Erlösung nach Debüt-Desaster Bochumer "Fremdkörper" zerlegen Frankfurt krachend
09.10.2022, 05:03 Uhr
Weiter Letzter aber glücklich: Die Spieler des VfL Bochum nach dem ersten Saisonsieg.
(Foto: dpa)
Gerannt, gegrätscht, gewonnen: Der VfL Bochum holt am neunten Spieltag den ersten Saisonsieg. Der neue Coach des Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga stellt die Mannschaft nach dem Debakel beim Debüt richtig um. Gegner Frankfurt dagegen ist genervt.
Mit dem Fußballer Philipp Förster waren die Fans des VfL Bochum bislang noch nicht so richtig warm geworden. Das lag zum einen daran, dass Philipp Förster in seinem neuen Umfeld bislang tüchtig fremdelte. Und zum anderen, dass er "anne Castroper" ein extrem schweres Erbe anzutreten hatte. Das von Mentalitätsmonster und Fan-Liebling Elvis Rexhbecaj, dessen feste Verpflichtung im Sommer nicht gelang. Womöglich aber hat Förster an diesem Samstagnachmittag den Bock umgestoßen. So wie es seinem Team gelungen war. Auf eine Weise, wie es kaum einer vom Tabellenletzten erwartet hatte. Mit 3:0 (0:0) wurde Eintracht Frankfurt hergespielt. Mittendrin: Förster eben. Ein Tor (91.) als krachende Erlösung für den aufgestauten Frust erzielte er, zwei bereitete er vor.
70 Minuten hatten die Bochumer malocht wie einst die Bergleute in den Zechen der Stadt. Sie waren gerannt, sie hatten gegrätscht, sie hatten sich den Mut erkämpft, der ihnen in den vergangenen Wochen und ganz besonders am vergangenen Spieltag bei RB Leipzig gefehlt hatte. Beim Debüt des neuen Trainers Thomas Letsch hatte der VfL seine schlechteste Saisonleistung gezeigt. Was angesichs einer 0:7-Heimklatsche am 3. Spieltag durchaus sehr bemerkenswert war. Letsch war fassungslos. Aber nicht mutlos. Und schon gar nicht beratungsresistent. Obwohl er gerne mit einer Dreierkette verteidigt, ließ er sich von der Mannschaft überzeugen, sie wieder in den geübten Formation mit vier Mann spielen zu lassen, wie Kapitän Anthony Losilla nach der Befreiung gegen die SGE verriet. Nach dem Experiment bei RB (0:4) brauchte es wohl auch nicht all zu viele Argumente aus dem Spielerkreis.
Also zurück zum System, mit dem die Bochumer unter ihrem Ex-Coach Thomas Reis zweieinhalb Jahre für Furore gesorgt hatten, ehe mit Beginn dieser Saison nichts mehr ging. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Das Aufgebot verlor massiv an Qualität. Die Neuzugänge konnten das bisher nicht kompensieren. Aber noch mehr wirkte wohl die Posse um Reis. Der soll im Sommer mit dem FC Schalke 04 gesprochen und um Freigabe gebeten haben. Er selbst dementierte das. Das Vertrauen war dennoch zerstört. Und schließlich die Zusammenarbeit nach dem 6. Spieltag. Punktlos stand der VfL am Tabellenende. Ohne den Helden an der Seitenlinie.
Ein bisschen wie "früher"
Die Helden auf dem Feld, Kapitän Losilla oder Torwart Manuel Riemann suchten derweil verzweifelt nach der Form der vergangenen Jahre. Ob sie diese gegen Frankfurt wiedergefunden haben? Das Spiel allein kann darauf keine Antwort geben. Es liefert aber Indizien. Und die dürften den Bochumern Mut machen. Vor allem die zweite Halbzeit erinnerte stark an jene Spiele, mit denen sich der VfL aus den Tiefen der 2. Liga gerobbt hatte und im Comebackjahr zu einer Attraktion in Liga eins geworden war. Da war viel Leidenschaft auf dem Platz und auf den Tribünen, viel Teamgeist und, je länger das Spiel dauerte, auch die Überzeugung etwas nach vorne bewirken zu können. Gerade auch gegen diese rätselhaft passive Eintracht.
Involviert war immer wieder Förster. Über Grätschen in Halbzeit, diese Körperlichkeit hatten die Fans von ihm auch vermisst, holte er sich das Selbstvertrauen für die Regie nach der Pause, auch wenn ihm längst nicht alles gelang. Aber woher soll das in dieser Situation des Teams auch kommen? In diesem zerfahrenen Duell trat er jede Menge Standards. Viele verpfufften im Revierstadion-Nirwana. Nicht aber eine Ecke in der 71. Minute. Die landete erst auf dem Kopf von Philipp Hofmann - und dann gegen die Laufrichtung von Keeper Kevin Trapp im Tor. Ekstase beim Torschützen. Ekstase beim Anhang. Die Fans besangen ihren VfL, den "geilsten Klub der Welt." Endlich wieder beseelt. Endlich mal wieder nicht in Erwartung, dass sich die Dinge zum Guten weden mögen.
"Wer nicht platt ist, hat es nicht richtig gemacht"
Torschütze Hofmann, das ist auch so ein Typ, mit dem der blauweiße Anhang noch nicht so richtig umzugehen weiß. Der Stürmer kam als erfolgreicher Zweitliga-Torjäger vom Karlsruher SC und sollte ein fußballerisches Upgrade zu Sebastian Polter sein. Der hatte dem VfL in der Saison zuvor viel Energie gegeben und auch noch elf Tore geschenkt. Doch technisch ist er limitiert. Anders als Hofmann.
Doch der Sprung in die höhere Liga gelang dem 29-Jährigen nicht auf Anhieb. Kluge Szenen wechselten sich mit reichlich Pech ab. Nun die Belohnung, nachdem er zuvor in diesem Spiel schon zweimal wieder auf dem Weg zum glücklosen Gesellen gewesen war. Bei all seinem Einsatz. "Heute haben wir den Gegner früh gestresst und schnell die Bälle zurückerobert. Das wollten wir auch", sagte Hofmann, der als erster Mann im Pressing tüchtig ackerte. "Der Trainer hat uns gesagt: Wer nachher nicht platt ist, hat es nicht richtig gemacht." Am Ende waren sie alle platt. "Die Erleichterung ist sehr groß, die letzten Wochen waren nicht einfach. Aber wir haben gezeigt, wir sind doch noch da", sagte Förster, dessen x-ter Freistoß vom Frankfurter Evan Ndicka entscheidend zum 2:0 abgefälscht wurde. Nun soll es weitergehen, nächste Woche beim VfB Stuttgart.
Eintracht-Coach Glasner hart genervt
Der Coach selbst nahm seine ersten drei Bundesliga-Punkte gelassen hin. Zumindest äußerlich. Der 54-Jährige aus der RB-Schule analysierte sachlich die Partie, verteilte Komplimente und gestand Fehler ein. Etwa mit dem schnell korrigierten Abwehrexperiment. "Das (Anmerk. d. Red.: die Viererkette) hilft der Mannschaft am meisten, deswegen werden wir die nächsten Spiele auch so angehen", sagte der Coach. "Die Botschaft an die Mannschaft war heute, dass wir die Zuschauer mitnehmen, dass jeder sieht, dass wir daran glauben, in der Liga bleiben zu können. Und das haben wir heute geschafft. Es war ein klasse Spiel von uns und ein verdienter Sieg." Sein Frankfurter Pendant, Oliver Glasner, haderte dagegen heftig mit seiner Entscheidung, ebenfalls mit einer Vierer- statt wie üblich mit einer Dreierabwehrkette gespielt zu haben. Überhaupt ging der Plan des Österreichers nicht auf, in den anstrengenden Wochen Stammkräfte wie Makoto Hasebe (nicht im Kader) oder Sebastian Rode und Daichi Kamada (Ersatzbank) aus der Mannschaft zu nehmen. Vor allem Linksverteidiger Luca Pellegrini erwischte einen fürchterlichen Tag.
"Meine Aufstellung und meine Umstellung haben nicht funktioniert. Ich bin zu 100 Prozent für diese Niederlage verantwortlich", sagte Glasner sichtlich genervt. Den Bochumern war die schlechte Laune der Gäste fürchterlich egal. Losilla etwa nahm sich seinen Mitspieler Cristian Gamboa zum Vorbild. Der hatte nach einem furiosen Sieg gegen Bayern München in der Vorsaison auf eine Reporter-Frage, wie man so einen Erfolg feiert, geantwortet: "Drei Punkte, drei Bier." Der Kapitän meinte dazu an diesem Samstagnachmittag: "Heute wir haben drei Punkte und drei Tore - das bedeutet auch mehr Bier."
Quelle: ntv.de