grund, irgendwas zu verändern. Why not Gold holen? Es zeichnet uns dieses Jahr aus, dass Zweifel überhaupt nicht dazu gehören."

Quelle: ntv.de, tno

Handball-NationalmannschaftHandball-EMHandball