"Wie sind sie darauf gekommen?" "Schiedsrichter-Albtraum": UEFA schickt Zwayer ins Stress-Spiel
09.07.2024, 16:06 Uhr
Jude Bellingham und Felix Zwayer haben eine gemeinsame Geschichte.
(Foto: imago images/Kolvenbach)
Die deutsche Mannschaft verfolgt die heiße Phase der Fußball-Europameisterschaft aus dem Urlaub, doch ein Landsmann steht im Halbfinale: Und um Felix Zwayer gibt es heiße Diskussionen. Der englische Boulevard läuft sich bereits warm.
Felix Zwayer steht vor dem größten Spiel seiner Karriere - und anders als üblich, steht der Schiedsrichter schon weit vor dem Anpfiff im Fokus. Zwayer pfeift am Mittwoch (21 Uhr/ARD, MagentaTV und im Liveticker auf ntv.de) das EM-Halbfinale zwischen England und den Niederlanden. Eine Ansetzung, die für Stirnrunzeln sorgt. Und nicht nur den englischen Boulevard auf die Zinnen treibt.
Brisant ist die Ansetzung wegen eines Vorwurfs des englischen Offensivstars Jude Bellingham im Dezember 2021. Der damalige Profi von Borussia Dortmund hatte Zwayer nach dessen umstrittener Leitung im Spitzenspiel gegen den FC Bayern München (2:3) scharf kritisiert und dem Schiedsrichter in Anspielung auf den mittlerweile 18 Jahre zurückliegenden Skandal um Robert Hoyzer indirekt Bestechlichkeit vorgeworfen. "Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulationen verwickelt war, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?", sagte Bellingham nach der Niederlage, bei der Zwayer mehrere Fehler unterlaufen waren.
"Schiedsrichter-Albtraum"
Zwayer wies die kaum subtilen Vorwürfe Bellinghams entschieden zurück, legte nach dem Spiel aber auch aufgrund massiver Anfeindungen eine mehrwöchige Pause ein. Bellingham wurde vom DFB mit einer Geldstrafe belegt, Zwayer pfiff seitdem kein Spiel des BVB mehr. Zu einer Aussprache zwischen beiden kam es in der Folge nicht. Nun trifft man sich erstmals wieder - und das auf der ganz großen Bühne.
Zwayer war 2014 in die Schlagzeilen geraten, als seine Strafe, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nach seiner Zusammenarbeit mit dem Schiedsrichter Robert Hoyzer verhängt hatte, endlich ans Licht kam. Hoyzer erhielt eine lebenslange Sperre, und Zwayer gehörte zu den Funktionären, die seine Spielmanipulationen aufdeckten, was sich in der relativ kurzen Sperre widerspiegelte. Der englische Boulevard hat sich auch deshalb bereits gegen Zwayer positioniert: Ein "Reffin' Nightmare" sei die erstaunliche Ansetzung Zwayers, ein Schiedsrichter-Albtraum, das titelte die britische Boulevardzeitung "The Sun".
Der ehemalige Bundesligaprofi und heutige TV-Mann Jan-Aage Fjörtoft, in dessen Mikro Bellingham einst die schwerwiegenden Sätze gesagt hatte, wunderte sich: "Ich bin nicht sicher, was sich die UEFA dabei denkt, Zwayer für das England-Spiel aufzustellen." Englands Fußball-Ikone Gary Lineker fragte via X: "Wie ist die UEFA darauf gekommen?"
Gräfe findet es "verantwortungslos"
Auch Ex-Spitzenschiedsrichter Manuel Gräfe, der bereits Zwayers EM-Nominierung als "Skandal" bezeichnet hatte, schob nun nach: "Wahnsinn", sei die Ansetzung. "Verantwortungslos allen gegenüber… Nur eine Machtdemonstration nach außen+innen (wir entscheiden)-unabhängig von Leistung/Vergangenheit." Gräfe hatte damals nach eigenen Angaben erst dafür gesorgt, dass Zwayer das Fehlverhalten im Team um Robert Hoyzer beim Verband anzeigte. Zwayer bestritt diese Darstellung immer.
Für die englische Mannschaft ist die Ansetzung, die nicht nur daheim groß diskutiert wird, derweil kein Thema, versichern sie. "Wir müssen die UEFA respektieren, egal, wen sie als Schiedsrichter auswählt", sagte Luke Shaw. Der Profi von Manchester United habe nie das Gefühl gehabt, dass ein Schiedsrichter etwas gegen ihn haben könnte. Gleichzeitig relativierte der Verteidiger den Ausbruch Bellinghams: "In einem hitzigen Moment wird man wütend und könnte das denken, aber wer auch immer ausgewählt wurde, wurde ausgewählt, wir müssen nur bereit sein", sagte er. "Für uns wird es keinen Unterschied machen."
Der Chef schaut persönlich vorbei
Die UEFA äußerte sich indes nicht explizit zu ihrer Entscheidung, Zwayer in das größte Spiel seiner bisherigen Schiedsrichterlaufbahn zu schicken. Der Verband kennt die Problematik natürlich. Und so wird Referee-Boss Roberto Rosetti höchstpersönlich als Schiedsrichter-Beobachter vor Ort sein. Der Italiener will genau verfolgen, wie das erneute Zusammentreffen von Zwayer und Englands Star Bellingham über die Bühne geht.
Seine Leistung bei der Europameisterschaft, bei der Zwayer bereits drei Spiele gepfiffen hat, gibt eine Nominierung für ein weiteres K.-o.-Spiel her, grobe Schnitzer leistete sich der Berliner nicht. Anders als beispielsweise Star-Schiedsrichter Daniele Orsato, der beim Vorrundenfinale der deutschen Mannschaft gegen die Schweiz eine schwache Leistung gezeigt hatte, nun aber einer der verbliebenen Top-Kandidaten fürs Endspiel ist. In der Spielvorbereitung wird sich für Zwayer, der in den turbulenten Wochen nach Bellinghams Angriff über ein Karriereende nachdachte, nichts ändern.
Das andere Halbfinale zwischen Spanien und Frankreich wird der Slowene Slavko Vinčić leiten. Eine Systematik, die die Ansetzung Zwayers für dieses Spiel verhindert, gibt es nicht. Wohl aber die Vermutung, dass ein Schiedsrichter Zwayer in diesem Falle die spanische Presse auf den Plan gerufen hätte: Ein deutscher Schiedsrichter, nur wenige Tage, nachdem Spanien die deutsche Mannschaft nach einer umstrittenen Entscheidung aus dem Turnier eliminiert hatte? Was für eine unglückliche Ansetzung. Andererseits: Der Schiedsrichter, der die deutsche Volksseele mit einem nicht gegebenen Elfmeter in Wallung gebracht hatte, hieß Anthony Taylor. Ein Engländer. Es ist kompliziert.
Quelle: ntv.de