Endlich Antreiber Pogba "legt sich voll ins Zeug"
20.06.2016, 03:00 Uhr
Hier: Pogba auf Embolo.
(Foto: imago/Moritz Müller)
Nach herber Kritik und viel Wirbel um eine unflätige Geste besinnt sich der französische Mittelfeldspieler auf seinen Job auf dem Platz. Beim 0:0 gegen die Schweiz zeigt er seine beste EM-Leistung.
Ein Bild für Götter, dieser Paul Pogba. Da lag er auf dem Rücken und strampelte mit den Beinen. Allerdings nicht auf seinem Rücken, sondern auf dem Rücken des nach stehenden Breel Embolo. Es sah fast so aus, als wollte er über seinen Schweizer Gegenspieler krabbeln. Einer jener hartnäckig geführten Zweikämpfe des Franzosen im Mittelfeld hatte zu dieser komischen Szene geführt. Und beim Versuch sich aus der misslichen Lage zu befreien, griff er im Herunterfallen nach dem Trikot von Granit Xhaka.
Aber während sich die Mannschaft der Eidgenossen im Duell mit Frankreich wacker schlug, den Gruppensieg durch das 0:0 zwar dem Gastgeber überlassen musste, aber sich immerhin souverän zum ersten Mal bei einer EM für die K.o.-Runde qualifizierte, waren die Textilien der Spieler nicht so widerstandsfähig. Insgesamt sieben Schweizer Trikots gingen an diesem Abend in Lille kaputt.
Pogba hat es also wieder einmal geschafft, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Aber weniger wegen seiner Rücken-Nummer mit Xhaka, vielmehr war es eine unflätige Geste, die ganz Frankreich erzürnte. Nach dem 2:0-Sieg gegen Albanien hatte der Superstar, der extravagante Frisuren bevorzugt, den "bras d’honneur" gezeigt. So heißt es in Frankreich, wenn man eine Faust reckt, während die andere Hand in die Armbeuge greift und ist mit dem deutschen Stinkefinger vergleichbar. Zumindest sah es so aus, als ob es ein "bras d'honneur" war. Was Pogba selbstverständlich später bestritt und verlautbaren ließ, er habe niemanden angreifen wollen oder sich "für irgendetwas rächen."
Dennoch beeinträchtigte das Thema die Vorbereitung auf das letzte Gruppenspiel - und behindert die ohnehin schon schwierige Mission von Nationaltrainer Didier Deschamps. Denn an Pogba reiben sich die französischen Medien schon länger – und bei der EM vom ersten Tag an. Der exzentrische Mittelfeldspieler von Juventus Turin ist daran nicht ganz unschuldig, man kann sagen, er hat es heraufbeschworen, weil er den Anspruch der Beste zu sein und sich in Interviews als künftige Weltfußballer vorgestellt hat, aber in den ersten beiden Gruppenspielen andere im Team den Ton angegeben haben. Beim 2:1 gegen Rumänen wurde er nach 71 Minuten ausgewechselt, gegen Albanien in der zweiten Hälfte eingewechselt. Der Star war bisher nicht Pogba sondern Dimitri Payet mit seinen Last-Minute-Toren
Beim Gruppenfinale zeigte der Juve-Star nun mal wieder, dass er das Zeug dazu hat, vielleicht doch einmal der Beste zu werden. Fußballerisch gibt es da ohnehin keine Zweifel, aber es gehört eben auch die mentale Stärke dazu. Von Anfeindungen und Beschuldigungen, egal, ob sie gerechtfertigt sind, darf sich einer, der sich zu den ganz Großen zählt, nicht beeindrucken oder einschüchtern lassen. Pogba scheint die Diskussionen der vergangenen Tage tatsächlich eher motiviert zu haben als weiter gebremst. Gegen die Schweiz lieferte er sein bisher bestes Spiel bei dieser EM ab. Mit drei guten Chancen innerhalb von fünf Minuten in der Anfangsphase, großer Präsenz auf dem Platz und der ordnenden Hand kam er jenem Pogba schon etwas näher, der bei Juventus Turin eine so überzeugende Saison gespielt hat. "Er war die treibende Kraft in der Mannschaft", sagt Deschamps, "und hat sich voll ins Zeug gelegt" – zumindest eine Halbzeit lang. Nach der Pause engte der Gegner die Räume für den 23-Jährigen mehr ein.
Deschamps kann die Kritik die Leistung von Pogba nicht ganz nachvollziehen, ebenso wenig, dass in Frankreich stets dessen Leistung in der Nationalmannschaft mit der bei Juventus verglichen wird. "Denselben Pogba wie bei Juventus", sagt er, sei nicht möglich. "Es ist nicht dasselbe Trikot und auch nicht dasselbe Spielsystem." Der Weltmeister von 1998 ist entspannt, wenn es um Pogbas Fähigkeiten geht und um dessen Rolle im weiteren Turnierverlauf. "Er ist ein großartiger Spieler", schwärmt Deschamps. "Ich habe großes Vertrauen in ihn."
Quelle: ntv.de