"Dafür spielt man" Zverev will jetzt Geschichte schreiben, nicht wiederholen
09.06.2023, 12:11 Uhr
Alexander Zverev steht vor einem großen Schritt.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Alexander Zverev steht vor dem Einzug ins Finale der French Open, mal wieder. Im vergangenen Jahr endet die Hoffnung mit Schmerzen und Schreien. Diesmal soll der nächste Schritt gelingen. Es wäre ein großer.
Am 3. Juni vergangenen Jahres erlebten 15.000 Tennisfans eines der größten Matches, die jemals auf dem mächtigen Court Philippe-Chatrier, dem Center Court der French Open, ausgetragen wurden. Alexander Zverev und Rafael Nadal lieferten sich ein episches Duell, nach drei Stunden waren nicht einmal zwei Sätze gespielt. Es war ein fantastisches Match, nicht durchgehend hochklassig, aber jederzeit faszinierend. Und völlig offen. Dann endete der Kampf mit einem Knall: Bei Zverev rissen mehrere Bänder im rechten Knöchel, das Match endete mit erschütternden Schreien des Deutschen.
Zwei Siege war Zverev damals davon entfernt, endlich sein erstes Grand-Slam-Turnier zu gewinnen und damit eine große Sehnsucht zu befriedigen, die manchmal eine Obsession zu sein scheint und irgendwann zum Trauma werden kann. Nun ist der Olympiasieger und zweifache Weltmeister zurück, steht an der gleichen Stelle im Turnier und wird am Abend wieder auf dem Platz stehen, auf dem vor einem Jahr die Weiche von Triumphzug schmerzhaft auf Abstellgleis umsprang. Gegen den norwegischen Weltranglistenvierten Casper Ruud geht es darum, nun endlich den nächsten Schritt zu machen. "Es war das härteste Jahr meines Lebens, ich liebe Tennis mehr als alles andere im Leben. Ich spiele den Sport nicht für das Geld, nicht für den Ruhm oder irgendetwas anderes", sagte Zverev in den frühen Morgenstunden zum Ende der ersten Turnierwoche. "Als man mir das genommen hat, war das sehr schwer. Ich bin sehr froh, hier zurück zu sein."
"Grand-Slams sind Tennis-Geschichte"
Er hat sich hierher zurückgekämpft. Durch eine lange, schwere Rehaphase, durch eine Zeit voller sportlicher Rückschläge und durch die Verzweiflung über sich selbst. "Ich muss mal gewinnen, und dann löst sich das. Mehr weiß ich jetzt auch nicht, was ich sagen soll. Dieses Jahr spiele ich das schlechteste Tennis, wahrscheinlich seit 2015, 2016", hatte Zverev nach einem frühen Aus im Mai beim Masters-Turnier in Rom geklagt. Das hat sich in den Tagen von Paris gedreht, beim wichtigsten Sandplatzturnier des Jahres reiht der Hamburger eine starke Vorstellung an die nächste.
Von Rückschlägen erholt er sich auf dem Pariser Sand, auf dem er sich wohler fühlt, als es seine Spielanlage eigentlich hergibt, innerhalb der Matches schnell. Die extremen Leistungsschwankungen der letzten Wochen und Monate sind in den Tagen von Paris überwunden.
Zverev ist zumindest für den Moment dort zurück, wo er sich hinwünscht: "Tennis besteht aus Grand Slams. Grand Slams sind Tennis-Geschichte. Dafür spielst du", sagte Zverev vor dem Halbfinal-Duell mit dem Norweger Casper Ruud. "Ich denke, die beiden wichtigsten Dinge im Tennis sind Grand Slams und Olympia. Wenn du in einem Halbfinale oder Endspiel stehst, ist das ein deutlicher Unterschied zu Endspielen anderer Turniere." Zum Olympiasieger hatte sich Zverev 2021 in Tokio gemacht, die Sache mit den Grand Slams ist eine offene Wunde, die er noch schließen will. Über die Verletzung "denke ich gar nicht mehr nach", sagte er jüngst. "Ich bin hier, um einen Grand Slam zu gewinnen." Er ist wieder ganz nah dran. Überraschend nah.
"Dumme Experten-Kommentare"
Auf dem Zettel hatte den gefallenen Halbfinalisten von 2022, der zuletzt durch die Weltrangliste taumelte und auf starke Auftritte kaum erklärliche Pleiten folgen ließ, niemand so recht. Im Gegenteil, Tennislegende John McEnroe sah den Deutschen sogar "auf dem Tiefpunkt". Der Profi kritisierte sich selbst hart, aber Kritik von außen wurmte dann doch: "Die Experten geben teilweise ziemlich dumme Kommentare ab", sagte Zverev vor dem Start des Turniers, das für ihn nun wieder das Schicksal wenden soll. Er wolle sich nicht sagen lassen, dass er "nie wieder an der Spitze spielen werde. Ich werde beweisen, dass das nicht stimmt. Ich weiß, wie ich meine Ziele erreichen kann." Vor dem Turnier hatte sich Zverev überraschend von seinem Trainer Sergi Bruguera, selbst einst Dominator von Paris, getrennt. "Wir haben nach Madrid entschieden, dass wir aufhören. Wir hatten nicht dieselbe Meinung dazu, in welcher Art ich nach der Verletzung Tennis spielen soll", erklärte Zverev, der in Paris von seinem Vater Alexander Senior begleitet wird.
Nach dem überzeugenden Viertelfinale über den argentinischen Außenseiter Tomas Martin Etcheverry legte er gegen die Zweifler nach: "Ich bin im Halbfinale von Roland Garros, es gibt nicht sehr, sehr viele Spieler, die das geschafft haben", betonte der 26-Jährige. "Man kommt nicht in das Halbfinale von Roland Garros, wenn da immer noch was fehlt." Es sind zwei Schritte bis zum ersten Grand-Slam-Titel, wie schon am 3. Juni 2022.
Sein Gegner freut sich jedenfalls auf das Duell: "Es ist großartig, ihn wieder im Halbfinale zu sehen", sagte Ruud über Zverev. Gut möglich, dass es wieder ein großes Match wird. Ruud präsentierte sich in seinem Viertelfinale gegen den dänischen Senkrechtstarter Holger Rune stark. Und weiß, worauf es in einem Grand-Slam-Halbfinale ankommt: "Man muss wissen, dass jedes Match lang sein kann, und ich denke, darauf war ich heute vorbereitet", sagte er nach seinem Viersatzsieg gegen Rune. Gewinnt der Norweger erneut, würde sich für beide Geschichte wiederholen: Ruud stand bereits im vergangenen Jahr im Finale, Zverev erlebte seine bitterste Stunde. Dann doch lieber Geschichte schreiben. Einen deutschen Sieger gab es bei den French Open jedenfalls noch nie.
Quelle: ntv.de, ter