Fußball

Anders als Joachim Löw Wie Julian Nagelsmann ganz Nordirland verärgert hat

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(Foto: IMAGO/Chai v.d. Laage)

Das Duell in der WM-Qualifikation zwischen Deutschland und Nordirland ist nicht nur sportlich enorm wichtig. Die Partie hat auch eine persönliche Komponente: die zwischen Julian Nagelsmann und den Fans in Belfast. Der Bundestrainer entschuldigt sich im Vorfeld noch einmal.

Eigentlich können die Menschen in Nordirland ja nicht so empfindlich sein. Der Eindruck drängt sich beim sonntäglichen Spaziergang durch die Hauptstadt Belfast auf. 14 Grad, leichter Wind, kaum Sonne - und trotzdem präsentieren erstaunlich viele Passanten ihre unbedeckten Kniegelenke und Ellenbogen auf den Straßen. Obwohl sich das Wetter oktobergemäß herbstlich verhält, tragen einige Nordirinnen und Nordiren noch immer ihre Sommerkleidung auf.

Nur, wenn es um Fußball geht, sind die Nordirinnen und Nordiren dann doch etwas dünnhäutiger. Für Bundestrainer Julian Nagelsmann könnte das ein Problem werden. Ihm droht deshalb wohl ein relativ unbehaglicher Abend (20.45 Uhr/RTL und im Liveticker bei ntv.de) im Windsor Park von Belfast. Der wäre ohnehin nicht angenehm gewesen: In das Nationalstadion passen zwar nur 27.000 Menschen rein, die verwandeln die Arena aber zu einer lauten und ungemütlichen Festung. Nicht nur deshalb sind die Nordiren dort seit fast zwei Jahren ungeschlagen.

Achtung, es wird laut.

Achtung, es wird laut.

(Foto: ses)

Das eigentliche Problem ist aber die persönliche Ebene. Denn Nagelsmann hatte die Nordiren (unfreiwillig) gegen sich aufgebracht. Nun ist die "Green & White Army" wild entschlossen, dem Bundestrainer den Aufenthalt so unangenehm wie nur irgendwie möglich zu machen. Aber was war passiert? Nagelsmann hatte (ausgerechnet in der BBC) nach dem 3:1-Hinspielerfolg in der WM-Qualifikation die nordirische Spielweise analysiert. Die Nordiren, so der Bundestrainer, schlugen jeden freien Ball sehr oft lang nach vorne. Diese Art des Fußballs sei zwar nicht "brillant" anzusehen, dafür aber umso effektiver, erklärte der Bundestrainer. Schließlich sei das auch für das DFB-Team schwierig zu verteidigen.

"Respektlos", ein Ablenkungsmanöver?

Was als Kompliment gemeint war, kam auf der Insel nicht als solches an. Ganz im Gegenteil. Ex-Nationalspieler Stephen Craigan schimpfte über die aus seiner Sicht "respektlose" Einschätzung. Beim "Belfast Telegraph" rümpfte man die Nase und blätterte noch einmal durch die Statistik. Dort entdeckte man: Das DFB-Team hatte ebenfalls sehr viele Bälle einfach lang nach vorne geschlagen. Stuart Dallas, der Teil der nordirischen Überraschungsmannschaft bei der EM 2016 war, fügte an: "Mir kommt es vor, als lenke er von dem Auftritt seiner eigenen Mannschaft ab. Das war das schwächste deutsche Team, das ich seit Langem gesehen habe." Rumms.

In der Zwischenzeit kam das Nicht-Kompliment auch beim nordirischen Nationalcoach Michael O'Neill an. Dieser revanchierte sich bei der Kaderauswahl auf sehr britische Weise bei Mr. Nagelsmann. Dazu muss man wissen: O'Neill hatte in seiner Amtszeit schon einmal gegen das DFB-Team gespielt. Der Bundestrainer hieß damals: Joachim Löw. Und ebenjener, erinnerte sich O'Neill, hätte sich damals "sehr respektvoll" über die nordirische Mannschaft geäußert. Einen Seitenhieb gegen Nagelsmann konnte O'Neill sich zum Abschluss deshalb nicht verkneifen. Dieser Herr Löw war offenbar ja nicht nur ein Gentleman. "Ich erinnere mich, dass er auch Weltmeister geworden war."

Es hat einen Grund, weshalb O'Neill die lobenden Worte von Joachim Löw hervorkramte. Denn die Mannschaften von der Insel reagieren äußerst empfindlich auf das alte "Kick and Rush"-Vorurteil. Das spürte schon Kaiser Franz Beckenbauer, als er den Engländern das bei der WM 2010 vorwarf. Löw lobte 2019 tatsächlich die fußballerische Weiterentwicklung Nordirlands. Gleichzeitig hob er hervor, dass das Team variabler geworden sei - und nicht mehr nur auf lange Bälle setze.

Es passt ein wenig in die Gesamtgemengelage, dass Bundestrainer Nagelsmann sein Kommentar in der BBC dermaßen auf die Füße gefallen ist. In ihrer Reaktion trafen die Nordiren durchaus einen wunden Punkt. Zwar hatte das DFB-Team das Aufeinandertreffen in Köln mit 3:1 gewonnen, tat sich aber teilweise so schwer, dass es zur Halbzeit von den eigenen Fans ausgepfiffen wurden. Die 0:2-Blamage in der Slowakei steckte der Nagelsmannschaft noch bleiernd in den Knochen. Und einen Titel hat Nagelsmann mit dem DFB-Team sowieso noch nicht gewonnen.

Am Sonntagabend saß Nagelsmann nun im kleinen Pressesaal des Windsor Parks - und entschuldigte sich vor der heimischen Presse noch einmal auf Englisch: "Ich meinte das nicht respektlos, was ich gesagt habe." Danach erklärte er ganz ausführlich, was er eigentlich meinte. Die Nordiren seien ein "tough opponent" und im Hinspiel war es nicht "easy", das Team zu besiegen. Er hob erneut hervor, dass sie die langen Bälle mittlerweile perfektioniert hätten und damit viele Chancen kreierten, wenn man nicht aufpasse.

Die Sorge vor der Historie

Es reicht schon, dass Fußballdeutschland mittlerweile jedes Wort äußerst kritisch beäugt- jetzt verfolgt Nagelsmann das auch noch im Ausland. Dabei hatte er hierzulande schon mehrfach seinen Unmut über die Debattenkultur kundgetan. Als in Köln die deutschen Fans (zurecht) pfiffen, zeigte Nagelsmann zwar Verständnis, wies aber zugleich darauf hin, dass bei einem Pfeifkonzert selten konstruktive Kritik oder Aufmunterung mitschwingt.

Auch rund um das Luxemburgspiel trat der Bundestrainer hin und wieder etwas grantig auf. Im Vorfeld warf er der deutschen Fußball-Öffentlichkeit wiederkehrendes "Jammern" vor, wenn er nicht auf Anhieb perfekte Lösungen präsentiere. Konkret ging es um die Kimmich-Debatte, die jetzt schon den dritten Bundestrainer beschäftigt. Spielt der Kapitän jetzt besser hinten rechts oder im zentralen Mittelfeld? Das ist die Frage.

Dort will das DFB-Team besser nicht verewigt sein.

Dort will das DFB-Team besser nicht verewigt sein.

(Foto: ses)

Vorerst findet Kimmich seinen Platz wieder rechts hinten. Und sportlich spielt das mediale Rauschen bislang (noch) keine Rolle. Wichtig ist die Nordirland-Partie nicht nur wegen des Vorgeplänkels. Beide Teams stehen punktgleich an der Tabellenspitze der WM-Qualigruppe. Der Sieger des Spiels kann etwas entspannter in die nächsten Monate schauen. Nach dem "herrlichen" (O'Neill) 2:0 am Freitag gegen den DFB-Schreck Slowakei ist die Stimmung in Nordirland ausgezeichnet. Zwar fehlt Kapitän Conor Bradley vom FC Liverpool gelbgesperrt. Dennoch sei nach "einer unserer besten Leistungen" gegen die Slowakei "noch mehr drin", meinte O'Neill zuversichtlich: "Und ich denke, die Spieler glauben das auch."

Was ihnen der Fußball und die WM-Qualifikation bedeutet, zeigt sich etwas außerhalb des Stadtkerns von Belfast, neben dem Nationalstadion. Auf der östlichen Seite grenzt eine kleine Straße an das Gelände des Windsor Parks. Eine große Mauer trennt sie auf der anderen Seite von den Eisenbahnschienen, die neben dem Stadion verlaufen. An dieser Mauer hängt eine Galerie mit historischen Spielen der nordirischen Fußballgeschichte. Darunter sind das 1:0 gegen England von 2005 oder der 3:2-Erfolg gegen Spanien, ein Jahr später, verewigt. Theoretisch ist dort noch Platz, nicht nur für die vierte WM-Teilnahme, die erste seit 1986. Sondern auch für einen Sieg gegen das DFB-Team.

Quelle: ntv.de

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