WM-Überraschung mit Hindernissen Jamaika tanzt, obwohl alles gegen sie sprach

Geht die Reggae-Party weiter?

Geht die Reggae-Party weiter?

(Foto: picture alliance/dpa/AAP)

Jamaika steht zum ersten Mal in der Historie in einer WM-K.-o.-Runde. Die Frauen von der Karibik-Insel werfen dabei Brasilien aus dem Turnier - und lösen in der Heimat einen Boom aus. Dieses Märchen ist nur möglich, weil die Tochter von Bob Marley kräftig mithilft.

Wer sind die berühmtesten Personen Jamaikas? Sicherlich Bob Marley und Usain Bolt. Der eine ist legendär für den Reggae, den er der Welt brachte, aber leider bereits 1981 verstorben, der andere ist der schnellste Mann der Welt. Doch es gibt aktuell 23 Frauen, die den beiden und ihren Familien imponieren: die "Reggae Girlz", das Fußball-Nationalteam Jamaikas. Sie stehen völlig überraschend im Achtelfinale der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland, als erstes karibisches Team in der Geschichte.

Sie haben die Mitfavoritinnen aus Brasilien mit einem 0:0 im dritten Gruppenspiel aus dem Turnier geworfen und sich als Gruppenzweite hinter Frankreich qualifiziert. Nun sind sie Teil des Überraschungs-Duells mit Kolumbien (Dienstag, 10 Uhr im ntv.de-Liveticker), das sich mit 2:1 gegen die DFB-Frauen durchgesetzt hatte. Bolt gratulierte bei Instagram, postete ein Foto vom Team und vermerkte dazu: "Geschichte", fast 38.000 Nutzer klickten "gefällt mir". Jamaikas Premierminister Andrew Holness twitterte nach dem Einzug ins Achtelfinale: "Historisch!" und retweetete viele begeisterte Posts zum Team. Kultur- und Sportministerin Olivia Grange nannte es "zweifellos den stolzesten Moment bisher in Jamaikas Fußballgeschichte".

So viel Aufmerksamkeit für das Team war lange unvorstellbar. 2008 löste der Verband das Frauen-Team auf, nachdem es die Olympia-Qualifikation verpasst hatte. Die Fußballerinnen mussten zuschauen, wenn andere Nationen spielten. Ganze sechs Jahre lang. Doch dann wollte eine Frau nicht länger zusehen: Cedella Marley, die Tochter der fußballverrückten Musik-Ikone. Von ihrem damals elfjährigen Sohn hatte sie vom Team erfahren, dachte anfangs, sie gibt etwas Geld, sammelt Spenden und belebt das Team wieder. Das tat die Frau, die in den USA lebt, auch, doch dann stieg sie tiefer ein, entwickelte eine Beziehung zu den Spielerinnen. Marley blieb dabei, auch als Jamaika die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2015 verpasste. Sie erlebte mit, wie vier Jahre später die erstmalige Teilnahme gelang, aber alle drei Gruppenspiele verloren gingen.

Nun ist es anders. Sie weint - aber vor Freude. "So stolz. Drei Spiele gespielt. Nicht ein einziges Tor zugelassen", schrieb die Musikerin nach den drei Spielen gegen Frankreich (0:0), Panama (1:0) und Brasilien (0:0) und postete Fotos, wie sie das Spiel verfolgte. Vor zwei Jahren gründete sie zusätzlich eine Initiative, die den Frauenfußball in der Karibik und in Lateinamerika fördert. Nach dem berühmten Spruch ihres Vaters heißt sie: "Fußball ist Freiheit".

Weiter Ärger mit dem Verband

Seit Marley antrat und das Team wiederbelebte, ist aber längst nicht alles gut. Einen Monat vor WM-Start haben die Spielerinnen ihre "äußerste Enttäuschung" über die "unterdurchschnittliche" Unterstützung durch den jamaikanischen Verband kritisiert. "Die Qualifikation für eine zweite Weltmeisterschaft ist etwas, das sich die meisten nicht vorstellen konnten oder für die Reggae Girlz nicht für möglich gehalten haben", schrieben die Spielerinnen um Stürmerin Khadija "Bunny" Shaw von Manchester City in einem offenen Brief. "In einer Zeit, in der wir uns ausschließlich auf die Vorbereitung auf die größte Bühne der Welt konzentrieren sollten, sind wir leider gezwungen, unsere größte Enttäuschung über den jamaikanischen Fußballverband zum Ausdruck zu bringen."

Die Spielerinnen erklärten, dass sie an der Vorbereitung aufs Turnier behindert würden: "Bei mehreren Gelegenheiten haben wir uns mit dem Verband zusammengesetzt, um respektvoll die Probleme anzusprechen, die sich aus der unzureichenden Planung, dem Transport, der Unterbringung, den Trainingsbedingungen, der Entlohnung, der Kommunikation, der Ernährung und der Zugänglichkeit zu den richtigen Ressourcen ergeben. Außerdem sind wir mehrfach zu den Spielen erschienen, ohne die vertraglich vereinbarte Bezahlung zu erhalten." Wegen "extremer Desorganisation" hätten sie außerdem Freundschaftsspiele verpasst.

Der Verband hatte Finanzierungsprobleme eingestanden, versprach, mit den Spielerinnen eine Lösung zu finden. Damit die Reisekosten zur WM nach Australien und Neuseeland bezahlt werden können, hatte die Mutter von Mittelfeldspielerin Havana Solaun - sie hatte 2019 das erste Tor Jamaikas bei einer WM geschossen - eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen. Etwas mehr als die Hälfte der angedachten 100.000 Dollar kamen zusammen. Auch Cedella Marley sammelte weiteres Geld, gemeinsam mit ihren Brüdern Damian und Stephen nahm sie den Song "Strike Hard" auf. Mit Unterstützung von Ausrüster Adidas konnte ein Trainingslager bei Ajax Amsterdam organisiert werden.

Trainer über "Cinderella"-Geschichte

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"Diesen Mädchen ist lange Zeit gesagt worden, dass Frauen im Sport, besonders im Fußball auf Jamaika , wirklich nicht so wichtig waren", sagte Marley kürzlich dem US-Nachrichtensender CNN. Das aber ändert sich inzwischen drastisch, auf der ganzen Welt und auch auf Jamaika.

Dennoch ist der Achtelfinal-Einzug eines der Märchen, die der Fußball schreibt. Angesprochen darauf, dass ihr Erfolg Ähnlichkeiten mit der Cinderella-Geschichte hat, sagte Trainer Lorne Donaldson: "Ich weiß nicht, Cinderella trägt ein schickes Kleid." Um dann anzufügen, dass sein Team immer nur auf ein Spiel nach dem anderen schaue. "Und wenn wir ein hübsches Kleid bekommen können, ziehen wir es an." Bislang scheinen einige immer weiter Perlen und Strasssteinen annähen zu wollen.

Quelle: ntv.de

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