Dortmund zittert um Königsklasse BVB stolpert am schwarz-gelben Feiertag folgenschwer
07.04.2024, 08:19 Uhr
Auf den Sieg in München folgte für Borussia Dortmund die Ernüchterung im eigenen Stadion.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Für Borussia Dortmund ist im Topspiel gegen den VfB Stuttgart eigentlich alles angerichtet. Doch vor großartiger Kulisse scheitert der BVB an sich selbst und muss nun umso mehr um die Qualifikation für die Champions League zittern. Es droht der GAU zum Saisonabschluss.
Um 17.30 Uhr ist die Welt in Dortmund noch ziemlich in Ordnung. Die Sonne steht steil über dem Westfalenstadion, das in diesen Tagen den 50. Geburtstag feiert. Zwischen Bier und Bratwurst geht der Blick vieler Fans im Dortmunder Süden nicht in den Rückspiegel, sondern auf Rang drei, vielleicht ja sogar zwei. Denn der FC Bayern hat eben sensationell in Heidenheim verloren. Mit einem Sieg gegen den VfB Stuttgart könnte sich der BVB also bis auf einen Punkt ransaugen und hätte plötzlich auch den FC Bayern direkt im Blick.
Doch Fußball ist ein schnelllebiger Sport. Und so ist um 20.32 Uhr und nach dem 0:1 gegen den VfB Stuttgart die schwarz-gelbe Welt schon wieder gewaltig in Unordnung geraten. Die Gefühlspole liegen nah beieinander. An diesem Abend nur rund 100 Meter. Während die VfB-Spieler sich von ihrem Auswärtsanhang und den nun sicheren Europapokaleinzug (Der Abstand auf Rang sieben beträgt 24 Punkte, auf Rang sechs 18 Punkte) feiern lassen, trotten die BVB-Spieler langsam Richtung Südtribüne, um sich eine Art "Sie waren bemüht und haben gekämpft"-Applaus abzuholen.
Dortmund ist eine Fußballstadt: Die Laune der Stadt steigt und fällt auch mit den Leistungen des BVB. Schon vor Anpfiff war klar, dass das Topspiel zwischen dem Dritten und Vierten ein besonderes wird. Auf dem Weg zum Stadion ist gefühlt jede Laterne, Poller oder andere Fläche mit "50 Jahre Westfalenstadion"-Stickern versehen. Das Topspiel zwischen dem Dritten und Vierten - es sollte ein besonderes Spiel werden.
Ernüchterung vertreibt die Feierlaune
Die Anhänger bereiteten dem Jubiläum einen würdigen Rahmen: Zum Anpfiff zeigten die BVB-Fans eine gold-schwarz-gelbe Choreo über das gesamte Stadion und erinnerten damit an große Momente des Fußballtempels. An diesen mangelt es bekanntlich nicht. Schon oft glühte in dem größten Stadion Deutschlands die Fußballeuphorie auf und sprang von den Rängen auf den Rasen (Hallo Malaga, hallo Real, hallo Deportivo la Coruna …). Das Stadion war definitiv bereit für ein neues Kapitel Westfalenstadion-Wahnsinn. Es kam ernüchternd anders.
Dabei begann der Abend vielversprechend. Im Vergleich zu den beiden vorangegangen Duellen gegen den VfB Stuttgart (0:2 im Pokal und 1:2 in der Liga) preschte das Team von Edin Terzić diesmal deutlich offensiver voran. Fast so, als wollten die Spieler die Worte ihres Trainers sofort in die Tat umsetzen. Nach dem ersten Sieg in München seit zehn Jahren hatte Terzić weitere Gier im Saisonendspurt gefordert.
Mit langen Bällen und vor allem über den pfeilschnellen Karim Adeyemi setzten die Hausherren erste Stiche gegen eine neuformierte Defensive des VfB. Kapitän und Abwehrboss Waldemar Anton fehlte gelbgesperrt. VfB-Trainer Sebastian Hoeneß stellte als Ersatz Mittelfeldabräumer Angelo Stiller in die Zentrale.
Terzić lobt die Atmosphäre
Durch Fernschüsse von Emre Can und Marcel Sabitzer näherte sich der BVB dem Tor. Doch die Fünferkette der Schwaben stand meist stabil. Die größte Chance zur Führung ließ Adeyemi (31.) liegen. Der Youngster scheiterte am glänzend aufgelegten VfB-Keeper Alexander Nübel, der nach dem dicken Patzer in der Vorwoche gegen Heidenheim keinerlei Unsicherheiten zeigte. Als Ex-Schalker genoss er den Auswärtserfolg umso mehr, verriet er nach dem Spiel.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit brannten dann unzählige Geburtstags-Bengalos auf der Südtribüne und plötzlich schaltete auch das Spiel ein, zwei Gänge hoch. Vor allem aber im Hinblick auf Intensität und weniger bei der technischen Finesse. Beide Klubs lauerte auf den ersten schwerwiegenden Fehler des Gegners. Der unterlief dann Can, als in der 64. Minute den Ball im Mittelfeld verlor. Jamie Leweling rannte auf der rechten Seite allen davon und bediente Guirassy, der die Flanke eiskalte verwandelte und Saisontreffer 24 erzielte.
Sofort war das Heim-Publikum zur Stelle. Trotz des Rückstandes stieg die Dezibel-Zahl weiter an. "Die Atmosphäre war überragend und das ganze Stadion hat uns nach vorne gepusht", sagte Terzić nach der Partie. "Sie haben gespürt, dass wir viel investiert haben, und sie haben es mit einer unglaublichen Unterstützung von den Rängen belohnt. Wenn wir so weiter auftreten, werden wir noch viele Punkte holen in dieser Saison."
Schlotterbeck schimpft im Sky-Interview
Gegen den VfB aber misslang dies. Der BVB prallte oft an der Fünferkette des VfB ab und wenn er durchkam, dann fehlten Klarheit und Abschlussgenauigkeit. Am Einsatz jedenfalls lag es nicht. Der BVB spielte kämpferisch, warf auch in der Endphase alles nach vorne, suchte aber vergeblich einen erfolgreichen Abnehmer.
Am Ende ging Terzić all in, schickte mit Youssoufa Moukoko, Marco Reus und Sébastien Haller noch sämtliche Offensivspieler ins Rennen. Doch auch dieses Dreigestirn vermochte an diesem Abend den Ball nicht mehr gefährlich auf den Kasten von Nübel zu bringen. Moukoko und Haller vergaben die letzten BVB-Möglichkeiten in der Nachspielzeit. Zuvor hatte schon Nico Schlotterbeck die größte Dortmunder Chance zum Ausgleich auf dem Fuß. Nach einer Kopfballverlängerung von Felix Nmecha säbelte er den Ball aus wenigen Metern über das Tor und sorgte damit für einen kollektiven Aufschrei.
Der Fehlschuss war sinnbildlich für die Vorstellung der Gastgeber, die bemüht waren, Chancen herausspielten, im Abschluss aber kläglich versagten. Im Sky-Interview nach dem Spiel war Schlotterbeck noch deutlich angefressen. "Es ist eine blöde Frage. Warum? Vielleicht haben sie noch nie Fußball gespielt. Ich muss den machen, das weiß ich. Aber da eine Wieso-Frage zu stellen, ist schwer", antwortete er auf die vergebene Chance angesprochen. "Ich weiß selber, dass ich den machen muss, aber so ist es nun mal. So ist der Fußball. Es ist ein Fehlerspiel und in dieser Situation habe ich den Fehler begangen."
Kehl lobt die Effektivität - allerdings die der Stuttgarter
So verpasste der BVB die große Chance, im Jubiläumsspiel einen Big Point im Kampf um Platz drei und die Champions-League-Plätze zu landen. Stattdessen crashte der VfB die Stadion-Party und drückte die Dortmunder zurück auf Rang fünf, der nur unter Umständen für die Königsklasse reicht. Der Dortmunder Höhenflug mit fünf wettbewerbsübergreifenden Siegen in Folge und dem historischen Coup in München ist nun schon wieder gestoppt. Nach Abpfiff legte sich etwas Ernüchterung übers Stadion wie zuvor die Ausläufer des Sahara-Staubs, der die frühsommerliche Sonne verdeckt hatte.
Dem BVB droht ausgerechnet im Jahr der CL-Reform (mehr Spiele, mehr Geld) das Königsklassen-K.o., der sich stark auf die Einnahmen auswirken würde. Auch BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl zeigte sich mit dem Ergebnis "sehr enttäuscht". "Die Fans hätten mehr verdient gehabt." Mindestens ein Punkt sei drin gewesen, betonte Kehl, der auch die klaren Möglichkeiten seines Teams benannte. "Am Ende war der VfB heute sehr effektiv. Der Ball wollte heute irgendwie nicht rein."
"Nach dem Sieg in München hatten wir eine Menge Lust, dieses Spiel zu gewinnen und unsere Situation zu verbessern", so Kehl. "Wir stehen jetzt auf Platz fünf, trotzdem wissen wir, dass in dieser Saison noch alles drin ist. Unser Ziel ist es, bis zum letzten Tag um die Champions League zu kämpfen, das war es schon vor dem Spiel und nicht Rang drei. Wir wollen in die Champions League."
Zweikampf mit Leipzig um den letzten CL-Platz
Auch Kapitän Emre Can sprach von einem "herben Rückschlag". Aber: "Es ist noch nichts durch. Wir haben noch sechs Spiele und werden es hoffentlich machen." Wobei für den BVB auch der direkte Weg noch möglich ist. Der Sieger der Champions League darf schließlich auch in der Saison darauf wieder in der Königsklasse mitspielen. Im Viertelfinale trifft der BVB schon am Mittwochabend auf Atlético Madrid (21 Uhr/Sky und im Liveticker bei ntv.de).
Der Blick nach vorne fiel Kehl allerdings noch schwer. "Atlético habe ich jetzt noch nicht im Kopf. Wir haben heute viele Dinge richtig gut gemacht, leider hat das Tor gefehlt, das wollen wir dann am Mittwoch machen."
Und in der Liga sieht alles nach einem engen Zweikampf mit Leipzig aus. Nach deren 4:1 gegen Freiburg stehen beide Teams bei 53 Zählern. Wegen des schlechteren Torverhältnisses liegt Dortmund auf Rang fünf. Neben Leverkusen wartet Ende April das direkte Duell gegen Leipzig. Es könnte für den BVB das wichtigste Duell der Saison werden. Dann allerdings nicht im Fußball-Tempel Westfalenstadion.
Quelle: ntv.de