Größte Demütigung der Geschichte Für diese Blamage findet Lionel Messi keine Entschuldigung

Gedemütigt.

Gedemütigt.

(Foto: REUTERS)

Lionel Messis letzte Fußball-Weltmeisterschaft soll ein einziger Triumphzug werden. Das Offensiv-Genie der Argentinier, einer der besten Spieler aller Zeiten, will endlich den Weltpokal in die Höhe recken. Da kommt Saudi-Arabien als Auftaktgegner gerade recht. Hätte man meinen können.

Was für eine Demütigung für Argentinien. Was für eine Demütigung für Lionel Messi. Die so hoch eingeschätzten Südamerikaner beginnen die WM mit einer unfassbaren Blamage - sie unterliegen Saudi-Arabien mit 1:2 (1:0). So etwas haben sie seit 32 Jahren nicht erlebt, vielleicht auch noch nie. Damals stolpert der Titelverteidiger in Italien mit 0:1 gegen Kamerun, es ist der Erweckungsmoment für einen ganzen Kontinent. Seither träumt Afrika vom ersten WM-Titel. Asien, der Kontinent, in dem Saudi-Arabien beheimatet ist, träumt bislang noch nicht. Und Argentinien? Verzweifelt, versucht das Unerklärliche in Worte zu fassen.

"Das ist sehr bitter", sagt Superstar Lionel Messi nach dem Spiel: "Es gibt keine Entschuldigung. Wir müssen nun vereinter sein, als je zuvor." Das ist auch zwingend erforderlich, wollen sie nicht in den restlichen beiden Spielen gegen Mexiko und Robert Lewandowskis Polen in ein Ausscheiden rennen, das womöglich noch das katastrophale Ergebnis der DFB-Elf in Russland 2018 übertrumpfen würde.

Das erste Weltturnier nach dem Tod von Diego Maradona soll Argentinien doch eigentlich den ersten Titel seit der WM 1986 in Mexiko bringen. Die Albiceleste, die Himmelblauen, sind vor ihrem Auftaktspiel der große Favorit auf den WM-Pokal. Alles spricht für sie. Die ohnehin schon miserable Form der europäischen Giganten in den letzten Spielen vor dem Turnier wird jetzt noch weiter vom Kampf Europa gegen Katar, Europa gegen FIFA torpediert. Die südamerikanischen Teams interessiert das nicht. Sie sind hier, um Fußball zu spielen. Brasilien hat die Offensive, aber Argentinien auf dem Papier das noch etwas stärkere Team.

Diego, Lionel und Cristiano

Auf den Straßen Dohas gibt es vor dem Spiel nur ein Thema. Es ist nicht die "One Love"-Binde. Die Fanhorden beider Länder diskutieren nur noch die Höhe des Siegs der seit 36 Spielen ungeschlagenen Himmelblauen. Wie auf einem Basar verhandeln sie. Meist einigen sie sich auf ein 3:0, manchmal auch ein 5:0. Lionel Messi wird es schon richten. Auch wenn Diego weiterlebt, in den Gesängen in der Bahn, in den Herzen der Nation und auf den Fahnen, die von den Fans ins Stadion geschleppt worden. Nur auf dem Trikot tragen sie die 10 und Messi.

Der 35-Jährige aus Rosario steht vor seinem letzten großen Weltturnier, im vergangenen Pandemie-Sommer hat er Argentinien den ersten kontinentalen Erfolg seit 1993 gebracht, bei Paris Saint-Germain sich zuletzt mit einem mehr als solidem Spätwerk präsentiert - 29 Torbeteiligungen in nur 21 Spielen bis zur WM-Unterbrechung. Und dann ist da noch dieses Instagram-Bild, das ihn grübelnd über einem Schachbrett zeigt. Sein Gegner ist sein ewiger Rivale, ist Cristiano Ronaldo, dessen Karriere auf Vereinsebene in Schieflage geraten ist und der jetzt mit Portugal noch einmal bei der WM mitmischen will.

Beide konkurrieren mit dem am 25. November 2020 mit 60 Jahren verstorbenen Diego Maradona um die Krone des besten Spielers aller Zeiten. Diego ist nicht mehr da, aber begleitet Messi an diesem heißen Dienstagmittag in Doha mit aufs Feld. Als der Star der Argentinier um 12:21 Uhr zu ohrenbetäubendem Applaus zum Aufwärmen aufs Feld läuft, spielt die Stadionregie "La Mano De Dios", die Hand Gottes, ein. Eine Hommage des 2000 mit nur 27 Jahren verstorbenen Sängers Rodrigo an Maradona. Ein Lied, das Maradona zu Tränen rührte. Ein Lied, das an diesem Tag den überlebensgroßen Schatten verdeutlicht, unter dem sich Messi immer noch bewegt.

Argentinien rennt kopflos an

Er kann diesen Schatten verlassen. Hier bei seiner fünften WM. Am Ende seiner Reise, die ihn Deutschland bei der WM 2006 beginnt und ihn nur einmal, im Jahr 2014, ins Finale geführt hat. Damals aber ist Mario Götze für einen kurzen Moment besser als Messi. Die ganze Welt kann es sehen. Aber gegen Saudi-Arabien präsentiert sich Argentinien nach einer frühen Drangphase mit einem Elfmeter-Treffer von Messi - der VAR hat zuvor eingegriffen - seltsam träge, beinahe überheblich. Sie erzielen zwar noch drei Treffer mehr, aber sowohl Messis zweites Erfolgserlebnis nach 22 Minuten und zwei Tore von Laurato Martinez werden aberkannt - Abseits.

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Locker spielen sie die erste Halbzeit runter, wiegen sich in Sicherheit, nur um binnen fünf Minuten das Spiel herzuschenken und in epische Blamage zu rennen. Nichts fällt ihnen mehr ein. Kopfloses Anrennen, hohe Bälle, verzweifelte Versuche von Messi, es gegen acht Spieler gleichzeitig aufzunehmen. Es ist nicht genug. "Ein schwerer Schlag für uns alle", konstatiert Messi nach dem Spiel und Inter-Stürmer Martinez sekundiert: "Wir haben verloren, das lag an unseren eigenen Fehlern. Wir hätten in der ersten Halbzeit mehr als ein Tor machen müssen."

Saudi-Arabien ist das egal. Sie können ebenso kaum glauben, dass sie gerade für einen historischen Moment bei der WM gesorgt haben. "Wir haben saudische Fußballgeschichte geschrieben. Das wird für immer bleiben", jubelte Hervé Renard, der Trainer von Saudi-Arabien, nach dem Spiel. Argentinische Fußballgeschichte haben sie gleich mitgeschrieben. Messi muss jetzt um seinen großen Traum kämpfen. "Es ist eine Situation, in der wir schon lange nicht mehr waren", sagt er und fordert, dass sein Team zeigt, "dass wir eine echte Mannschaft sind." Meist sind diese Worte die Vorboten eines Untergangs. Vorerst bleibt es bei einer unglaublichen Demütigung.

Quelle: ntv.de

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