Fußball

Sportjurist im Interview Auf die Klubs kommen große Risiken zu

Mario Götze ist einer der prominentesten Bundesligaspieler, deren Vertrag zum 30. Juni ausläuft. Will Borussia Dortmund noch etwas länger seine Dienste in Anspruch nehmen, wird es kompliziert.

Mario Götze ist einer der prominentesten Bundesligaspieler, deren Vertrag zum 30. Juni ausläuft. Will Borussia Dortmund noch etwas länger seine Dienste in Anspruch nehmen, wird es kompliziert.

(Foto: imago images/Werner Otto)

Am Wochenende wird die Fußball-Bundesliga in ihren Saisonendspurt starten. Der Zeitplan ist straff, aber in einem regulären Betrieb zu schaffen - wenn nichts mehr dazwischen kommt. Bei einer neuen pandemiebedingten Verschiebung wird es eng. Am 27. Juni soll der 34. Spieltag gespielt werden, drei Tage später laufen Hunderte Verträge aus. Und ab dem 1. Juli müssten zahlreiche Spieler eigentlich schon bei ihrem neuen Verein antreten.

Die DFL gibt sich noch entspannt, Geschäftsführer Christian Seifert verweist auf Puffer im Zeitplan und Vize-Präsident Steffen Schneekloth versprach, man werde "auf alle Fälle die Saison zu Ende spielen, und wenn es eben 'ne Woche später ist, ist es 'ne Woche später." Diese Woche könnte aber zum Problem werden und vor allem den Klubs viele arbeitsrechtliche Unsicherheiten bescheren, wie der Sportjurist Dr. Martin Stopper im Interview mit ntv.de skizziert.

ntv.de: Am Wochenende startet die Fußball-Bundesliga wieder. Bis Ende Juni sollen die letzten neun Spieltage durchgebracht werden. Müssten Mannschaften in Quarantäne, könnte sich das Saisonende verschieben, das DFB-Pokal-Finale ist ohnehin erst für den 4. Juli geplant. Warum könnte das zu viel Arbeit für die Vereine führen?

Dr. Martin Stopper: Profifußballer sind Arbeitnehmer, das wird einem immer erst dann wieder bewusst, wenn man daran scheitert, das deutsche Arbeitsrecht auf sie anzuwenden. So ist es auch hier wieder, es ist sehr kompliziert. Grundsätzlich enden die Verträge im deutschen Profifußball zum 30. Juni - und nicht zum Saisonende. Letzteres wäre natürlich zweckdienlicher. Paragaraf 15 des Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sagt, dass ein zweckbefristeter Arbeitsvertrag mit Erreichen des Zwecks endet. Das wäre in Zeiten von Corona natürlich passend, so kann man eine Saison und das DFB-Pokal-Finale auch im Juli spielen. In normalen Zeiten ist das fixe Datum aber dienlicher, denn die Transferperiode startet regelmäßig am 1. Juli.

Die Fifa möchte, dass Verträge bis zum Ende der Saison gültig sind, in den großen europäischen Ligen soll eine große Einigkeit darüber bestehen. Wo also ist das Problem?

Dr. Martin Stopper sieht Kai Havertz nicht für den FC Bayern im Pokalfinale. (Photo: privat)

Dr. Martin Stopper sieht Kai Havertz nicht für den FC Bayern im Pokalfinale. (Photo: privat)

Das wäre natürlich praktisch, jedoch kann die Fifa auf das deutsche Arbeitsrecht keinen Einfluss nehmen. Danach funktioniert das so: Es müsste ein neuer befristeter Arbeitsvertrag geschlossen werden - zum Beispiel bis Ende Juli. Jedoch muss jeder befristete Vertrag, wenn dieser selbst oder inklusive dieses Anschlussvertrags einen Zeitraum von zwei Jahren überschreitet, einen sachlichen Grund vorweisen. Im bekannten "Heinz-Müller-Fall" hatte das Bundesarbeitsgericht die Eigenart der Arbeitsleitung als sachlichen Grund anerkannt, und zwar dahingehend, dass der bei Sportlern eintretende Verschleiß eine Befristung rechtfertigt. Das kommt in unserem Fall eher nicht in Frage.

Dann käme vielleicht noch der Befristungsgrund eines nur vorübergehenden betrieblichen Bedarfs in Betracht. Aber dass der betriebliche Bedarf nach dem Ende der Saison dann endet, muss ein Klub erst einmal gut begründen - vor allem, wenn der Spieler eigentlich gerne bleiben würde. Jedenfalls ist es bei Verträgen von einer längeren Gesamtdauer so, dass aus solchen Arbeitsverträgen unbefristete Beschäftigungsverhältnisse erwachsen, wenn kein Befristungsgrund vorliegt.

Und wenn man sich entschließt, den Spieler ohne Vertrag einzusetzen?

Man könnte sich natürlich dazu entschließen, dann einfach gar keinen Vertrag zu schließen. Aber das würde das Gesetz dann nachholen, denn wenn über die befristete Zeit hinaus gearbeitet wird, verlängert sich das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit. Je nach der Klasse des Spielers könnte ihm das zum Vorteil oder zum Nachteil gereichen.

Also hat der Verein keine Wahl.

Eine formelle Vereinbarung ist immer besser als keine - gerade im Arbeitsrecht, das Arbeitnehmer schützt - und damit eben auch Profifußballer. Dass die Verlängerungsverträge Risiken bergen, habe ich erläutert, aber immerhin hat man in dem Bereich noch die Chance auf Anerkennung eines Befristungsgrunds - man kann aber noch keine passenden Urteile heranziehen. Es gibt Ansätze, die bestehenden Verträge so auszulegen, dass eben doch kein fixes Datum gemeint war oder wegen der Corona-Pandemie eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, die nach dem Gesetz eine Anpassung verlangt. Bei solchen Interpretationen würde ich jedoch Vorsicht walten lassen. Arbeitsverträge lassen sich nicht so gut auslegen, vor allem nicht zu Lasten der Arbeitnehmer.

Was würde mit entsprechend verlängerten Verträgen passieren, wenn sich die DFL doch noch zu einem Abbruch der Saison entschließen würde?

Ich würde an Stelle der Vereine versuchen, die Verträge über die Zwecksetzung gestalten. Man würde kein Datum nennen, sondern eine Zusammenarbeit bis zum Saisonende vereinbaren, aber nicht über den Zeitpunkt x hinaus. Dann ist der Zweck eventuell früher erreicht oder wird eben unerreichbar, dann wird nicht nur der Spielbetrieb, sondern auch der Arbeitsvertrag abgebrochen. Aber wie gerade überall auf der Welt, nicht nur im Fußball, ist der Zeitpunkt X der, der gerade nicht greifbar ist.

Wie wäre die Situation im konkreten Fall: Angenommen, Kai Havertz unterschreibt zum 1. Juli einen Vertrag beim FC Bayern München - und am 4. Juli treffen dann sein neuer und sein ehemaliger Arbeitgeber Bayer Leverkusen aufeinander. Für wen dürfte, für wen müsste er auflaufen? Moralisch und rechtlich.

Rechtlich könnte er seine Arbeit am 1. Juli in München aufnehmen. Fraglich ist, ob er auch eine Spielerlaubnis erhält, um im Pokalfinale gegen Bayer Leverkusen anzutreten. Da bringt dann die Entscheidung über die Spielerlaubnis das ins Spiel, was Sie moralisch nennen, aber was eigentlich die zu schützende Integrität des fairen Wettbewerbs ist: Die überwiegt aus meiner Sicht das Recht der freien Berufsausübung und rechtfertigt, dass er für dieses Spiel keine Spielerlaubnis erhält. Jedenfalls nicht für den FC Bayern.

Wie ist die Situation der Leihspieler, die zum 1. Juli wieder zu ihren Vereinen zurückkehren müssen? Würde eine Verlängerung der Leihe andere transfer- oder arbeitsrechtliche Schwierigkeiten mit sich bringen?

Arbeitsrechtlich macht das keine Unterschiede zu den schon beschriebenen Szenarien. Wichtig ist, dass der Leihvertrag, der ja zwischen den beiden Klubs geschlossen wurde, eine entsprechende Anpassung erfährt.

Wie wäre es mit Leroy Sané, der aus England, also aus einer anderen Liga, aus einer anderen Gemeinschaft nach München wechseln könnte? Dürfte er spielen?

Ich denke, in seinem Fall wäre es genauso, selbst wenn die Vereine sich entsprechend geeinigt hätten. Das Sommertransferfenster ist seinem Zweck nach für Spielertransfers der kommenden Saison, nicht der laufenden Saison bestimmt. Dem muss man sich anpassen – auch als Arbeitnehmer.

Die Integrität des Wettbewerbs ist in der zweiten Liga bereits gefährdet, Dynamo Dresden entsteht durch die 14-tägige Quarantäne ein Wettbewerbsnachteil. Gibt es für Dresden eine Handhabe, sich gegenüber der DFL für diesen Nachteil schadlos zu halten?

Dr. Martin Stopper

Dr. habil. Martin Stopper ist Gründungspartner der Kanzlei Lentze Stopper in München, die zu den größten Sportrechtskanzleien in Deutschland zählt. Dort berät man seit vielen Jahren unter anderem internationale und nationale Sportverbände, so auch DFB und DFL. Stopper ist Herausgeber des Handbuch Fußball-Recht und Mitherausgeber der Fachzeitschrift Sport und Recht.

Das ist eine schwierige Frage. Die Liga bemüht sich ja regelmäßig darum, auf unabwendbare Ereignisse zu reagieren, eben durch Terminierung von Nachholspielen - etwa wenn im Winter die Rasenheizung ausfällt und Spiele deshalb nicht stattfinden können. Sollte es aus medizinischen Gründen länger nicht vertretbar sein, dass Dynamo Dresden am Spielbetrieb teilnimmt, muss eine Regelung getroffen werden, die der Situation gerecht wird. Das kann aber nicht automatisch bedeuten, dass man alle anderen Mannschaften auch nicht spielen lässt. Eine sehr schwierige Frage. Sie ist nicht nur rechtlich zu beantworten, sondern es stehen auch sportpolitische Erwägungen zur Debatte, ab welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen ein "Cut" unabdingbar ist.

So oder so: Müsste die Bundesliga in die Verlängerung gehen, würde das eine große Rechtsunsicherheit mit sich bringen. Sollte die Bundesliga das Risiko überhaupt eingehen? Der Prozess um Müller, der das System der befristeten Verträge kurzzeitig ins Wanken gebracht hatte, müsste vielen in der Branche noch in schlechter Erinnerung sein.

Diese Unsicherheit gibt es mit und ohne Corona, weil der Profifußball und das Arbeitsrecht nicht zusammenpassen. Wie in vielen anderen rechtlichen Bereichen im Zusammenhang mit dem Profisport sollten die Verantwortlichen diese Krise nutzen, neues Denken zu wagen und eingeschliffene Praktiken in ökonomischer und juristischer Hinsicht neu und fruchtbar herauszufordern. Dazu gehören eben auch Fragen aus dem Arbeitsrecht. Warum sollte es für Profisportler nicht prinzipiell befristete Arbeitsverträge geben können? Ihr Zweck ist eben "nur" der Betrieb von Profisport – und das ist eine Eigenart in sich selbst.

Und dann stellt sich auch die Anschlussfrage: Warum beruht die rechtliche Grundlage für ein Transfersystem, in dem über Ablösesummen Milliarden bewegt werden, darauf, dass Spieler und Verein einen einvernehmlich geschlossenen Spielervertrag rechtswidrig brechen müssen? Das Arbeitsrecht ist für den Mitarbeiter einer Baufirma gedacht, der in seiner sozial schwachen Position zurecht geschützt werden soll. Aber der Profisport sollte endlich das Rechtssystem bekommen, das zu ihm passt.

Mit Dr. Martin Stopper sprach Till Erdenberger

Quelle: ntv.de

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