Kompliziertes Achtelfinale Die unberechenbaren Favoriten
28.06.2021, 15:31 Uhr
Karim Benzema und Kylian Mbappé wollen Europameister werden - und tun sich dabei schwerer als erwartet.
(Foto: imago images/PanoramiC)
Die Fußball-Europameisterschaft hätte ein Fußballfest werden sollen. Nie zuvor hatten so viele Teams berechtigten Anspruch auf den Titel angemeldet. Die Vorrunde war ernüchternd, zu viele Favoriten wurden den eigenen Ansprüchen und Idealen nicht gerecht. Zwei Große können den Eindruck heute korrigieren.
Spanien - Kroatien
Wo findet es statt? Kopenhagen
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So siehts die ntv.de-Redaktion:
Viele Experten hätten noch vor dem Start des Turniers diesem Duell einen klaren Sieger vorausgesagt: Natürlich, die Spanier hatten eine Menge Corona-Ärger in der Vorbereitung, haben aber weiter eine Menge Qualität im Kader. Und den Kroaten, dem Vizeweltmeister, war das Ende einer Ära attestiert worden. Besonders von Luka Modric, dem Weltklassemann, dem Strippenzieher, hatte mancher erwartet, dass er dieser EM nicht mehr seinen Stempel würde aufdrücken können.
Und jetzt? Ist alles ganz anders: Spanien musste sich im dritten Gruppenspiel gegen die Slowakei mächtig strecken, um nach zwei mauen Remis das Weiterkommen zu sichern - und Kroatien schaffte es dank eines neuerlichen Geniestreichs von Altstar Modric, dem ewigen Spielmacher des Vizeweltmeisters, ebenfalls ins Achtelfinale. In seinem 140. Länderspiel, beim entscheidenden 3:1 gegen Schottland, traf Modric selbst und bereitete einen Treffer vor. "Niemand weiß, wie Luka es schafft, weiterhin so zu spielen. Man würde erwarten, dass er nachlässt, dass er an Energie verliert, aber er ist immer noch die Kraft, die das ganze Team antreibt", schwärmte sein Nationaltrainer Zlatko Dalic.
Auch bei den Spaniern, die mit der großen Qualität im Kader, war es am Ende vor allem einem Mann zu verdanken, dass sich die Zweifel zumindest kurzfristig in Hoffnung auflösten: Sergio Busquets, ebenfalls Altstar, der letzte Weltmeister von 2010 im Kader von Luis Enrique. "Das Spiel von Busquets war unglaublich. Meine Güte, wie er gespielt hat", schwärmte der Nationaltrainer nach dem 5:0 über die Slowakei. Kroatiens Co-Trainer Ivica Olic sieht ebenfalls ausgerechnet den Routinier als Schlüsselspieler der Spanier: "Ich bin mir nicht sicher, ob es möglich sein wird, ihn hundertprozentig auszuschalten, weil er so gut ist."
Das Achtelfinale zwischen Kroatien und Spanien, es ist auch das Duell zweier Regisseure, die die Geschicke ihrer Teams leiten - und am Ende wohl auch entscheidend für den Ausgang verantwortlich sein werden. Auch, weil bei den Kroaten mit Ivan Perisic der gefährlichste Scorer des Teams (zwei Tore, eine Vorlage) wegen seiner Corona-Infektion fehlen wird. Es kommt mal wieder auf den Weltfußballer von 2018 an, wie dieses Spiel ablaufen wird.
Spanien und der Ärger um den Torjäger
Bei Torjäger Alvaro Morata läuft es nicht, der Angreifer verschoss gegen die Slowakei auch noch einen Elfmeter. Zuvor hatte er sich bei den eher uninspirierten Auftritten gegen Polen und Schweden ebenfalls nicht eben besonders torgefährlich gezeigt. Häme und Hass prasselten auf den 28-Jährigen nieder. Sogar von Beleidigungen gegen seine Familie und Morddrohungen berichtet Morata. Nach dem Spiel gegen Polen habe er neun Stunden lang nicht schlafen können. "Ich wünschte, die Leute würden sich in meine Lage versetzen", sagte der Angreifer.
Die Angriffe hatten eine Qualität, dass Nationaltrainer Enrique eine polizeiliche Untersuchung forderte: "Es ist ein schweres Verbrechen", sagte Enrique auf der Pressekonferenz zum Spiel. "Seine Familie zu beleidigen, ist eine ernste Angelegenheit, die in die Hände der Behörden gelegt und mit der größtmöglichen Härte behandelt werden muss. Es geht um seine Frau und seine Kinder."
Die Stimmung rund ums spanische Team löste sich, abgesehen von der schlimmen Problematik um den glücklosen Stürmer Morata, durch das 5:0 über die Slowakei. Da war Sergio Busquets nach seiner Corona-Erkrankung in die Mannschaft zurückgekehrt und brachte Stabilität, Struktur und eben auch den Erfolg zurück. Der Sieg gegen die Slowakei sei laut Enrique eine wahre "Erleichterung" gewesen. Die ganz große Selbstgewissheit ist weg bei den Iberern, die 2008 und 2012 Europameister geworden waren und zwischendurch noch den WM-Titel holten, danach aber nie mehr das Viertelfinale bei einem großen Turnier erreichten. Und doch: Im großen Kreis der Favoriten hat man sich mit dem letzten Gruppenspiel zurückgemeldet.
Kroatiens Wohl hängt nun alleine an Modric
Nein, in Rente darf Luka Modric noch lange nicht gehen. Es wäre ein gewaltiges Problem für den kroatischen Fußball, der nach der Vizeweltmeisterschaft 2018 in ein Loch fiel und nicht mehr viele positive Schlagzeilen produzierte. In der Nations League setzte es sogar ein 0:6 gegen den heutigen Gegner. Nun ist das ein Schicksal, das sie nicht exklusiv haben. Und doch hängen Wohl und Wehe der Nationalmannschaft eben doch stark an den verbliebenen Stützen der 2018er-Elf: Ivan Perisic und eben Luka Modric. Perisic fällt aus, Modric muss es richten. Das tat er schon in der Gruppenphase, als es darauf ankam. Nach einer Niederlage gegen England (0:1) und einem Remis gegen Tschechien (1:1) organisierte Modric gegen Schottland (3:1) mit einer Weltklasseleistung das Weiterkommen. Schluss sein soll aber noch nicht, gibt sich Torhüter Dominik Livaković siegessicher: "Wir waren sicher nicht deren erste Wahl", sagte er. Die Stimmung im Team sei gut, auch der Sieg gegen Schottland habe einen zusätzlichen Schub gegeben. "Wir können das nächste Spiel kaum erwarten", fügte Abwehrspieler Josip Juranović hinzu. "Spanien hat ein exzellentes Team, aber wir müssen auf uns selbst schauen."
Frankreich - Schweiz
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Wie gut sind sie denn nun diese Franzosen? Dieser Überfavorit mit der Offensive aus der Delikatessenabteilung, die der deutschen Nationalmannschaft in ihrem ersten Gruppenspiel so eine Heidenangst eingejagt hatte, dass man sich gegen den "Weltmeister im Verteidigen" (Joachim Löw) selbst offensiv eine beeindruckende Scheindominanz erarbeitete, mehr aber auch nicht?
Gegen Ungarn (1:1) und Portugal (2:2) war der weltmeisterliche Glanz, das Strahlen des Überfavoriten schon arg eingetrübt. Fakt ist: Mit Karim Benzema hat sich ein Rückkehrer wieder nahtlos eingefügt, den viele als Stressfaktor in der Équipe Tricolore erwartet hatten. Stattdessen traf der Profi von Real Madrid zweimal entscheidend gegen Portugal. Die Mannschaft von Didier Deschamps versprüht noch nicht den großen Glanz, kam aber doch recht sorgenfrei durch die "Todesgruppe" F. Doch nimmt man Kylian Mbappé, Antoine Griezmann und Benzema die Räume, kommen sie noch nicht so in Fahrt, wie es ihrer Klasse entspräche.
Die Schweiz wiederum freut sich durchaus selbstbewusst auf das Spiel mit dem Topfavoriten: "Auf dem Papier sind die Franzosen die Favoriten, da müssen wir ehrlich sein", sagte Kapitän Granit Xhaka. "Sie sind Weltmeister. Doch wir müssen uns auch nicht zu klein machen. Ich sage mal optimistisch: 55:45 für Frankreich."
Wankelmütiger Weltmeister
Wer die schwerste Vorrundengruppe dieser EM als Gruppensieger hinter sich bringt, hat sich nicht viel vorzuwerfen: Zum Auftakt passiv-dominant und trotz des knappen Ergebnisses völlig ungefährdet 1:0 gegen Deutschland, zum Abschluss ein 2:2 gegen das zum Punkten verdammte Portugal, für das Superstar Cristiano Ronaldo zweimal per Elfmeter traf: Eigentlich ist alles gut für den Weltmeister. Doch der überraschende Punktverlust gegen Ungarn, den größtmöglichen Außenseiter, sorgte für Stirnrunzeln. Alles abgehakt - sagt Trainer Deschamps: "Die Gruppe zu gewinnen, war das Wichtigste und das haben wir geschafft. Wir müssen uns jetzt ausruhen und uns auf den Start eines neuen Wettbewerbs vorbereiten."
Das bestens mit Superstars bestückte Ensemble konnte seine Klasse noch nicht ausdauernd aufs Feld bringen, besonders offensiv blieb man noch manches schuldig. Es mag grotesk klingen angesichts der Ansammlung echter Offensivwunderwaffen, aber die französische Mannschaft präsentiert sich traditionell eher defensiv ausgerichtet - und zeigte sich da doch überraschend anfällig. Außer gegen Deutschland.
Schweizer Offensiv-Defensiv-Gefälle
Die Schweizer Nati tat das, was man von ihr erwarten durfte: Als drittbester Gruppendritter schaffte man es ins Achtelfinale. 1:1 gegen Wales, ein krachendes 0:3 gegen Italien und zum Abschluss ein starkes 3:1 gegen schwache Türken, weil Xherdan Shaquiri ein bisschen Magie walten ließ, wie es der englische "Guardian" bewundernd schrieb: Auftrag erfüllt. In der Offensive findet sich bei den Eidgenossen mit Haris Seferovic, Breel Embolo und Granit Xhaka eine Menge Qualität, die eben zum Bewältigen einer mittel komplizierten Gruppe reicht. Größeren Träumen steht dagegen eine bisweilen wackelige Hintermannschaft im Weg, die sich vor allem von Italien böse auseinander spielen ließ. Seferovic kennt die Lösung, um das Gefälle im Schweizer Team auszugleichen: "Gegen Italien haben wir als Individuen gespielt, gegen die Türkei dagegen als richtiges Team. Das ist der richtige Weg."
Quelle: ntv.de