Fußball

Fußball-Zeitreise, 2.11.1983 Als DDR-Spielern die spektakuläre Flucht gelingt

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Falko Götz (li.) und Dirk Schlegel (re.) kommen nach ihrer Flucht im Team von Trainer Dettmar Cramer bei Bayer Leverkusen unter.

(Foto: imago sportfotodienst)

Vor 36 Jahren nutzen Falko Götz und Dirk Schlegel einen Einkaufsbummel durch Belgrad zur Flucht in die damalige BRD. Sie kommen bei Bayer Leverkusen unter. Dieser 2. November 1983 ist aber auch noch für einen anderen Spieler des BFC Dynamo ein ganz besonderer Tag.

Der große, klein gewachsene Trainer Dettmar Cramer hat einmal gesagt: "Es hängt alles irgendwo zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge." Seine feine Beobachtung des Alltäglichen führt uns zurück ins Jahr 1983. Genauer gesagt, zurück zum Vormittag des 2. November 1983. Damals hatte der Coach des BFC Dynamo, Jürgen Bogs, seiner Mannschaft in Belgrad noch eine halbe Stunde zur freien Verfügung mitten im Shopping-Herz der jugoslawischen Hauptstadt gegeben - natürlich unter den gestrengen Augen der Mitreisenden aus der DDR. Doch den beiden jungen Spielern Falko Götz und Dirk Schlegel gelingt es in einem unbeobachteten Moment, den Aufpassern der Stasi zu entwischen.

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Trainer Jürgen Bogs und die BFC-Verantwortlichen versuchten, mit einer Lüge die Flucht zu vertuschen.

(Foto: imago/Camera 4)

Durch den Hinterausgang eines Ladens rennen sie die ersten Schritte der Freiheit entgegen. Wenige Meter um die Ecke drücken sie einem jugoslawischen Taxifahrer in Panik und nassgeschwitzt zwanzig West-Mark in die Hand. Er soll sie auf dem schnellsten Wege zur Botschaft der Bundesrepublik bringen. Das Geld nimmt der Mann gerne - denn die Fahrt dauert kaum mehr als drei Minuten. Dann sind Götz und Schlegel fürs Erste in Sicherheit.

Märchen vom Ladendiebstahl

Doch die folgenden 24 Stunden haben es noch einmal in sich. Die Botschaft lässt die beiden noch am Nachmittag ins knapp vierhundert Kilometer entfernte Zagreb fahren - nur raus aus Belgrad. Die Diplomaten nutzen die ersten Momente der Ungewissheit und Verwirrung bei den Offiziellen des BFC Dynamo, um Falko Götz und Dirk Schlegel aus der unmittelbaren Nähe zur Mannschaft und möglichst weit weg zu bringen. Dem Team tischen die BFC-Funktionäre währenddessen an diesem Nachmittag ein Märchen auf: Götz und Schlegel seien in Polizeigewahrsam, weil sie beim Versuch des Ladendiebstahls erwischt worden seien. Irgendwann in diesen intensiven Stunden rückt schließlich das Spiel am Abend im Uefa-Pokal gegen Partizan immer mehr in den Fokus. Verzweifelt versucht man auf Seiten der Berliner zu einem Stück Normalität zurückzukehren.

In Zagreb erhalten Falko Götz und Dirk Schlegel neue Papiere. Später, an der Grenze zu Österreich, sollen sie den Beamten erzählen, sie seien ausgeraubt worden. Komplett. Das hier seien Ersatzdokumente der Botschaft. Natürlich stehen auf diesen Papieren nicht die echten Namen von Götz und Schlegel. Und so sitzen die beiden, während die Partie in Belgrad läuft, nervös in einem Auto nach Ljubljana. Dort soll um Mitternacht ein Nachtzug Richtung Österreich starten. Und tatsächlich, es gelingt: Die beiden Männer in Trainingshosen erreichen am nächsten Vormittag München. Die Flucht ist geglückt. Dass ihre Entscheidung, so schnell wie möglich Jugoslawien zu verlassen, richtig war, offenbart sich nur wenig später den beiden beim Blick auf die Auslage eines Kiosks. Auf den Titelseiten der Zeitungen können Götz und Schlegel sich selber sehen. Dazu prangt in dicken Lettern die Schlagzeile: "DDR-Spieler geflüchtet!"

Andreas Thom nutzte seine Chance

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Andreas Thom wechselte nach dem Mauerfall ebenfalls nach Leverkusen.

(Foto: imago/Norbert Schmidt)

Falko Götz ist zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre jung, Dirk Schlegel nur ein Jahr älter. Und beide Spieler haben Glück. Über Jörg Berger, der selbst erst vier Jahre zuvor geflohen war, gelangen sie zu Bayer Leverkusen. Fünf Jahre später gewinnt Falko Götz mit Bayer das Finale im Uefa-Pokal gegen Espanyol Barcelona.

Der Trainer, der die beiden ehemaligen Spieler des BFC Dynamo im Winter 1983 in Leverkusen in Empfang nahm, hieß Dettmar Cramer. Der erste Spieler, der nach der Wende 1989 auf normalem, legalem Wege in die Bundesliga wechselte, war Andreas Thom. Er kam damals vom BFC Dynamo. Dort hatte er unter seinem Trainer Jürgen Bogs fünfmal die Meisterschaft gewonnen. Nun ging er, natürlich, zu Bayer Leverkusen. Das erste Spiel, das Andreas Thom für seinen früheren Klub aus der DDR von Beginn an absolvierte, machte er am 2. November 1983. Der Mann aus Rüdersdorf bei Berlin war an diesem Tage in die Mannschaft gerutscht, weil zwei Teammitglieder am Vormittag beim Bummel durch Belgrad ihre Chance zur Flucht genutzt hatten.

Auch Andreas Thom nutzte seine Chance. Dynamo erreichte an diesem Abend die nächste Runde im Uefa-Pokal und fortan war der gerade erst 18 Jahre jung gewordene Stürmer nicht mehr aus der Mannschaft des BFC wegzudenken. Wie sagte Dettmar Cramer einmal so originell wie treffend: "Es hängt alles irgendwo zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge." Wie wahr, wie wahr!

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Quelle: ntv.de

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