1100 Tage nach Wiederbelebung Christian Eriksen trifft mitten ins Herz
16.06.2024, 21:21 Uhr
Eriksen ist umringt von seinem Team - ein ganz besonderes Tor.
(Foto: picture alliance / Sportpics)
Herzstillstand bei der vergangenen Fußball-EM, Tor bei diesem Turnier: Dänemarks Christian Eriksen erzeugt die ganz großen Emotionen. Dabei trauen ihm längst nicht alle Großes zu, seine Nominierung ist heiß diskutiert. Doch gegen Slowenien wird es fast zu kitschig.
Dieses Tor trifft mitten hinein in die ganz großen Emotionen. Dänemarks Christian Eriksen schießt bei seiner Rückkehr auf die Bühne einer Fußball-Europameisterschaft das erste Tor seiner Mannschaft im Turnier. Genau 1100 Tage ist es her, dass Eriksen bei der Kontinental-EM für den größtmöglichen Schock gesorgt hatte. Herzstillstand auf dem Platz, Kampf gegen den Tod, Wiederbelebung.
Nun trifft er - ausgestattet mit einem Defibrillator - mitten ins Herz aller Fans und Fußball-Liebhaber. In der 17. Minute ist es gegen Slowenien (1:1) so weit. Ein Einwurf von der rechten Seite kommt in den Sechzehner, Wolfsburgs Jonas Wind verlängert per Hacke in den Lauf von Eriksen. Der 32-Jährige nimmt den Ball mit und schießt ihn mit rechts ins linke untere Eck. Der Jubel bei ihm, bei seinem Trainer Kasper Hjulmand, bei seinem Team, ist riesig. "Er hat etwas ganz Besonderes. Er hat heute ein fantastisches Spiel für uns gemacht und ist der Taktgeber unserer Mannschaft", sagt Hjulmand. Es sind so gegensätzliche Emotionen.
Drei Jahre und vier Tage liegt der Moment zurück, an dem Eriksen beinahe gestorben wäre. Fünf Minuten sei er tot gewesen, sagt er selbst über seinen Kampf ums Leben, mitten im EM-Auftaktspiel Dänemarks gegen Finnland. An diesem 12. Juni 2021 bangte ganz Fußball-Europa um ihn, nachdem er ohne Fremdeinwirkung auf dem Platz zusammengebrochen war.
Eriksen spielt mit Defibrillator
Wäre es ein verfilmtes Drama, könnte im Drehbuch eine Stimme in Eriksens Kopf vorkommen: "Christian", sagt die Stimme zu ihm, "du bist einen weiten Weg gegangen bis hierher. Dein Herz ist müde. Du bist müde. Aber es ist noch nicht vorbei. Du hast noch etwas zu erledigen." Da fährt ein Blitz in ihn und Christian Eriksen kehrt zurück von da, wo sie ihn noch nicht erwartet hatten. Er ist müde, aber er hat noch was zu erledigen. Ein weiterer Blitz, und das Leben kehrt zurück. Er hört die entsetzte Stille, die Angst, die Trauer. Es ist noch nicht vorbei. Ja, er hat noch etwas zu erledigen.
Denn was kaum jemand zu hoffen gewagt hatte, Eriksen lebt nicht nur, er spielt längst wieder Fußball. Ihm wurde ein Defibrillator eingesetzt, was ihn seine Karriere bei Inter Mailand kostete. Italien verbietet Personen mit implantierten Defibrillatoren den Kontaktsport, weil Schläge auf das Gerät zu Fehlfunktionen führen könnten. Der FC Brentford aus der Premier League nahm ihn unter Vertrag, von da aus ging es weiter zum Liga-Konkurrenten Manchester United.
Bei der EM 2021 schöpften seine Teamkollegen aus dem Drama und der Motivation des im Krankenhaus liegenden Eriksen Energie, spielten sich für ihn bis ins Halbfinale, scheiterten erst an England. In Katar, bei der Wüsten-WM, war Eriksen dann schon wieder Teil des Teams. Die Dänen schieden schon in der Vorrunde aus. Die Rückkehr auf die EM-Bühne ist weit emotionaler für Eriksen und Dänemark.
"Er ist unser Herz"
Alles erinnert vor dem Auftakt an das Drama. Eriksen selbst scheint es gut verkraftet zu haben: "Es war mein Ziel, wieder auf das höchste Niveau zu kommen, als mir gesagt wurde, dass ich immer noch Fußball spielen kann. Es ist jetzt drei Jahre her, und es ist nicht vergessen, was passiert ist. Aber es ist nichts, was mich zurückhält. Ich freue mich einfach darauf, zu spielen."
Dabei drehen sich die Diskussionen um seine Person in Dänemark längst nicht nur um seinen Herzstillstand. Vielmehr wird um seinen Wert fürs Spiel debattiert. "Christian hat eine hohe Spielintelligenz und die Gabe, sich klug zu positionieren", schwärmte Hjulmand: "Er ist unser Herz, er ist unser Mann auf dem Feld, der das Spiel diktieren kann. Wenn er gut spielt, dann spielen wir auch gut." Auch Sturmpartner Rasmus Höjlund sagte: Eriksen sei ein "Weltklassespieler" und werde bei der EM "sehr wichtig für die Mannschaft sein."
Doch das sahen im Vorfeld nicht alle so. Er hatte bei Manchester United nicht viel Einsatzzeit bekommen, in der Krise des Klubs war er nicht die erste Wahl von Trainer Erik ten Hag. Und so meckerten einige Experten: "Er muss beweisen, dass er nicht nur wie beim Test im März gegen die Färöer glänzen kann", sagte 1992er Europameister Flemming Povlsen der "Sport Bild": "Christian muss sich steigern und zeigen, dass er Dänemark noch führen kann." Und Ex-Nationalspieler Thomas Gravesen meckerte: Den Eriksen, "den wir alle kennen, den gibt es nicht mehr."
"Man of the Match", aber nicht ganz glücklich
Im Spiel gegen Slowenien beweist Eriksen nun, dass sein Team sehr wohl auf ihn bauen kann. Er reißt das Spiel sofort an sich. Die Dänen kombinieren sich machtvoll in Richtung slowenisches Tor, sie lassen den Gegner kaum zu Atem kommen. In der 17. Minute ist das Eriksen-Märchen dann vorerst perfekt. "Alles, was weiter geht als ein Spiel, wird für mich besser sein als beim letzten Mal", hatte Eriksen vor der Partie gesagt.
Dass das ganze nicht zu kitschig und emotional endet, dafür sorgt dann aber Slowenien. Erik Janza (77.) gelingt der Ausgleich, der Punktverlust könnte für Dänemark noch schmerzhaft werden. Für Eriksen aber geht es weiter im Turnier. Als "Man of the Match" - und noch viel wichtiger - gesund und fit und mit großer Lust aufs Fußball spielen. "Dieses Mal ist meine Geschichte zum Glück eine ganz andere als bei der vergangenen EM", so Eriksen: "Ich hatte nur im Kopf, dass ich noch nie bei einer EM getroffen hatte - mehr nicht. Am Ende wäre ich natürlich noch viel besser gelaunt, wenn wir gewonnen hätten." Das ganz große Happy End kann ja noch folgen.
Quelle: ntv.de