Uli Hoeneß im RTL/ntv-Interview Auch Thomas Tuchel hat "unkluge Äußerungen getätigt"
12.10.2023, 08:28 Uhr
Ein FC Bayern ohne Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge ist momentan noch nicht möglich.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
FC Bayern München im Herbst 2023. Die größten Korrekturen sind gemacht. Die neue Führungsmannschaft ist fast gefunden. Doch noch ist das Werk von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nicht vollendet. Bald soll es so weit sein, im großen Interview erklärt Hoeneß, was der FCB bis dahin plant.
Einen FC Bayern München ohne ihn kann und will sich niemand vorstellen. Uli Hoeneß ist das Gesicht des Rekordmeisters. Daran können auch seine mittlerweile 71 Jahre auf dieser Welt nichts ändern. In diesem Frühjahr, als bei den Bayern kriselte, drängten er und der ehemalige CEO Karl-Heinz Rummenigge zurück ins Rampenlicht. Kurz darauf mussten Sportvorstand Hasan Salihamidžić und CEO Oliver Kahn gehen. Mit Jan-Christian Dreesen ist mittlerweile ein neuer Vorstandsvorsitzender installiert, mit Christian Freund ein neuer Sportdirektor an Bord.
Trainer Thomas Tuchel steuert unterdessen die sportlichen Geschicke des Vereins, doch noch ist die Unruhe nicht ganz behoben, sind die neuen Strukturen nicht ganz aufgesetzt. Im Interview mit RTL/ntv äußert sich Hoeneß nun zu den großen Fragen des größten Vereins des Landes. Es geht um die Personalnot, um Jérôme Boateng, der am Ende nicht unterschrieb, um Trainer Tuchel und um den Zeitpunkt, an dem die neue Zukunft des FC Bayerns beginnen wird.
Nach sieben Spieltagen der Bundesliga sieht es für Bayern recht gut aus, aber nicht nach einem Alleingang, wie ihn das Land in den letzten Jahren so oft erlebt hat. Der Klub muss kämpfen und sich dabei auf das Personal verlassen, das im Sommer geholt wurde. Superstürmer Harry Kane kam aus England, behob den Notstand in der Offensive, doch andere Transfers zerschlugen sich und ließen einen nicht ganz glücklichen Trainer zurück.
Warum Boateng nicht verpflichtet wurde
Der beklagte immer wieder öffentlich, dass ihm zu wenige Spieler zur Verfügung stünden. Vor allem die Abwehr bereitete dem Trainer große Sorgen. Die Münchner gingen mit nur drei Innenverteidigern in die Spielzeit - Dayot Upamecano, Matthijs de Ligt und Min-jae Kim. Relativ schnell zeigte sich, dass das nicht ausreicht: In der ersten DFB-Pokalrunde musste plötzlich Leon Goretzka in der Innenverteidigung aushelfen.
Die Lösung sollte deshalb jemand mit langer Münchner Vergangenheit sein: Jérôme Boateng. Der Rio-Weltmeister ist nach seiner Station bei Olympique Marseille derzeit vereinslos, hätte die Abwehrsorgen also sofort lindern können. Deshalb trainierte Boateng schon in München mit. "Wie ich gehört habe, hat Jérôme bei den Trainingseinheiten eine hervorragende Fitness gezeigt", sagte Hoeneß.
Dennoch entschied sich der FC Bayern gegen eine Verpflichtung und stattete den 35-Jährigen nicht mit einem Vertrag aus. Zu groß waren die moralischen Bedenken, das bestätigt auch Hoeneß. "Die Vergangenheit, die auch mit den Prozessen, die er hinter sich hat, belastet ist", erklärt der Bayern-Patriarch, "hat den Verein schlussendlich dazu gebracht, von der Verpflichtung abzusehen".
Auf Boateng rollen brisante juristische Schwierigkeiten zu. Demnächst wird sein Berufungsprozess wegen Körperverletzung erneut aufgerollt - und dürfte damit für reichlich unerwünschte Zwischentöne sorgen. Seine Verurteilung wurde aufgehoben, zuvor war er in zwei Instanzen verurteilt worden. Eins der Gerichte sah es als erwiesen an, dass Boateng seine damalige Partnerin in einem gemeinsamen Karibik-Urlaub 2018 geschlagen, verletzt und beleidigt hatte.
Wieso Thomas Tuchel unklug handelte
Die brisante Thematik wurde vom FC Bayern nicht immer mit dem angemessenen Fingerspitzengefühl kommuniziert. Sportdirektor Christoph Freund nannte Boatengs juristische Schwierigkeiten eine "Privatsache", Trainer Tuchel hatte sich gewünscht, dass ein "Fußballklub das Recht habe, Fußballentscheidungen zu treffen". In der Fanszene sorgte das für Unmut. Beim 3:0-Heimsieg gegen Freiburg stand auf einem Banner: "Misogyne Gewalt ist keine Privatsache."
Hoeneß führt jedoch nicht nur moralische Gründe an. Man dürfe "eines nicht vergessen: Jérôme kann ja nur in der Bundesliga spielen", sagt er und spielt dabei auf die nächste Transferphase an. "Wie ich höre, will unsere sportliche Leitung in der Winterpause möglicherweise noch einen Abwehrspieler holen - entweder in der Innenverteidigung oder als rechter Verteidiger." Boateng wäre also nur für acht Bundesligaspiele verpflichtet worden. "Und das ist wirtschaftlich völlig gaga", erklärt Hoeneß.
Auch sonst erklärt der Ehrenpräsident die Lage bei den Münchnern und hält mit Kritik an dem Kommunikationsverhalten von Thomas Tuchel nicht hinter dem Berg. Die teils gegenteiligen Äußerungen zur Transferpolitik aus dem Bayern-Lager nennt er ein "gefundenes Fressen für die Medien, speziell für die Boulevardpresse". Einige "inklusive des Trainers" hätten "unkluge Äußerungen getätigt", weil "ich nicht mein eigenes Team schlecht aussehen lasse, indem ich sage, wir sind zu dünn besetzt", so Hoeneß: "Wenn Sie jedes Wochenende sehen, was wir auf der Bank sitzen haben", das seien nur Nationalspieler, "dann haben wir keinen dünnen Kader".
Was im Winter passieren wird
Es komme halt mal vor, dass drei Innenverteidiger verletzt sind. So etwas wie Belastungssteuerung nehme Hoeneß nicht ernst. Katsche Schwarzenbeck habe früher über 34 Spiele die ganze Saison durchgespielt. Und sowieso: "Der FC Bayern wird auch in Zukunft darauf achten müssen, dass man nicht nur teure Spieler kauft, sondern auch Jungen eine Chance gibt." Ohne die vermeintliche Personalnot wäre beispielsweise nie der junge Frans Krätzig entdeckt worden, der bei der Sommertour so auftrumpfte. "Und wenn man immer nur teure Spieler kauft, dann kriegen die jungen Burschen keine Chance", sagt Hoeneß.
Was auch bedeutet: Im Winter kommt vielleicht ein neuer Defensivmann, doch weitere größere Transfers kann Tuchel nicht erwarten. Eine größere "Transferoffensive" werde es nicht geben, sagt Hoeneß. "Wenn wir bis dahin das Gefühl haben, dass wir Ergänzungen brauchen, werden wir das tun. Wir können nicht immer nur darauf achten, dass man jetzt im Hier und heute lebt, sondern dieser Verein soll die nächsten zehn Jahre gesund sein. Und wir sind stolz darauf, dass wir seit 30 Jahren vom Festgeldkonto leben. Und so soll es auch bleiben."
Das mythische Festgeldkonto, das die Bayern von den Klubs aus anderen Ländern unterscheidet. Die werden von Staaten, von Hedgefonds finanziert. Etwas, was beim FC Bayern München eben nicht der Fall ist. Hoeneß ist stolz darauf und schraubt daher auch die Erwartungen an Tuchel herunter. "Wenn wir Deutscher Meister werden, ist es super. Und wenn wir mal den DFB-Pokal gewinnen, auch. Aber wenn wir international ins Halbfinale kommen, ist es das höchste der Gefühle", sagt er. "Wenn man dann alle paar Jahre mal in die Nähe des Gewinns der Champions League kommt, dann muss man demjenigen Trainer oder den Verantwortlichen einen Myrtenkranz spendieren."
Wie lange Hoeneß noch an Bord bleiben will
Wenn es nicht funktioniert, dann aber wird Hoeneß weiter sein hartes Urteil fällen, wie im Fall Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić. Die hatten den neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann in der Endphase der Saison entlassen und sich damit selbst ein Entlassungsschreiben ausgestellt. Wie in vorherigen Interviews nennt Hoeneß auch im großen RTL/ntv-Interview den Moment des Trainerwechsels als einen Grund für das Aus der beiden Bosse.
Karl-Heinz Rummenigge, Präsident Herbert Hainer und er hätten einfach gespürt, "dass wir mit dieser personellen Besetzung nicht erfolgreich sein können" und daher hätten sie eingegriffen. Wenn der Verein zurück in der Erfolgsspur ist, werde Hoeneß sich wieder zurückziehen. Wann das der Fall sein wird? "In den nächsten sechs Monaten", sagt Hoeneß.
Quelle: ntv.de, ses/sue