Formel 1 debütiert in Sotschi Russlands PR-Show in unbequemen Zeiten
09.10.2014, 09:29 Uhr
Nicht weit entfernt von der Start- und Zielgeraden liegen der Vergügungspark "Sochi Park" und das Fisht-Stadion.
(Foto: imago/ITAR-TASS)
Der Formel-1-Zirkus feiert seine Premiere in Russland. Das Rennen soll Sotschis Olympia-Erbe retten. Doch die Formel 1 ist hier nicht verwurzelt, der Grand Prix ein Zuschussgeschäft. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes.
Dimitri Zhurkin steht auf dem Dach des mehrstöckigen Boxengebäudes. Von hier oben hat er den besten Überblick. Die Zuschauertribüne und der Start- und Zielbereich der neuen Formel-1-Rennstrecke liegen direkt unter ihm. Und nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt liegt die Vergangenheit: Das Olympiastadion "Fisht", in dem im Februar erst die Eröffnungs- und die Schlussfeier der Olympischen Winterspiele stattfand, grenzt direkt an den neuen Rundkurs. Doch Olympia ist für Zhurkin mittlerweile weit weg. Für den Bauleiter der Rennstrecke in Sotschi zählt so kurz vor der Formel-1-Premiere auf russischem Boden nur noch der Grand Prix. "Die gesamte Rennstrecke verläuft innerhalb des Olympia-Parks", sagt Zhurkin stolz. "Das wird mit den ganzen Sportstätten von Olympia zu einer einmaligen Atmosphäre beitragen. Das wird einfach eine spannende Show werden." Eine spannende, aber auch teure Show - für Präsident Wladimir Putin, der Russland zu einer Sportgroßmacht ausbaut. Und für die Formel 1, die sich neue Märkte erobert.
Rund 260 Millionen Euro haben die Streckenbetreiber investiert. Die gestellte Bedingung, für die Strecke keine zusätzlichen Kosten zu verursachen, wurde nicht erfüllt. Wie auch schon für die Olympischen Spiele werden auch die Kosten für das Formel-1-Projekt am Ende also deutlich höher sein, als die veranschlagten 142 Millionen Euro. Doch Zhurkin schüttelt den Kopf, wenn man ihm die gestiegenen Kosten vorhält. "Wir hätten viel höhere Kosten gehabt, wenn wir an einem anderen Standort eine komplett neu Rennstrecke gebaut hätten. Hier im Olympia-Park können wir die gesamte Infrastruktur nutzen, alle Kommunikationsleitungen und so weiter. Das spart uns viel Geld."
Streckenprofil aus Deutschland
Im Konferenzraum seines Aachener Büros sitzt der Architekt Hermann Tilke. Hinter ihm an der Wand hängen Bilder von Formel-1-Rundkursen auf der ganzen Welt. Der Architekt hat an vielen Strecken mitgearbeitet - auch in Sotschi. Manche Fahrer kritisieren den 59-Jährigen, weil er den Rennzirkus zu langweilig gemacht habe. Er baue vor allem sichere Kurse, bemängeln sie. Doch in Sotschi hat Tilke sich ins Zeug gelegt, um einen anspruchsvollen Parcours für die Piloten umzusetzen. "Die Autos werden nach dem Start einen Kilometer lang beschleunigen. In der ersten Kurve sind sie also über 300 km/h schnell. Ich hoffe, dadurch gibt es ordentlich Action in der Kurve und viele Überholmöglichkeiten."
Ob sich viele russische Zuschauer von der Action anlocken lassen, ist fraglich. Ursprünglich hatten die Veranstalter mit 100.000 Zuschauern gerechnet. Nun ist die Zuschauerkapazität auf nur noch 45.000 Plätze reduziert worden. Die Formel 1 hat in Russland keinerlei Tradition. Aktuell gibt es mit Daniil Kwjat nur einen russischen Fahrer und mit Marussia nur einen russischen Rennstall - der fährt dem Feld aber weit abgeschlagen hinterher.
Hinzu kommt, dass es kaum direkte Flugverbindungen nach Sotschi aus dem Ausland gibt. Die Veranstalter gehen deshalb auch nicht von vielen internationalen Besuchern aus, die zusätzlich zur umständlichen Reise auch noch ein Visum benötigen. Die aktuelle geopolitische Lage mit Ukraine-Krise und EU-Sanktionen tut ihr übriges. In Formel-1-Kreisen und der Politik wurden sogar schon Stimmen laut, man müsse das Rennen in Sotschi boykottieren. Aber dazu wird es nicht kommen. Der weltweite Rennzirkus ist ein Milliardengeschäft, es geht um die Erschließung neuer Märkte auf dem Globus. Mexiko wird 2015 und Aserbaidschan 2016 neu in den Rennkalender aufgenommen. Russland passt perfekt in diese Strategie. Allein 50 Millionen Dollar soll nur der Ausflug nach Sotschi pro Jahr in die Kasse des Rechte-Inhabers Bernie Ecclestone spülen.
40.000 Hotelzimmer warten auf Gäste
Am Schwarzen Meer wird aber in Zukunft noch jede Menge Aufbauarbeit nötig sein, um die Massen an die neue Rennstrecke im Olympia-Park in Sotschi zu locken. Architekt Hermann Tilke ist fest davon überzeugt, dass dieses Unterhaben gelingen kann. "Es ist schon ein sehr großer Aufwärtstrend in Sachen Motorsport in Russland zu sehen, sowohl vonseiten der Aktiven, als auch von Menschen, die das spannend finden und zum zugucken kommen."

Am 14. Oktober 2010 unterzeichneten Bernie Ecclestone und Wladimir Putin den Vertrag.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bis 2020 haben die russischen Verantwortlichen die Verträge mit der Formel 1 unterschrieben. Die Rennen sollen mithelfen, das Olympia-Erbe zu nutzen. 40.000 Hotelzimmer in Sotschi warten auf Übernachtungsgäste. Schon im April mahnten russische Duma-Abgeordnete an, man müsse sich um das Olympia-Vermächtnis von Sotschi sorgfältiger kümmern. Man verzeichne einen starken Abfluss von Facharbeitern und es fehle ein Konzept, wie die Olympia-Sportstätten in Zukunft genutzt werden sollen.
Putins Deal mit Ecclestone
Fraglich ist auch, ob der Rennzirkus dauerhaft in Sotschi zu Gast sein wird. Die Verträge mit dem Großen Preis von Russland sind nicht an die Olympiastadt gebunden. Auch in Moskau gibt es großes Interesse. Einzig eine Formel-1-taugliche Strecke fehlt noch. Einer, der wissen muss, ob Sotschi Chancen hat, auch langfristig in der Formel 1 zu bleiben, ist Christian Sylt. Der Engländer ist Formel-1-Experte und Intimus von Bernie Ecclestone. Sylt sieht keinerlei Gefahr, dass es dem Olympia-Austragungsort ähnlich wie Indien oder Südkorea gehen könnte. Dort wurden die Grands Prix trotz langjähriger Verträge nach nur wenigen Ausgaben wieder aus dem Rennkalender gestrichen. Ein Grund war das mangelnde Zuschauerinteresse und nicht ausgebliebene Verbesserungen durch die Organisatoren.
Doch in Sotschi spielen die Zuschauerzahlen nach Sylts Meinung nur eine untergeordnete Rolle. "Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es in Sotschi darum geht, genügend Zuschauer anzulocken, um das Rennen wirtschaftlich zu machen", sagt Sylt. "Jedes dieser Rennen, die staatlich unterstützt werden - und dieses hier wird ganz besonders stark vom Staat gefördert - ist auf die Zuschauereinnahmen nicht angewiesen."
Es stecke enorm viel Prestige im Großen Preis von Russland, sagt der Ecclestone-Kenner. Das werde allein schon dadurch sichtbar, dass die Verträge zwischen Ecclestone und Wladimir Putin höchstpersönlich unterzeichnet und ausgehandelt wurden. Das sei normalerweise völlig untypisch. Die Formel 1 in Sotschi ist wie auch schon Olympia Chefsache. Momentan werden alle Kosten von der Regierung getragen."Ich glaube nicht, dass es bei diesem Rennen darum geht, die Formel 1 in Russland zu entwickeln", sagt Sylt. "Bei diesem Rennen geht es vielmehr darum, Russland im Rest der Welt bekannt zu machen." Positive Schlagzeilen in schwierigen Zeiten also, die Formel 1 in Sotschi hat einen klaren Auftrag.
Quelle: ntv.de