"Ist nicht seine Schuld" Bei Wirtz und Woltemade steht die DFB-Welt auf dem Kopf
13.10.2025, 12:56 Uhr
Wirtz und Woltemade - beide sind ohne Torbeteiligung gegen Luxemburg.
(Foto: IMAGO/Moritz Müller)
Nick Woltemade und Florian Wirtz sind beide ausgezeichnete Fußballer - nur läuft es bei beiden gerade nicht. In beiden Fällen gibt es unterschiedliche Erklärungen. Bundestrainer Julian Nagelsmann fordert etwas, was im Profifußball selten ist.
Serge Gnabry wirkte nicht darüber erstaunt, was er da erzählte. Dabei war seine Antwort schon etwas überraschend. Der Bayern-Star wurde vor den Oktoberspielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gefragt, wie es eigentlich gerade um Florian Wirtz steht. Schließlich schleppt der junge Nationalspieler seit dem Liverpool-Wechsel einen Koffer mit Übergepäck und voller Themen mit sich herum: die Häme, die Kritik, die bislang dürftigen Statistiken, die hohe Ablösesumme.
Die ganze Gemengelage kann doch nicht spurlos an einem 22-Jährigen vorbeigehen, oder? Sie kann offenbar schon. "Ich habe nicht das Gefühl, dass es Florian nicht gut geht", widersprach Gnabry. Dem Vernehmen nach erlebt nicht nur er das: Wirtz lache und flachse im Training, sei gut gelaunt, als wäre nichts gewesen. Und auch Bundestrainer Julian Nagelsmann versicherte einem nordirischen Journalisten vor der Partie am Abend (20.45 Uhr/RTL und ntv.de-Liveticker) noch mal etwas, was der nicht gerne hören wird: "Jetzt ist er wieder der alte Wirtz."
Beim DFB-Team steht die Welt derzeit etwas auf dem Kopf - zumindest, was Florian Wirtz und Nick Woltemade angeht. Beide wechselten im vergangenen Sommer für astronomische Summen in die englische Premier League. Der FC Liverpool zahlte Bayer Leverkusen bis zu 150 Millionen Euro für Mittelfeldregisseur Wirtz, das neureiche Newcastle United überwies dem VfB Stuttgart für Sturmspitze Woltemade beinahe 90 Millionen Euro.
Verflixte Erwartungshaltungen
Und eigentlich liegt der Gedanke nahe: Wirtz, der Fußballer, der mit besonderen Fähigkeiten gesegnet ist, wird in England schon keine Probleme haben. Das funktioniert schon irgendwie. Die Zweifler blickten eher mit Sorge auf Woltemade, der sein Potenzial bislang noch nicht über eine ganze Spielzeit ausgeschöpft hat. Zur Nationalelf kam er im Sommer nach einem kometenhaften Aufstieg, man könnte verkürzt sagen: nach einem herausragenden halben Bundesliga-Jahr beim VfB Stuttgart. Der eine ist also eine etablierte Stammkraft des DFB-Teams, der andere noch ein großes Talent, das sich noch beweisen muss.
Und doch: Nur, was die reinen Torbeteiligungen in der Klubwelt angeht, ist die Lage komplett umgekehrt. Wirtz wartet noch auf ein Tor oder eine Vorlage für Liverpool. Woltemade ist dagegen bei Newcastle eingeschlagen, wie man in der Fachsprache sagt. In seinen ersten sieben Auftritten traf er viermal. Sein erstes Tor in der Champions League erzielte er per Hacke, sogar ein Kopfballtreffer listet die Statistik auf - war das doch immer seine große Schwäche. Nur im DFB-Team läuft es für ihn bislang nicht.
Da ist man wieder bei den Erwartungshaltungen. Eigentlich hätte man gedacht, beide Spieler nehmen ihre Klubform auch mit zur Nationalelf. Der eine (Woltemade) macht endlich sein erstes Länderspieltor, der andere (Wirtz) wird sich vielleicht eher schwertun. Doch weit gefehlt, die DFB-Welt steht bei beiden schließlich auf dem Kopf. Wirtz merkte man die schwere Phase in Liverpool nicht an, er suchte beim 4:0-Erfolg eifrig nach Lücken im Neun-Mann-Abwehrverbund der Luxemburger. Er hatte 95 Ballkontakte, war fast an einem Drittel aller deutschen Abschlussversuchen beteiligt. In der zweiten Halbzeit setzte er einen Freistoß sehenswert gegen den Pfosten. Einzig, und das setzt sich fort, mit den Torbeteiligungen hapert es bei ihm - da steht wieder die Null.
Und Woltemade? Nun ja, der reiste schon mit einem grippalen Infekt verspätet zum DFB-Team an und musste aufgrund fehlender Alternativen trotzdem spielen. Der offizielle Spielberichtsbogen weist ihn zwar als Teil der deutschen Startelf aus, darüber hinaus hat er keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im Gegenteil. Die Statistiken attestieren ihm ganz objektiv einen unglücklichen Auftritt. In seinen 60 Minuten bis zur Auswechslung hatte er nur 14 Mal den Ball, ihm gelang nur ein einziger (!) Schuss aufs Tor.
Eine Frage des Flows
Bezeichnend war vor allem eine Szene kurz vor der Halbzeit: Die DFB-Elf erobert an der eigenen Strafraumkante den Ball. Dann geht es schnell. Über Aleksandar Pavlović landet das Spielgerät dann bei Florian Wirtz. Die Laufwege sind vorbildlich: Wirtz zieht drei Gegenspieler auf sich, dadurch öffnet sich direkt vor Woltemade ein Raum. Trotz des Drucks kann Wirtz den Pass noch auf Woltemade durchstecken, der verstolpert den Ball aber alleinstehend am Elfmeterpunkt bei der Annahme - und so kann Torwart Anthony Morris eingreifen.
Es ist eine Frage von "hätte, wäre, könnte". Woltemade hatte vor allem zu Bremer Zeiten schon den Spitznamen "Stolpermade". Der schlaksige Angreifer verfügt für seine Körpergröße zwar eine beeindruckende Ballbehandlung, hat dennoch aber manchmal Probleme, wenn es eng wird. Wenn es für einen Stürmer läuft, vollendet er eine Vorlage wie die von Wirtz im Schlaf. Da Woltemade im DFB-Dress aber seine Rolle weiter sucht und der Bundestrainer noch nicht die richtige für ihn gefunden hat, fehlt da auch noch das Selbstbewusstsein. Für einen Angreifer ist das ein Problem.
Bundestrainer Nagelsmann forderte deshalb gleichermaßen Nachsicht mit beiden Spielern. Woltemade hat schließlich für Newcastle United zuletzt regelmäßig getroffen - "bei uns wird er treffen", betonte Nagelsmann nach dem Luxemburgspiel. Das war in bislang fünf Länderspielen noch nicht der Fall. Aber, meinte der Bundestrainer: "Wir müssen uns nicht beteiligen an dieser Schnelligkeit des Geschäfts" und sofort Kritik üben.
Äpfel und Birnen
Mit der Warnung ist Nagelsmann nicht allein. Denn auch, wie vergleichbar die Situationen der beiden Spieler oberflächlich scheinen, so unterschiedlich sind sie in Wahrheit. Der FC Liverpool hat in diesem Sommer nicht nur Florian Wirtz verpflichtet. Der englische Meister und sein Trainer Arne Slot haben den kompletten Kader verjüngt und die gesamte Spielarchitektur umgestellt. Die Folge: Bewährte Abläufe gehen verloren, das macht es für jeden Spieler der Reds gerade schwierig. Nicht ohne Grund hat Liverpool die vergangenen drei Spiele verloren.
Auch den Fußball-Zahlenexperten Christoph Biermann überrascht die Entwicklung bei den Reds im ntv.de-Interview nicht. "Beim FC Liverpool waren zum Anfang der Saison die Ergebnisse besser als die Leistungen." Das zeigten die Daten. Das sieht auch Nagelsmann. "Auch wenn er kein Tor gemacht hat, ist er auch in der Premier League der Spieler, der die meisten Chancen vorbereitet. Es ist nicht seine Schuld, wenn der Mitspieler die nicht macht und die Statistik ist dann nicht mal ein Drittel der Wahrheit", erklärte er.
Hinzu kommt: Woltemade und Wirtz haben völlig unterschiedliche Aufgaben. Klar, beide sind schon irgendwie kreative Offensivspieler, am Ende sollen sie an Toren beteiligt sein. Aber Wirtz muss im umkämpften Premier-League-Mittelfeld blitzschnell geniale Lösungen finden - und ist dabei noch von anderen abhängig. Woltemade hat dagegen bei Newcastle (einer funktionierenden Mannschaft) vor allem Vollstreckeraufgaben. Es ist, als würde man Sterneküche mit dem sehr guten Restaurant in der Nachbarschaft vergleichen. Beide haben irgendwie den gleichen Job, aber auf völlig unterschiedlichen Ebenen.
Und so brauchen beide vor allem eines, was es im schnelllebigen Fußballgeschäft nicht gibt: Zeit. Nick Woltemade hilft der Umstand, dass mit Kai Havertz, Niclas Füllkrug und Tim Kleindienst sämtliche Herausforderer im DFB-Team auf längere Sicht verletzt sind. Und bei Florian Wirtz fasst der Red-Bull-Fußballchef Jürgen Klopp die Lage bei RTL und ntv in seiner Jürgen-Klopp-Haftigkeit zusammen. Wirtz "hat ein stabiles Umfeld und der Verein ist toll in solchen Momenten. Also, falls sich irgendjemand Sorgen macht: Müsst ihr nicht, könnt ihr mit aufhören. Alles wird gut!"
Quelle: ntv.de