Bewährungsprobe für Nagelsmann CL-Harakiri schmeckt FC Bayern überhaupt nicht
07.04.2022, 08:30 Uhr
Die Bayern um Kingsley Coman liefen zu oft hinterher.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zum ersten Mal seit 2017 verliert Bayern München ein Auswärtsspiel in der Champions League. Nach dem 0:1 bei Villarreal ist jedoch noch nichts verloren. Das Team von Julian Nagelsmann hat weiterhin alle Karten in der Hand. Nur eine Aussage von Thomas Müller bietet Anlass zur Sorge.
Manchmal speist sich Zuversicht aus dem Fakt, dass alles viel schlimmer hätte kommen können. Dass alles irgendwie zu beheben ist. So war es auch an dem Abend der ersten Auswärtsniederlage der Bayern in der Champions League seit einem 0:3 bei Paris St. Germain im September 2017. Damals wie gestern hieß der Trainer des Gegners Unai Emery. Der ist nach Wanderjahren in Frankreich und bei Arsenal zurück in der spanischen Liga bei Villarreal, dem gelben Unterseeboot, und zeigte seinem Gegenüber Julian Nagelsmann zumindest für 90 Minuten die taktischen Grenzen auf.
"Am Ende haben wir verdient verloren, wir haben nicht gut gespielt. Am Ende der ersten Halbzeit hatten wir wenig Power im Verteidigen, in der zweiten Hälfte wurde das Spiel wild", sagte Nagelsmann, das früh gegen seine Bayern kippte. Eine schnelle Kombination in der achten Minute hebelte die Abwehr aus. Auf der rechten Seite sah Gerard Moreno seinen Mitspieler Giovani Lo Celso, der Lucas Hernandez enteilt war und von der Grundlinie Spielmacher Dani Parejo bedienen konnte. Der Niederländer Arnaut Danjuam, im letzten Jahr noch Stürmer in der zweiten englischen Liga, preschte in den Ball und lenkte ihn zum 1:0 für Villarreal ins Tor.
Villarreal-Strafraum als neutrale Zone
Wenig ging hingegen für Bayern gegen die von Emery gut auf die Wucht der gegnerischen Angriffsbemühungen eingestellten Spanier. Die beeindruckende Defensivorganisation gab den Bayern zu viele Rätsel auf. Dabei hatte Nagelsmann erstmals seit vier Monaten wieder auf Alphonso Davies zurückgreifen können und wohl auch daher, Serge Gnabry, dessen Form weiterhin Rätsel aufgibt, auf die linke Seite gezogen und Kingsley Coman auf rechts geschickt. Ein Kniff, der nur in den ersten sechs Minuten aufging. Dann hatten sich die Spanier darauf eingestellt und ihr Spiel durchgezogen.
"Sie haben uns nicht hoch angelaufen und unsere Außen freigelassen. Unsere Flanken und Überzahlsituationen auf dem Flügel sind häufig verpufft, wir haben oft auch die falschen Entscheidungen getroffen", sagte Thomas Müller nach dem Spiel über die für ihn "absolut außerplanmäßige Pleite".
In der Tat gab es für Bayern wenig zu holen. Bis zur 66. Minute gelang ihnen nicht einmal ein Schuss aufs Tor. Auf den Außenpositionen kontrollierten Linksverteidiger Pervis Estupiñán und Rechtsverteidiger Juan Foyth das Geschehen gegen Kingsley Coman und Serge Gnabry. Beide waren im Vorfeld als Schwachstellen ausgemacht worden. Eine Fehleinschätzung, zumindest an diesem Abend. Innen neutralisierten Pau Torres und Raúl Albiol die Torgarantie Robert Lewandowski, der vom schwachen Thomas Müller wenig Unterstützung erfuhr. Gerade Albiol ließ dem polnischen Superstar in Reihen der Bayern keine Luft zum Atmen und räumte in der ersten Halbzeit mit einer Monstergrätsche Gnabry regelkonform im Strafraum ab.
Schon andere Spiele gedreht
Beiden Stars der Münchener gelangen im Spiel nur je 29 Ballkontakte und beide gingen unter, gegen die gelben Männer, die ihre Vorstöße schnell organisierten und gerade durch Moreno zu weiteren Treffern hätten kommen können. Einmal krachte ein Schuss gegen den Pfosten, einmal nutzte der zentrale Mann der Spanier einen schockierenden Fehler von Manuel Neuer zu einem Schuss aus 60 Metern. Der Bayern-Torhüter hatte dem da noch 29-Jährigen den Ball im Mittelkreis in die Füße gespielt und sein langer Versuch sich aus dem Tor gedreht. Kein verfrühtes Geburtstagsgeschenk für den Spanier.
In den wilden Minuten zwischen der 55. Minute und 70. Minute waren Nagelsmanns in der Halbzeit vorgenommenen Änderungen beinahe nach hinten losgegangen. "Die Idee war, mehr Ballbesitz zu haben und über die Flügel zu agieren. Sie haben oft mit sechs Spielern in der Verteidigung gestanden, da musst du das Spiel ein paar Mal kippen, um Lücken zu kreieren. Es wurde dann allerdings zu sehr Harakiri, wir hatten zu einfache Ballverlust", sagte er, mit Sicherheit auch auf Neuers Patzer bezugnehmend.
Die Niederlage bei Villarreal ist beileibe noch lange nicht das Ende der Straße für den FC Bayern, die bereits im Achtelfinale bei RB Salzburg mit Ach und Krach ihre nun gerissene Auswärtsserie hatten verteidigen können. Im Rückspiel gegen die Österreicher hatte das Team von Nagelsmann dann nie Zweifel am Weiterkommen aufkommen lassen. Mit 7:1 fegten sie den Gegner aus der Arena. Ähnliches, wenn auch nicht in dieser Höhe, ist dem Rekordmeister auch am kommenden Dienstag zuzutrauen. "Das einzig gute ist, dass wir noch ein Spiel haben", sagte Joshua Kimmich und Müller pflichtete bei: "Wir müssen im Rückspiel zurückschlagen."
Müllers große Sorge
Passiert das jedoch nicht, können die Bayern bereits Mitte April einen Strich unter die Saison ziehen. Im Pokal raus, in der Meisterschaft nie ernsthaft gefährdet und jetzt eben die Champions League. Die ist, wenn die Liga der Pflichtwettbewerb sein sollen, die Kür für den Rekordmeister und auch die Visitenkarte für den deutschen Fußball. Die ist nach den ernüchternden Leistungen der anderen Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund, RB Leipzig und VfL Wolfsburg ohnehin schon zerfleddert, das Image der Bundesliga angekratzt. Ein Aus der Bayern wäre ein weiterer enormer Rückschlag, doch so weit ist es noch lange nicht.
"Ein überragendes Villarreal lässt die Bayern lebend davonkommen", schrieb die spanische Marca nach dem 1:0. Das ist immer ein Fehler. Denn die "Bestia Negra", wie die Bayern in Spanien ehrfurchtsvoll genannt werden, ist jederzeit in der Lage, noch einmal anzugreifen. Ein zweites torloses Spiel in der Champions League gegen den Siebten der spanischen Liga nach 30 Treffern in den acht Spielen zuvor aber, das möchte man sich an der Säbener Straße nicht ausmalen.
"Wir haben gegen keinen übermächtigen Gegner gespielt", sagte Kimmich, aber gegen einen gut organisierten. Das war an diesem Abend genug. Doch die Zuversicht ist immer noch da. Der Aussetzer bei Villarreal ist noch zu beheben. Aber eine Äußerung gab dann doch noch Anlass zur Sorge. "Vielleicht hat die Spritzigkeit auch ein wenig gefehlt", sagte Müller. Die aber wird auch am kommenden Dienstag dringend benötigt. Für Emery und Villarreal, die überhaupt durch ihren sensationellen Sieg in der Europa League gegen Manchester United in die Champions League gelangt waren, ist bayerische Müdigkeit die größte Chance.
Quelle: ntv.de