Fatale Rhetorik in Bochum Becherwürfe sind ein Skandal, aber kein Krieg
19.03.2022, 09:58 Uhr
Bierbecherwürfe sind eine massive Unart im Stadion geworden.
(Foto: IMAGO/kolbert-press)
Ein Idiot sorgt beim Bundesliga-Spiel in Bochum für einen Spielabbruch. Er wirft einen Becher auf den Schiedsrichter-Assistenten. Die Unparteiischen handeln konsequent und absolut richtig, indem sie das Spiel nicht mehr fortsetzen. Aber was danach gesagt wird, ist teilweise hanebüchen.
Im Osten Europas herrscht ein brutaler Angriffskrieg. Tief im Westen Deutschlands, in Bochum, wird an diesem Freitagabend im Stadion des dortigen VfL ein Bierbecher geworfen und verletzt einen Linienrichter am Kopf. Was hat das miteinander zu tun? Nichts. Natürlich nichts. Vermischt wird es aber trotzdem. Das ist absurd. Entweder wird mit dieser Rhetorik, die in der Live-Übertragung und in den sozialen Medien teilweise genutzt wurde, der rücksichtslose Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine verniedlicht oder ein skandalöser und absolut verurteilenswerter Vorfall während eines Bundesligaspiels maximal überhöht.
Die Sache ist ganz einfach so: Was sich in der 69. Minute der Partie zwischen dem VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach ereignet hat, ist an gefährlicher Dummheit und Sinnlosigkeit nicht zu überbieten. Diejenige Person, die den Becher geworfen hat, schadet nicht nur sich selbst (absolut kein Mitleid!), sondern auch der Heimmannschaft, die als Aufsteiger eine bemerkenswerte Saison spielt. In Summe sogar auch der gesamten Fan-Szene im Land, die nach zwei Jahren harter Corona-Einschränkungen endlich wieder kollektiv ins Stadion darf und sofort wieder unter Verdacht steht, einfach nur ein enthemmter Rüpel-Haufen zu sein.
Man darf diesen Vorfall in Bochum auf gar keinen Fall klein reden, zumal der getroffene Schiedsrichter-Assistent Christian Gittelmann noch am Abend ins Krankenhaus musste. Wer die Gesundheit eines anderen Menschen gefährdet, muss dementsprechend bestraft werden. Ob er für die drohende Geldstrafe des Klubs haftbar gemacht werden kann, oder nie wieder in ein Stadion darf, das müssen nun Vereine, Verbände und womöglich sogar Gerichte entscheiden.
Ein massives Problem, keine Lösung
Extrem fraglich scheint indes, ob die Strafe für den Täter, den die Polizei derzeit zu ermitteln versucht, auch als Abschreckung für zukünftige Becherwürfe dienen kann. Nicht nur in Bochum ist diese Unsitte ein massives Problem. Dort in dieser Saison allerdings besonders. Nach dem Ligaspiel gegen Union Berlin etwa hatte sich Max Kruse über die "Ruhrpott-Asis" beklagt. Auch beim Pokal-Aus gegen den SC Freiburg gab es von einigen Bochumern unschöne Szenen auf den Tribünen.
Der Klub hatte vor dem Spiel sogar einen Clip via Twitter veröffentlicht, um die Fans nochmal für dieses Thema zu sensibilisieren. Gebracht hat es nichts. Schon vor der Attacke, die zum Abbruch führte, flogen (allerdings aus beiden Fan-Blocks) Bierbecher. Einige landeten auf der Haupttribüne (aus dem Gladbacher Lager), andere in der Nähe der Einwechselspieler der Borussia (aus dem Bochumer Lager). Entsprechende Durchsagen im Stadion verhallten ungehört.
Das Problem mit den Bierbecherwürfen: Zum dringend zu diskutierenden Thema werden sie immer nur, wenn etwas Schlimmeres passiert. In anderen Momenten wird über sie gelacht, etwa in der Hinrunde in Leverkusen, als der Dortmunder Jude Bellingham beim Jubel auf dem Rücken von Erling Haaland einen noch gefüllten Becher aus der Luft fing und ein paar kräftige Schlückchen andeutete. Dafür kassierte der vom britischen Boulevard flugs "Beer-Lingham" getaufte Engländer sogar einen Rüffel von BVB-Lizenzspielleiter Sebastian Kehl. "Ich habe ihm gesagt, dass er das nicht tun soll", erklärte der damals.
Keine Gefahr für die Sicherheit
Wie soll man mit diesem Problem umgehen? Verbot von allen Getränken im Stadion? Undenkbar, obwohl etwa in den englischen Top-Ligen seit 1985 auf den Sitzen kein Bier mehr getrunken werden darf, sondern nur am Verkaufsstand selbst. Verhindern lassen werden sich einzelne Ausraster von Fans nicht. Fliegende Münzen, Feuerzeuge, Becher und gar Golfbälle hat es immer gegeben und wird es leider immer geben. Ebenso wie rassistische Beleidigungen und gefährliche Böllerwürfe auf andere Fans und Spieler. Das ist beschämend und macht stets aufs Neue wütend. Doch auch ein konsequentes Handeln gegen die Täter wird nicht zu einer generellen Abschreckung führen. Dennoch sind harte Strafen wichtig. Ebenso wie die richtige Einordnung der jeweiligen Vorfälle.
Ein Becherwurf etwa ist kein Krieg, er ist auch keine Morddrohung (auch das Thema kam gestern auf, nachdem Schiedsrichter Felix Zwayer vor wenigen Wochen davon sprach), und er ist auch keine Gefahr für die allgemeine Sicherheit im Stadion. Das hatte der Gladbacher Co-Trainer Christian Peitinger noch am Abend zum Thema gemacht. Wer die gute Laune der lachenden Borussia-Spieler beim Gang in die eigene Kurve beobachtet hat, der bekam nicht den Eindruck, dass dort Angst oder Panik geherrscht hätten.
Ein Bierbecherwurf ist maximal scheiße (sorry für den Ausdruck), er ist peinlich, widerlich und gefährlich für die getroffene Person. Aber er hat nichts mit dem Krieg zu tun, der derzeit in der Ukraine wütet.
Quelle: ntv.de