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Tennis-Profi kämpft mit sich Zverev ist noch zu wütend für die Wende

Totale Ratlosigkeit: Boris Becker und Alexander Zverev.

Totale Ratlosigkeit: Boris Becker und Alexander Zverev.

(Foto: imago images/AAP)

Alexander Zverev kann der beste Tennisspieler Deutschlands sein, vielleicht auch der beste der Welt. Das erwarten viele von ihm, am meisten er selbst. Das ist ein großes Problem, wie die letzten Tage wieder zeigen. Die waren nicht nur sportlich schlimm.

"Ein Fall für den Psychologen" sei er. Sagt Boris Becker, Deutschlands größtes Tennisidol, über Alexander Zverev, Deutschlands derzeitige Nummer eins. "Er ist irgendwo in einem dunklen Zimmer gefangen und sucht den Lichtschalter", gab sich Becker, der Zverev in den letzten Tagen als Teamchef der deutschen ATP-Cup-Mannschaft betreut hatte, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" poetisch. "Er muss aber bereit sein, ihn suchen zu wollen." Alexander Zverev ist ein junger Mann, der schon Großes erreicht hat. Weltmeister ist er seit 2018, die Nummer drei der Tenniswelt war er.

Das Bild aber, das der Hamburger bei seinen drei Niederlagen beim ATP Cup in Australien abgegeben hat, war schlimm. Sportlich irgendwo zwischen erschreckend und besorgniserregend. Menschlich spielte sich in Brisbane eine Fortsetzungsgeschichte ab, auf dessen aktuelle Staffel wohl alle hätten verzichten können: Zverev zerbrach mal wieder vor den Augen aller. Nach einer völlig unnötigen Dreisatz-Niederlage zum Auftakt gegen den Australier Alex de Minaur, bei der er hoch führte, am Ende dann 14 Doppelfehler auf dem Konto hatte und doch noch verlor, zertrümmerte die Nummer sieben der Welt einen Schläger. Beherzt, voller Energie und mit Emotionen.

Fassungsloser Becker, leerer Zverev

All das fehlte in den folgenden Partien dann. Bei der Zweisatzklatsche gegen den amtierenden Weltmeister Stefanos Tsitsipas reichte es immerhin noch zu einer Vaterbeschimpfung - "Halt die Klappe, was zum Teufel redest du da. Ich habe keinen Aufschlag mehr, und du erzählst mir irgendeinen Scheiß." -, im letzten Match, beim 2:6, 2:6 gegen Denis Shapovalov - ging Zverev einfach nur noch widerstandslos ein. Er ließ beim Lamentieren in den Pausen mutmaßlich mehr Luft, als während der Ballwechsel. Nach der Pleite offenbarte er: "Es ist offensichtlich, dass ich kein Gefühl für meinen Aufschlag habe, das ist kein Geheimnis. Aber um ehrlich zu sein, habe ich einfach nicht genug trainiert". Das Bild mit Becker, der die drei Spiele Zverevs einigermaßen fassungslos auf der Bank verfolgte, könnte Ikonencharakter erlangen.

Nun gibt es im Profisport ein Missverständnis, dem Sportjournalisten häufig genauso gerne aufsitzen wie Sportfans: Der Glaube, die Protagonisten seien dem Publikum gegenüber verantwortlich. Die interessierte Sportöffentlichkeit wünscht sich stets das perfekte Spiel oder wenigstens das größtmögliche Drama. Und so brach sich der Ärger Bahn: Zverev sei ein Flegel, sein Verhalten eines Top-Athleten unwürdig, charakterschwach sei er und überhaupt: die Kinder! So werde es jedenfalls nie etwas mit diesem Alexander Zverev. Es gibt beim Publikum die Tendenz, nicht erfüllte Erwartungen persönlich zu nehmen. Und umgekehrt: Sportliche Höchstleistungen zu vereinnahmen. Das ist frech und falsch.

Auch Ikone Becker warf Schläger, brachte sich gegen schwächere Spieler um einfache Siege, haderte mit sich selbst bis hin zur Verzweiflung, schien sich selbst hinabzustoßen in einen Abwärtsstrudel – und trieb sich aus der scheinbaren Verzweiflung oft genug zu seinem besten Tennis. Dafür liebten ihn nicht nur die deutschen Fans. Becker quälte alles aus sich heraus. Zverev wiederum ist ein herausragender Spieler, ein besserer wohl, als es Becker jemals war. Aber er schafft es eben nicht, in der Krise das Beste freizulegen, sondern produziert zu regelmäßig einen totalen Kontrollverlust. Das ist bei Zverev weiterhin ein großes Problem. Er ist zu gut und steht zu schlecht da.

"Hatte das Gefühl, der beste Spieler der Welt zu sein"

Verzweiflung in Wimbledon.

Verzweiflung in Wimbledon.

(Foto: imago images / Xinhua)

  Zverev ist 22 Jahre alt, in die vergangene Saison startete er als Tennis-Weltmeister – der zweitjüngste der Geschichte. Und dann ging alles den Bach runter! "Ich hatte zwischendurch wirklich das Gefühl, der beste Spieler der Welt zu sein", erzählte Zverev dem "Observer". "Und dann, ganz plötzlich, hatte ich keinen Manager mehr." Zverev hatte sich Anfang des Jahres – trotz mutmaßlich laufender Verträge – nach vielen gemeinsamen Jahren von seinem Manager Patricio Apey getrennt. Eine in dieser Konstellation recht dumme Entscheidung, für die der Spieler teuer bezahlen musste. Denn natürlich ließ sich Apey, der Zverevs Karriere mit fürstlich dotierten Werbeverträgen versilberte, nicht geräuschlos ausbooten, das war absehbar. "Da versucht jemand gerade, mein Leben kaputt zu machen. Jemand, der mir sehr nahestand. Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann. Das ist einfach nur abartig", klagte ein offenkundig niedergeschlagener Zverev nach seinem Erstrunden-Aus in Wimbledon mit leeren Augen, bevor er sich in einen Blitzurlaub verabschiedete.

Im Juli trennten sich die Wege von Zverev und seinem Coach Ivan Lendl, der seinem ehemaligen Schützling noch hinterherrief: "Derzeit hat er einige Probleme außerhalb des Platzes, die es schwierig machen, auf eine Weise zu arbeiten, die meiner Philosophie entspricht." Sein Bruder Mischa, ebenfalls Tennisprofi, plagte sich mit Symptomen einer Burn-Out-Erkrankung, dazu trennte sich Zverev von seiner Freundin. Eine Gemengelage, die jedem jungen Menschen schwer zusetzen würde, vor allem, wenn er seinen Beruf unter den Augen einer Millionen-Öffentlichkeit ausüben muss.

Zverev macht sich gewaltigen Druck

Ein Bild von früher: Zverev ist Tennis-Weltmeister 2018.

Ein Bild von früher: Zverev ist Tennis-Weltmeister 2018.

(Foto: imago/Xinhua)

Eine schlimme Saison mit sportlichen und vor allem persönlichen Tiefschlägen schloss er mit dem Halbfinal-Einzug bei der Weltmeisterschaft und immerhin auf Platz sieben der Weltrangliste ab. Das ist nicht so schlecht. Und doch zu wenig, gerade für Zverev selbst: "Ich bin nicht mehr der junge Kerl von früher. Ich muss mich jetzt verbessern". Höchste Zeit sei es, sein Potenzial jetzt voll auszuschöpfen. Denn er will noch zu aktiven Zeiten der "Big 3" Djokovic, Nadal und Federer, in die Phalanx dieser Tennis-Giganten einbrechen. "Wenn ich nur darauf warte, dass sie in den Ruhestand gehen, werde ich für den Rest meiner Karriere nur hören: ‚Ja, aber diese Jungs waren besser als du!‘ Ich will aber nicht die Nummer 1 in der Welt sein, weil andere Profis nicht mehr spielen. Ich will die Nummer 1 sein, weil ich besser bin als alle anderen." Den eigenen Anspruch und seine Leistungen kann er einfach nicht wieder verheiraten.

Zverev leidet an sich selbst, allzu oft verzweifelt er, dann gehen eigentlich zu gewinnende Matches einfach dahin. Das sind keine guten Voraussetzungen, um große Leistungen zu bringen. Es ist kein Verrat an den Tennisfans, es sind jedesmal kleine Sportdramen. Aber die, die keinem Spaß machen, weil sie zu stringent auf die Katastrophe zusteuern. Bei Zverev scheinen viele nicht einmal mehr Spaß an der Fallhöhe zu haben, es reicht nur noch für die Empörung über die nicht erfüllten Erwartungen. Zverev macht sein Spiel, seine Situation am meisten selbst zu schaffen. "Ich hatte den Spaß verloren. Nicht nur am Tennis, sondern an allem, was ich gemacht habe", sagte Zverev dem "Guardian" über sein zurück gelassen gehofftes Jahr 2019. Den Spaß hat der ATP Cup ganz sicher nicht zurück gebracht.

"Er tut mir fast schon leid"

"Das sind nicht die Bilder, die wir von Alexander Zverev sehen wollen", sagte der frühere Davis-Cup-Kapitän Patrik Kühnen bei "Sky" nach der dritten Zverev-Pleite. "Da gilt es, einen Weg herauszufinden. Das ist schwer, da tut er mir schon fast leid". Mitleid, das braucht der Spieler wohl nicht, aber es ist angebrachter als Zorn oder Häme.

Sein geschäftliches Umfeld hat Zverev inzwischen geordnet, inzwischen wird er ganz offiziell von Roger Federers Agentur Team8 gemanaged. Sportlich wünscht sich Mentor Becker einen klaren Schnitt: "Ich glaube, dass der Vater immer eine Rolle im Tennisleben und auch sonst bei Sascha und bei seinem Bruder Mischa spielen wird", sagte er: "Aber ich würde mir wünschen, er würde bald einen neuen Trainer finden. Zverev solle dann "auch mal Zeit mit dem Trainer alleine" verbringen. Seit der Trennung von Lendl trainierte ihn wieder sein Vater. "Ich brauche Trainingszeit, muss Matches gewinnen, dann wird es schon wieder irgendwie laufen" – Alexander Zverevs sportliche Probleme muss Alexander Zverev lösen – für sich selbst, nicht für den Rest der Welt.

Quelle: ntv.de

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