Aufgeblähte Handball-EM Wie Deutschland für das Mega-Turnier sorgte
08.01.2020, 11:13 Uhr
Symboldbild Handball-EM: Zumindest schön bunt ist es.
(Foto: imago images/Eibner Europa)
Erstmals startet eine Handball-Europameisterschaft mit 24 Mannschaften. Für den Verband ist die Aufblähung des Turniers vor allem finanziell sinnvoll, für Spieler und Fans aber ein Schlag ins Gesicht. Mitverantwortlich für das neue Format ist ausgerechnet Deutschland.
Drasko Mrvaljevic ist inzwischen 40 Jahre alt und hat mal ein paar Jahre eher unauffällig in der Handball-Bundesliga für Frisch Auf Göppingen und GWD Minden gespielt. Er hat auf den ersten Blick keine Spuren hinterlassen. Und doch ist er ein wenig dafür verantwortlich, dass bei der Europameisterschaft, die an diesem Donnerstag in Österreich, Norwegen und Schweden startet, erstmals 24 Nationen dabei sind.
Anfang November 2012 war Mrvaljevic mit acht Treffern daran beteiligt, dass die Nationalmannschaft von Montenegro sehr überraschend das deutsche Team in der Qualifikation mit 31:27 schlug. Die Deutschen qualifizierten sich nicht für die Europameisterschaft 2014, was nicht nur für einen Schock in Kiel, Flensburg und dem Rest der Handball-Republik sorgte, sondern auch beim europäischen Verband EHF in Wien. "Wenn sie so wollen, war das ein Brandbeschleuniger für das neue Format", sagt Generalsekretär Martin Hausleitner.
Im Herbst 2014 beschloss der EHF-Kongress eine Ausweitung der EM ab dem Jahr 2020 von 16 auf 24 Teilnehmer. Viele kleinere Nationen hatten schon vor dem deutschen Debakel dafür geworben, mehr Teams mitmachen zu lassen, um selbst mal mitmachen zu können. Die Abstinenz der deutschen Mannschaft und der deutschen Sponsoren beim Turnier in Dänemark im Januar 2014 machte das Thema innerhalb der EHF schließlich mehrheitsfähig. "Ich habe mich schon mehrfach dazu geäußert. Ich bin kein Freund von der Aufstockung", sagt Kreisläufer Hendrik Pekeler vor dem EM-Auftaktspiel der deutschen Mannschaft am Donnerstag (ab 18.15 im Liveticker bei ntv.de und bei Sport1) in Trondheim gegen die Niederlande.
"Bin kein Freund der Aufstockung"
Die Auswahl des Deutschen Handballbundes bekommt es in der Vorrunde nicht nur mit Titelverteidiger und Schwergewicht Spanien zu tun, sondern eben auch mit den Debütanten Niederlande und Lettland. Das sorgt für Kritik. Die Verwässerung des sportlichen Wettbewerbs wird zumindest hinter vorgehaltener Hand bemängelt. Und die zusätzliche Belastung für die Spieler. "Letztlich haben wir ein Spiel mehr", rechnet Pekeler für alle Nationen vor, die in der zweiten Gruppenphase noch im Wettbewerb sind. Der künftige Europameister muss neun Partien in 17 Tagen absolvieren - bislang waren es acht.
Sportlich werden die besten Nationen nicht stärker gefordert als bislang, aber der Aufwand wird größer, auch durch Reisen quer über den Kontinent. Mit Charterflügen für die Mannschaften zwischen den Ausrichterländern hält sich die Belastung für die Akteure, die bislang beschwerliche Bustransfers hatten, in Grenzen. Dennoch kritisiert Pekeler: "Wir fliegen durch halb Europa und spielen zwischendurch ein bisschen Handball." "Das ist ein großer Moment, um die Niederlande auf der europäischen Bühne zu präsentieren", sagt hingegen Ephraim Jerry.
Der niederländische Nationalspieler weiß, dass dieser Moment ohne eine Aufstockung auf 24 Teilnehmer wohl ein Traum geblieben wäre. Daher ist er glücklich über die Entscheidung der EHF. "Wir werden einen Schritt nach vorne machen", ist sich auch Anrijs Brencans, der frühere Präsident des lettischen Verbands sicher. Die Kleinen, das überrascht nicht, sind dankbar, Teil einer EM sein zu können. Fürsprecher findet das neue Format nicht nur bei den Verbänden, die ohne eine Aufstockung wohl nur Zuschauer geblieben wären, sondern auch beim europäischen Verband. "Wir sind dazu verpflichtet, den Handball in möglichst vielen Ländern zu entwickeln", sagt Hausleitner. Der Generalsekretär fühlt sich nicht nur den Top-Nationen verpflichtet, seine Aufmerksamkeit gilt allen Mitgliedsverbänden.
Eine halbe Milliarde für den Verband
Die Fans spielen eine untergeordnete Rolle. "Deren Interessen haben für die EHF keine besondere Relevanz", sagt Thomas Jachert von der IG Handball. Die Interessengemeinschaft aus Deutschland setzt sich seit einigen Jahren für die Belange der Zuschauer ein. "Logistisch ist das Format in diesem Jahr eine Katastrophe", erklärt Jachert mit Blick auf die Austragungsorte in Norwegen, Schweden und Österreich.

Hendrik Pekeler darf sich wohl in Wien auf die meisten deutschen Fans freuen.
(Foto: imago images/Eibner)
Die Folge: Nur sehr wenige deutsche Fans werden die Mannschaft in der Vorrunde in Trondheim, der Hauptrunde in Wien und möglicherweise einer Finalrunde in Stockholm begleiten. "Das Gros wird sich entscheiden, nur zur Hauptrunde nach Wien kommen", prognostiziert der Fanvertreter. Vor allem in Norwegen rechnet Jachert mit wenigen Fans. So dürften die Hallen weniger stark ausgelastet sein, weniger typische Handball-Atmosphäre herrschen. "Es geht zu sehr in Richtung Kommerz."
Unstrittig ist, dass der Verband durch eine Ausweitung des Turnierformats mehr Geld einnimmt. Wenn zusätzlich acht Verbände dabei sind, kann die EM zusätzlich in acht Ländern vermarktet werden. 2018 schloss die EHF einen TV-Deal mit der Perform Group, zu der unter anderem der Streamingdienst Dazn gehört, und dem Sportmarketing-Unternehmen Infront ab, der dem europäischen Verband zwischen 2020 und 2030 mindestens eine halbe Milliarde Euro einbringt. "Das ist ein Meilenstein für unseren Sport und die EHF", sagte Verbandspräsident Michael Wiederer bei der Unterzeichnung der Vereinbarung. "Darin war die EM mit 24 Teilnehmern bereits eingepreist", ergänzt Hausleitner. Und das alles, weil Drasko Mrvaljevic acht Mal gegen Deutschland traf.
Quelle: ntv.de