Ein großes silbernes Ausrufezeichen Seitz überrascht die Turn-Welt
09.04.2011, 00:20 Uhr
Bei der provisorischen Siegerehrung für Elisabeth Seitz (r.), Anna Dementieva (M) und Elena Racea in der Max-Schmeling-Halle gab es einen Fauxpas. Die Hymne für Siegerin Dementieva brach mittendrin ab. Die Russin sang trotzdem weiter.
(Foto: dpa)
Ein Horrorerlebnis ist die WM 2010 für Elisabeth Seitz gewesen. Die Schülerin, national längst etabliert, stürzt ausgerechnet an ihrem Paradegerät Stufenbarren, zweimal. Bei der Heim-EM in Berlin steht Seitz eindrucksvoll wieder auf. Silber im Mehrkampf der Frauen ist eine Sternstunde für das deutsche Frauenturnen.
Elisabeth Seitz stand in der Mixed Zone vor den Journalisten, und natürlich musste sie ihren Finger zeigen. Ein wenig vom rot lackierten Nagel war noch zu erkennen, der Rest waren Tapeverband und Pflaster. Beim Einturnen am Morgen war sie bei der Gymnastik am Barren abgerutscht und hatte sich den kleinen Finger der linken Hand ausgekugelt, berichtete Seitz und ging noch ins Detail: "Ich muss sagen ich habe noch nie so etwas Ekliges gesehen." Sie lachte.
Minuten zuvor hatte "Eli", wie sie im deutschen Turn-Team gerufen wird, die Berliner Max-Schmeling-Halle zum Toben gebracht. Silber im EM-Mehrkampffinale der Frauen hinter der Russin Anna Dementieva und vor Elena Racea aus Rumänien bescherte dem Deutschen Turner-Bund zum Start der Heim-EM in Berlin nach Gold für Philipp Boy bereits die zweite Medaille im zweiten Wettbewerb. Doch während Boy als Favorit des Wettkampfs eher überraschend wacklig geturnt hatte, war Silber für Seitz eine echte Überraschung. Oder mehr?
Lauter Ausrufezeichen
Elisabeth Seitz sagt nicht ja und nicht nein, sie sagt: "Von den Männern ist man das schon fast gewohnt. Man turnt halt immer so mit denen mit und versucht, auch mal ein paar kleine Ausrufezeichen zu setzen. Ich glaube, jetzt ist mir ein großes Ausrufezeichen gelungen." Als ihr jemand zuruft, dass sie die erste deutsche Damenmedaille in einem Mehrkampf-Finale seit 1985 gewonnen hat, sagt sie: "1985? Cool." Seitz ist Jahrgang 1993.
Ein mittelgroßes Ausrufezeichen war ihr bereits mit Platz vier in der Mehrkampf-Qualifikation am Mittwoch gelungen. Anschließend hatte ihre Trainerin Claudia Schunk verkündet: "Wenn sie am Freitag auch Vierte würde, wäre das super." Dass es zu so viel mehr reichen würde, lag auch am Ausfall der Topfavoritin Alija Mustafina. Die Russin verletzte sich nach ihrem gestandenen Sprung so schwer am Knie, dass sie den Wettkampf abbrechen musste.
Mit Def und Willenskraft
Dass es letztlich sogar Silber wurde, lag aber vor allem an Seitz selbst. Mit eingerenktem Finger übertraf sie im Finale in allen vier Disziplinen, Stufenbarren (14,725, +0,300) Sprung (14,620, +0,495), Balken (13,625, +0,575) und am Boden (13,725, +0,075) ihre erstklassigen Qualifikationsleistungen und weckte damit auch Medaillenhoffnungen für die Einzelfinals im Sprung und Stufenbarren. Seitz ließ sich im großen Finale auch von unerwarteten Widrigkeiten nicht aus dem Takt bringen. Als sie nach dem Seitwärtssalto vom Balken zu fallen drohte, fing sie sich und damit ihre Medaillenhoffnungen mit großer Willenskraft wieder auf.

Entrückt am Boden: Mit ihrer letzten Übung machte Elisabeth Seitz aus ihrer Medaillenchance Silber.
(Foto: AP)
Als sie die abschließende Bodenübung nicht wie geplant als Letzte, sondern als Erste turnen musste, nahm sie die Pfiffe des Publikums für die Jury als Motivation und begeisterte die Zuschauer so, wie es Philipp Boy bei seiner letztlich vergoldeten Zitterpartie nicht geschafft hatte. Nach anfänglicher, gebannter Stille wurde ihre Darbietung vom rhythmischen Klatschen der Zuschauer begleitet, das mit zunehmender Dauer in berauschenden Jubel überging. Wie zuvor schon, als sie am Stufenbarren den spektakulären Def perfekt gezeigt hatte. Den Schraubensalto, den außer ihr nur noch zwei Turnerinnen beherrschen und mit dem sie bei der WM 2010 in Rotterdam kläglich gescheitert war.

Seitz und Teamkollegin Kim Bui mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Turn-EM an Krücken eröffnete.
(Foto: REUTERS)
Philipp Boy hat den Tag seines Goldgewinns zum schönsten in seinem Sportlerleben erhoben. Elisabeth Seitz fasste ihren ersten Wettkampftag in Berlin, der mit Verletzungspech begann, ein Foto mit Bundeskanzlerin Merkel folgen ließ und auf dem Siegerpodest endete, so zusammen: "Da kam eine Aufregung nach der anderen. Und jetzt ist der ganze Tag voller Aufregungen. Ich glaube, ich werde ihn nie vergessen."
Der weitere EM-Zeitplan
Samstag, 9. April | deutsche Teilnehmer | |
13.30 - 17.00 Uhr | Gerätefinale der Frauen: Sprung, Stufenbarren | Elisabeth Seitz (Sp/St), Oksana Chusovitina (Sp), Kim Bui (St) |
Gerätefinale der Männer: Boden, Pauschenpferd, Ringe | Philipp Boy (B), Sebastian Krimmer (P) | |
Sonntag, 10. April | ||
13.30 - 17.00 Uhr | Gerätefinals der Frauen: Schwebebalken, Boden | |
Gerätefinals der Männer: Sprung, Barren, Reck | Marcel Nguyen (B/R), Philipp Boy (R) |
Quelle: ntv.de