Chiellinis großartiger Moment Italiens Legende lacht Spanien aus der EM

Was für eine beeindruckende Serie. Was für eine beeindruckende Reise. Die italienische Nationalmannschaft bleibt auch im 33. Spiel in Serie ohne Niederlage und steht im EM-Finale. Nach dem erfolgreichen Stresstest gegen Spanien ist sie endgültig Top-Favorit.

Netter Versuch. Kläglicher Versuch. Auch nach den schwersten 120 Minuten in diesem Turnier ist der legendäre Giorgio Chiellini noch in bester mentaler Verfassung. In allerbester. Als der spanische Kapitän Jordi Alba versucht, das Elfmeterschießen in einem dramatischen ersten Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft auf die Seite der eigenen Fans zu ziehen, als er versucht, Schiedsrichter Felix Brych für einen Moment zu beeinflussen, ihn aus dem Konzept zu bringen, da geht der Chef der Squadra Azzurra dazwischen. In bester Laune löst er die Situation auf. Entlarvt das Spiel des Spaniers. Mit einem Lachen, einem kleinem Stups, einem Klaps an die Wange. Auf dem äußerst schmalen Grat zwischen ehrlich charmant und aufgesetzt freundlich. Alba ist blamiert, Chiellini der Gewinner dieses "mind games". Angetreten wird vor den Tifosi.

Die Psychospielchen, die beherrschen die Italiener eben besser als alle anderen. Selbst in der Transformation der Mannschaft zu einer offensiv spielenden und denkenden ist das nicht verloren gegangen. Warum auch? In der Innenverteidigung stehen mit Leonardo Bonucci und Chiellini immer noch die großen Helden der Vergangenheit. Die Männer, die die harte Abwehrarbeit zur Kunstform erhoben haben. Und die in den entscheidenden Phasen immer vorangehen. An diesem Abend ist das Chiellini bei den "mind games" und Bonucci beim zerfetzenden Duell vom Punkt. Der 34-Jährige verwandelte als dritter Schütze seiner Italiener in aller Souveränität. Tragischer Held an diesem Abend wurde der Spanier Alvaro Morata, der seine Mannschaft erst in die Verlängerung gerettet hatte und schließlich als letzter Schütze seines Teams kläglich verschoss.

Italien steht also im Finale. Dort geht es am Sonntag im Londoner Wembley-Stadion gegen England oder gegen Dänemark. Die Entscheidung darüber fällt heute Abend (21 Uhr/ZDF und im Liveticker bei ntv.de). Aber bange muss der Mannschaft von Roberto Mancini ohnehin nicht sein. Seit 33 Spielen hat Italien nicht verloren. Und irgendwie fällt einem auch nicht wirklich etwas ein, das die Serie zeitnah beenden soll. Nun ist immer Vorsicht angeraten bei allzu euphorischen Prognosen, an ihnen verhob sich einst sogar Franz Beckenbauer. Aber tatsächlich wirkt das italienische Spiel brutal robust. Auch den bisher größten Stresstest der EM gegen das ballbesitzdominante, seine Gegner beinahe müde spielende Spanien hat die Mannschaft bestanden. Mit viel Mühe, mit ein wenig Glück, aber eben auch nicht unverdient. Weil die Abwehr souverän ist, und weil nach vorne immer etwas geht. Es ist eine besondere Qualität dieser Mannschaft, die überraschend mitreißend spielt.

Jede Aktion taugt zur Ekstase

Und die so ansteckend leidenschaftlich ist. Jede erfolgreiche Szene taugt zur kollektiven Ekstase. Eine Grätsche, ein Pass, ein Schuss, eine Parade. Diese Mannschaft versteht es, sich selbst zu berauschen. Stets und ständig. Auf dem Platz und auch daneben. Bonucci sprach dem hochklassigen Kampf gegen das etwas bessere Spanien vom "härtesten Spiel, das ich je gespielt habe". Italien habe wieder einmal "Werte, Herz und Leidensfähigkeit" gezeigt: "Es ist unglaublich, was wir tun, wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben." Es sind Sätze, die von deutschen Nationalspielern wohl nie zu hören sein werden.

Bonucci schrieb an diesem Dienstagabend übrigens auch noch eine ganz besondere Geschichte. Eine Geschichte der Leidenschaft. Nach dem Sieg rannte er in die Kurve, baute sich vor den eigenen Fans auf, und gemeinsam schrien sie ihre Freude, ihre Sehnsucht nach dem ersten EM-Titel seit 53 Jahren heraus (#Aerosolgefahr!). Eine gewissenhafte Ordnerin verlor in diesem emotionalen Ausnahmezustand für einen Moment die Übersicht. Beziehungsweise machte sie eigentlich nur ihren Job. Weil sie Bonucci nicht erkannte, ihn für einen euphorischen Fan hielt, verwehrte sie ihm vorübergehend den Zutritt zum Innenraum. Erst nach einigen Momenten und einem verdutzten Gesichtsausdruck des Innenverteidigers ließ die Ordnerin ihn passieren und bekam neben einem herzlichen Lachen auch noch eine Umarmung. Ein Fan twitterte: "Klassisches Wembley-Stewarding." Ein anderer schrieb: "Ich bin nur froh für die Sicherheitskraft, dass sie es nicht mit Giorgio Chiellini zu tun hatte..."

Nun steht diese Mannschaft vor der außergewöhnlichen Krönung. Vor der Belohnung für eine außergewöhnliche Reise, die vor drei Jahren mit einem dramatischen Tiefpunkt begann. Damals hatte die Mannschaft die WM in Russland verpasst. Der Stolz der Nation war gebrochen. Mancini hat Mannschaft und Land wieder aufgerichtet. Mancini hat nach einem gewaltigen Spieler-Casting mit etwa 70 Fußballern eine bislang perfekt funktionierende Mannschaft geformt. Eine, die in bester Verfassung ist. Immer. Aufmerksam, schlitzohrig, abgezockt. Eine, die am Sonntag (21 Uhr/ZDF und im Liveticker bei ntv.de) tatsächlich Europameister werden kann.

Quelle: ntv.de

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