Putin sorgt für Chelsea-Chaos Abramowitsch ist bei Friedensgesprächen dabei
28.02.2022, 15:23 Uhr
Abramowitsch hat die Geschäfte beim FC Chelsea abgegeben.
(Foto: imago images/Shutterstock)
Roman Abramowitsch zieht sich aus dem operativen Geschäft beim FC Chelsea zurück. Die Folgen sind nicht abzusehen, doch sie könnten für den Premier-League-Klub gravierend sein. Gleichzeitig verhandelt der russische Milliardär über Frieden in der Ukraine.
Beim FC Chelsea ändert sich nichts, und es ändert sich alles. Derart zwiespältig deuten viele Beobachter in England die Ankündigung des russischen Besitzers Roman Abramowitsch, die Verantwortung und Pflege ("stewardship and care") des Klubs abzugeben, und zwar an die sechs Treuhänder der wohltätigen Chelsea-Stiftung um den US-amerikanischen Anwalt Bruce Buck. Buck ist auch Präsident des amtierenden Champions-League-Siegers und Klub-Weltmeisters. Er half Abramowitsch im Sommer 2003 beim Kauf der Londoner. Die Lage ist unübersichtlich. Fest steht nur, dass sich der Klub von Trainer Thomas Tuchel in der größten Ungewissheit der Abramowitsch-Ära befindet.
Mit der Übergabe der Verantwortung an die Chelsea-Stiftung zieht sich der Rohstoff-Milliardär offiziell aus dem operativen Geschäft zurück. Damit hatte er allerdings auch bisher schon wenig zu tun. Die Gesichter der Klub-Führung in der Öffentlichkeit sind Geschäftsführerin Marina Granowskaia und der technische Berater Petr Čech. Dabei bleibt es. Trainer Tuchel sagte nach der Niederlage im Ligapokal-Finale gegen den FC Liverpool (10:11 nach Elfmeterschießen), dass er keine Änderungen für seine tägliche Arbeit erwarte.
Auch Chelseas Besitzverhältnisse bleiben unberührt. Abramowitsch ist - über eine Träger-Gesellschaft namens Fordstam - weiter Eigentümer des Vereins. Der FC Chelsea steht nach offiziellen Aussagen nicht zum Verkauf. Im Englischen gibt es eine Unterscheidung zwischen "step back" und "step down". Abramowitsch macht einen Schritt zurück. Er tritt nicht als Besitzer ab.
Bei Friedensgesprächen dabei
Bisher konnten sich die Londoner darauf verlassen, von Abramowitsch großzügig bezuschusst zu werden. Rund zwei Milliarden Euro soll er seit 2003 in den Klub gepumpt haben. Damit machte er Chelsea zu einem der erfolgreichsten Vereine im Weltfußball - mit fünf englischen Meisterschaften, zwei Siegen in der Champions League und kürzlich dem Gewinn der Klub-WM. Doch dieser Titel-Segen könnte bald vorbei sein. Wegen seiner angeblichen Nähe zu Wladimir Putin, die er bestreitet, steht Abramowitsch unter Beobachtung der britischen Politik. Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant forderte in der vergangenen Woche, Abramowitsch den Besitz eines Klubs in der Premier League zu untersagen und seine Werte einzufrieren. Eine öffentliche Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine ist Abramowitsch bisher schuldig geblieben. In seiner Ankündigung, bei Chelsea einen Schritt zurück zu machen, erwähnte er den Krieg in der Ukraine nicht.
Welches Verhältnis Abramowitsch zu Putin unterhält, ist unklar. Im Dezember erregte ein Vorgang in England Aufsehen, bei dem es um die Frage ging, ob der Rohstoff-Milliardär den FC Chelsea einst auf Anweisung des russischen Präsidenten gekauft hatte. Diese Vermutung wurde in einem Buch der Journalistin Catherine Belton geäußert. Abramowitsch ging gegen diese Behauptung vor und erstritt eine Entschuldigung des Verlags und eine Änderung der entsprechenden Buch-Passagen.
Der zuletzt forcierte Eindruck, dass Abramowitsch mit Politik nichts zu tun habe, ist den jüngsten Entwicklungen zufolge allerdings schwer haltbar. Sein Sprecher bestätigt der Nachrichtenagentur PA, dass der Chelsea-Besitzer von ukrainischer Seite um Unterstützung bei Friedensgesprächen mit Russland gebeten wurde und sich an diesen beteilige. "In Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht, bitten wir Sie um Verständnis dafür, dass wir uns weder zu der Situation als solcher noch zu seiner Beteiligung äußern", sagte der Sprecher.
Der ukrainische Filmproduzent Alexander Rodnyansky sagte laut RTE, Abramowitsch sei der einzige auf russischer Seite gewesen, der auf die Bitte der Ukraine, zu helfen, reagiert habe. Der russisch-jüdische Milliardär habe versucht, "Unterstützung für eine friedliche Lösung zu mobilisieren". Was Abramowitsch genau tut und für welche Seite er auftritt, ist unbekannt.
Tochter stellt sich gegen Putin
Deutlich Position bezogen hat dagegen kürzlich seine Tochter Sofia. Sie veröffentlichte bei Instagram eine Nachricht, in der sie Putin alleine für den Krieg in der Ukraine verantwortlich machte - nicht Russland als Ganzes. Dass die meisten Russen hinter Putin stehen würden, sei "die größte und erfolgreichste Lüge der Kreml-Propaganda", schrieb sie. Von ihrem Vater hat man solche Worte öffentlich bisher nicht vernommen. Mit Folgen für den FC Chelsea.
Wie nebulös die Lage an der Stamford Bridge ist, zeigt auch der Umstand, dass die Treuhänder der Klub-Stiftung der Übernahme von "stewardship and care" bisher laut verschiedenen Medien nicht zugestimmt haben. Offenbar haben sie Zweifel, ob die Führung des Milliarden-Unternehmens Chelsea vereinbar ist mit dem wohltätigen Charakter der Stiftung. Auch fürchten sie angeblich, als Fassade für einen möglichen Versuch von Roman Abramowitsch zu dienen, sich Sanktionen zu entziehen. Und so könnte die aktuelle Situation über kurz oder lang zum Verkauf des Klubs führen. Interessenten gäbe es wohl genug. Vor drei Jahren zum Beispiel versuchte Sir James Ratcliffe, Chelsea zu übernehmen. Der Gründer des Chemikalien-Imperiums Ineos gilt als reichster Brite mit einem Vermögen von mehr als 15 Milliarden Euro laut "Forbes".
Bei dem Verein ändert sich in diesen Tagen nichts, und es ändert sich alles.
Quelle: ntv.de