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DHB-Star vor Topspiel in Topform Wolff kehrt zurück in Spaniens Alpträume

Gegen die Niederlande lieferte Andreas Wolff eine Weltklasse-Leistung ab.

Gegen die Niederlande lieferte Andreas Wolff eine Weltklasse-Leistung ab.

(Foto: imago images/Revierfoto)

Beim EM-Auftakt der deutschen Handball-Nationalmannschaft ist Andreas Wolff der überragende Akteur. Vor den Augen des kommenden Gegners Spanien liefert der Torwart gegen die Niederlande eine große Leistung ab. Und weckt schlimme Erinnerungen.

Gehetzt und schwitzend kämpfen und mühen sie sich, mit wachsender Verzweiflung, immer wieder aufs Tor zu. Doch jedes mal, wenn sie sich am Ziel fühlen, stürzt ein großer, grimmig blickender Wolf auf sie zu und frisst einfach wieder und wieder ihre frisch keimende Hoffnung auf. Und dann wird es dunkel.

Es ist gut möglich, dass in den Albträumen spanischer Handballprofis seit dem EM-Finale 2016 häufig ein solches Szenario vorkommt. Denn Andreas Wolff hat sie alle aufgefressen, an jenem großen deutschen Handball-Abend, als die "Bad Boys" den Favoriten völlig chancenlos mit 24:17 aus der Halle in Krakau schossen. Weniger Tore ließ kein anderes Team jemals in einem EM-Endspiel zu. Und das lag eben an Wolff: 48 Prozent aller spanischen Würfe hielt der damals 24-Jährige, ein wahnsinniger Wert. Was die spanischen Superstars um Kreisläufer Julen Aguinagalde und Rückraumstratege Raul Entrerrios auch versuchten, beinahe nichts funktionierte. Es war zum Verzweifeln. Es war traumatisch. Die "Bad Boys" rollten über die frustrierten Spanier zu ihrem Wintermärchen. Und Wolff war die Lokomotive.

"Dann hielt Wolff sechs, sieben Würfe hintereinander"

Wieder kein Tor: Julen Aguinagalde scheitert an Andreas Wolff.

Wieder kein Tor: Julen Aguinagalde scheitert an Andreas Wolff.

(Foto: imago/Camera 4)

Das, was die deutsche Mannschaft am Donnerstag in ihrem Auftaktspiel gegen EM-Neuling Niederlande bot, dürfte die Spanier, die 2018 doch noch Europameister wurden und unter anderem ein desolates Deutschland locker schlugen, dagegen kaum in Schockstarre versetzt haben. Wäre da nicht dieser Andreas Wolff gewesen, der vor den Augen des nächsten Gruppengegners schon im ersten Spiel dieser Endrunde wieder heiß lief. Am Samstag (18.15 Uhr/ ARD und im Liveticker auf ntv.de) kämpfen Deutschland und Spanien um eine optimale Ausgangsposition für die Hauptrunde, der Sieger macht einen großen Schritt in Richtung Halbfinale. Es ist ein vorgezogenes K.-o.-Spiel.

"Andi war in den entscheidenden Phasen zur Stelle und hat den Niederländern den Zahn gezogen", lobte Bundestrainer Christian Prokop seinen Torhüter, sein Gegenüber Erlingur Richardson pflichtete bei: "Dann hielt Andreas Wolff sechs, sieben Würfe hintereinander und das Spiel war für uns gelaufen." Wolff machte deutlich, was der Bundestrainer meinte, als er dem "Spiegel" sagte, "ohne einen starken Andi Wolff spielen wir um die Plätze fünf bis acht." Dabei soll es eigentlich, da ist man sich rund um die Nationalmannschaft einig, mindestens das Halbfinale sein.

Den Niederländern hat Wolff schon mal "den Zahn gezogen".

Den Niederländern hat Wolff schon mal "den Zahn gezogen".

(Foto: via REUTERS)

Zwölf Paraden, 41 Prozent gehaltene Würfe: Der so bewegliche 1,98-Meter-Schrank war von der ersten Sekunde an im Turnier, voll im Angriffsmodus war er schon vorher: "Für mich gibt es nur den Sieg und den Anreiz, das Turnier gewinnen zu wollen. Meine persönliche Zielvorgabe für das Turnier ist, es zu gewinnen", verriet er vor dem EM-Start. Wolff war so heiß, dass er sich zwischen den Jahren mit dem Bundestrainer für drei gemeinsame Extra-Trainingseinheiten in Leipzig traf. Nur der Bundestrainer und sein Torwart. Dabei klagen die Handball-Profis doch völlig nachvollziehbar über die gewaltige Belastung, die sie im internationalen Spielplan zwischen Ligaspielen, Champions-League-Begegnungen und Länderspielen zermürbt.

Der entscheidende Schritt nach vorne

Wolff aber hat sich der Knochenmühle nach drei überaus unbefriedigenden Jahren beim THW Kiel entzogen. Dort kam der ehrgeizige Torwart nie am Weltklasse-Keeper Niklas Landin vorbei, selbst Olympiasieger und amtierender Weltmeister, und wechselte vor der laufenden Saison zum polnischen Spitzenklub KS VIVE Kielce. Inzwischen, nach einem halben Jahr beim Champions-League-Sieger von 2016, kann man sagen: Der Wechsel war keine Flucht, sondern ein Schritt, der dem 28-Jährigen gut getan hat. Der "Spiegel" überschrieb eine Geschichte über Wolff sogar mit der Headline "Polen war seine Rettung". Der Torwart selbst sagte der "Frankfurter Rundschau" weniger poetisch: "Ich fühle mich dort sehr wohl, der Trainer ist fantastisch, die Mannschaft überragend."

Dass Wolff von seiner neuen beruflichen Situation schwärmt, hat viele Gründe. Der erste ist auf den ersten Blick verblüffend: Die schwache Liga hilft dem eigentlich so ehrgeizigen Torwart. "Entscheidet man sich für einen Wechsel nach Kielce, ist man sich darüber bewusst, dass man nicht wöchentlich auf höchstem Niveau gefordert sein wird und dennoch die Champions League gewinnen kann", berichtete der Rheinländer jüngst t-online.de. "Ich habe schon einige Liga-Partien in dieser Saison ausgesetzt, weil der Trainer nicht wollte, dass ich sechs Stunden mit dem Bus zu einem Auswärtsspiel unterwegs bin, dass wir ohnehin mit 20 Toren Unterschied gewinnen, und mich dann dort eventuell verletze. Dann bleibst du eben zu Hause und regenerierst dich, weil die Champions League oberste Priorität hat."

Mit Kielce kehrte Wolff bereits nach Kiel zurück - in der Champions League.

Mit Kielce kehrte Wolff bereits nach Kiel zurück - in der Champions League.

(Foto: imago images / Holsteinoffice)

Ein Luxus, den sich die Kollegen aus der Bundesliga nicht erlauben können. Nach der Rückkehr von Kapitän Uwe Gensheimer von Paris Saint-Germain zu den Rhein-Neckar Löwen ist Wolff der einzige Legionär im EM-Kader, alle seine Teamkollegen müssen sich daheim Woche für Woche in einer ausgeglichenen Liga auf hohem Niveau mühen. Das schlaucht, zehrt aus und macht anfällig für Verletzungen. Das durch Ausfälle zerpflückte DHB-Team ist der Beweis.

Hör- und sichtbar gut tut dem Torwart sein Trainer Talant Duschebajew. Der einstige Welthandballer verschafft Wolff nicht nur Ruhepausen in den bedeutungslosen Spielen, sondern machte den Neuzugang überraschend vor der Saison direkt zum Kapitän. Eine Maßnahme, die für ihn "ein weiterer wichtiger Schritt in meiner Karriere" sei, wie Wolff der "Frankfurter Rundschau" sagte. "Das ist natürlich eine zusätzliche Herausforderung, denn da wächst man auch noch einmal charakterlich."

Enttäuschung in Kiel

In Kiel, das war nach dem Wechsel aus Wetzlar zur Saison 2016/2017 schnell klar, würde es nichts werden mit dem nächsten Schritt in der Karriere des Andreas Wolff. Früh zeigte sich der emotionale Führungsspieler ungewohnt schmallippig, sportlich war er nie der Faktor, der er hätte sein können. Der beste Torwart der Europameisterschaft 2016, der Europameister, der Weltklassemann, der 2016 auch noch Olympia-Bronze aus Rio mitbrachte und vor Turnieren stets Maximalziele formuliert, begann zu hadern.  Mit seiner Situation, mit sich.

Später enthüllte er, dass er sich nach seinem Wechsel aus Wetzlar von den Verantwortlichen des THW getäuscht sah. Zusagen über eine Gehaltserhöhung seien nicht eingehalten worden. Zusammen mit der sportlichen Krise das schnelle Signal zum Aufbruch: Schon 2017 unterschrieb er seinen Vertrag in Kielce. Immerhin hatte sich der Groll auch bald wieder gelegt, die Zeit nach der Bekanntgabe seines Wechsels hat er als Lernprozess auf der Habenseite abgelegt.

Mit Niklas Landin bildete Andreas Wolff ein Gespann in Kiel. Glücklich wurde Wolff in dieser Konstellation lange nicht.

Mit Niklas Landin bildete Andreas Wolff ein Gespann in Kiel. Glücklich wurde Wolff in dieser Konstellation lange nicht.

(Foto: imago images / Claus Bergmann)

Spanische Alpträume

Wolff ist gereift, gewachsen, er ist stärker als je zuvor. Das sind schlechte Nachrichten - nicht nur für die Spanier. Aber denen ist auf der ganz großen Bühne schon widerfahren, was der große Wolff, dessen Präsenz den anrennenden Gegnern so viel Dunkelheit bescheren kann, sich für die weiteren Spiele vorgenommen hat: "Wir wollen die Gegner verunsichern und frustrieren, indem wir sie lange ohne eigenen Torerfolg spielen und dann im Gegenzug den Ball aus ihrem Tornetz holen lassen", war auf t-online.de zu lesen.

2016 hatte Wolff die Spanier verhext, er schaffte es ganz tief in ihre Köpfe. Und das Niederlande-Spiel sollte ihn wieder genau dorthin zurückgebracht haben. Gut möglich, dass Julen Aguinagalde, inzwischen Wolffs Teamkollege in Kielce, Raul Entrerrios und ihre Kollegen heute Nacht hungrigen Besuch in ihren Träumen bekommen.

Quelle: ntv.de

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