Die Karriere-Gretchenfrage Mick Schumacher erwartet ein "rauer Wind"
08.12.2023, 19:50 Uhr
Mick Schumacher hat einen weiten Weg vor sich.
(Foto: REUTERS)
Mick Schumacher wird 2024 fliegen. Viel fliegen. Vor dem 24-Jährigen liegt ein motorsportliches Mammutjahr. Vor allem in der Langstrecken-WM steht Schumacher vor einer großen Herausforderung - und muss eine entscheidende Frage beantworten.
Mick Schumacher sucht eine neue Herausforderung, doch diese ist womöglich deutlich anspruchsvoller, als man für einen Formel-1-Piloten im Wartestand erwarten würde. "In der WEC weht Mick Schumacher ein rauer Wind entgegen", prophezeit RTL-Rennsport-Experte Felix Görner im Gespräch mit sport.de/ntv.de. Mit Herstellern wie Ferrari, Toyota oder Porsche sei die Meisterschaft "fast schon ein Who is Who" des Motorsports. Die Neulinge Alpine und Schumacher kämen dagegen "als Underdogs" in die Serie, stellt Görner klar.
"Das wird ein Lehrjahr, hoffentlich kein Leerjahr. Es gibt jede Menge Top-Piloten in der WEC, die seit Jahren im Langstreckensport sind und sich bewiesen haben. Da zittert jetzt keiner, weil Mick Schumacher einsteigt. Man darf die Erwartungen an ihn nicht zu hoch legen. Es ist zunächst ein Rantasten. Ich glaube, Mick ist selbst gespannt, wie gut er mit dieser Rakete mit Dach ist. Vielleicht hat er bis zum Saisonhöhepunkt in Le Mans im Juni so viel Erfahrung, dass er eine gute Rolle spielen, am besten ins Ziel kommen kann."
Schumacher müsse sich zunächst mit anderen WEC-Rookies und seinen Alpine-Kollegen Ferdinand Habsburg, Nicolas Lapierre, Matthieu Vaxiviere, Charles Milesi sowie Paul-Loup Chatin messen, sagt Görner. Interessant wäre zudem ein "Quervergleich" mit Robert Shwartzman, sollte Ferrari dem Russen einen Sitz geben. Mit 24 Jahren ist Shwartzman genauso alt wie Schumacher, beide durchliefen einst die Nachwuchsakademie Ferraris.
"Hoffentlich wird er nicht das Crashkind der WEC"
"Ich hoffe, dass ihm keinerlei Unfälle passieren", blickt der langjährige RTL-Reporter auf Schumachers Premierenjahr voraus: "Wir kennen ja die Gründe, warum er bei Haas letztlich aus der Formel 1 geflogen ist. Hoffentlich wird er nicht das Crashkind der WEC."
Der Schritt in die Langstrecken-WM sei aus Schumacher Sicht insgesamt "klug" gewesen, sagt Görner. "Es ist wichtig, dass er den letzten Strohhalm ergriffen hat. Er muss wieder ins Fahren kommen. Sonst geht er als Simulator-Champion in die Renngeschichte ein."
Die WEC sei für den Sohn von Michael Schumacher "völliges Neuland" und im Vergleich zur Formel 1 "der Umstieg vom Sprint in einen Marathon-Wettbewerb. Das ist ein komplett anders Fahrern. Nicht nur das Fahren mit Dach, sondern auch mit bedeckten Rädern, die man nicht sieht. Dann natürlich das wesentlich höhere Gewicht als in der Formel 1, was zu einem anderen Kurvenverhalten führt. Das muss er lernen", erläutert Görner. Ein WEC-Hypercar könne Schumacher nicht mehr wie einen F1-Boliden "in die Kurve schmeißen. Es ist eher wie ein Fahren auf Schienen. Das Auto ist eher ein Klotz, hat deutlich weniger PS, ist insgesamt träger."
Kompromisse bei Fahrzeugabstimmung nötig
Ungewohntes Terrain sei für Schumacher zudem der "Teamsport" WEC, bei dem er sich das Alpine-Hypercar mit zwei Kollegen teilen wird. "Er wird bei der Fahrzeugabstimmung Kompromisse eingehen müssen, vor allem bei der Arbeit für ein 24-Stunden-Rennen. Da übernimmt man die Kompromissabstimmung des Vordermanns, der gerade gefahren ist und man kann beim Boxenstopp nicht mehr viel justieren", sagt Görner, der als Reporter für RTL und Nitro dutzende Male von 24-Stunden-Rennen berichtet hat.
In der WEC werde sich insgesamt zeigen, "wie flexibel Schumacher als Rennfahrer ist", so Görner. "Ist er so ein Rennfahrer, der sich in ein Auto setzt und auf Anhieb schnell ist - egal, ob das jetzt eine Seifenkiste oder ein Formel-1-Auto ist? Das macht ja die Qualität aus, man denke an einen Fernando Alonso oder Nico Hülkenberg. Der ist da eine richtige Benchmark, hat Le Mans gewonnen, obwohl er das Fahren mit Dach nicht groß geübt hat. Mick wird in der WEC daran gemessen werden, ob er ein richtig kompletter Fahrer oder nur ein Spezialist ist. Diese Frage wird über dem Rennsport-Jahr von Mick Schumacher stehen: Ist er ein kompletter Rennfahrer oder nur ein Formel-1-Fahrer?"
Für Schumacher wird es schon nächste Woche vom 11. bis 13. Dezember ernst. In Portimao (Portugal) klettert er bei Testfahrten zum zweiten Mal in das Alpine-Hypercar. Die Proberunden seien für den 24-Jährigen "extrem wichtig", betont Görner. "Er muss sich dieses Auto überziehen wie eine zweite Haut. Da hilft jeder Kilometer, den er abspult, und er wird viele abspulen. Es wird für ihn die letzte Erfahrung in diesem Sportwagen sein, bevor es 2024 dann Richtung Saisonstart geht."
Das Alter spricht für Mick Schumacher
Den Unterschied zur Formel 1 müsse Schumacher "völlig ausblenden, sonst wird das nichts", spielt der RTL-Reporter auf den jüngsten Formel-1-Test des Mercedes-Manns in Magny Cours an. "Portimao im Alpine wird für ihn ein Sprung aus der warmen Dusche ins kalte Wasser. Da wird er sich fragen: Geht das nicht schneller, warum muss ich so früh bremsen, um in eine Kurve zu kommen, weil die Bremskraft in einem WEC-Auto einfach nicht so stark ist."
Nach den Tests geht es für Schumacher wieder in den Flieger, wo er kommendes Jahr mehr Zeit verbringen wird, als im Rennwagen. Mittelfristig sei die Doppelbelastung als F1-Ersatzfahrer und WEC-Vollkraft "ein Fehler", sagt Görner. "Kurzfristig kann ich ihn verstehen, weil er seinen Traum von der Formel 1 noch nicht aufgeben will. Da will er nah dran zu sein, um vielleicht einen Spalt zu sehen, den er vielleicht nur vor Ort erkennen kann, um mit seinem Management natürlich auch zu netzwerken."
Biete sich Schumacher in der Formel 1 allerdings keine Chance, müsse er sich völlig einem anderen Projekt widmen. Vielleicht ja der WEC, wenn Schumacher die Frage nach seinem motorsportlichen Gesamtpaket beantwortet. "Sollte er überzeugen, würde ihm das sicher neue Möglichkeiten eröffnen", sagt Görner. "Denn man darf nicht vergessen: Sein Alter spricht für ihn."
Quelle: ntv.de