Das 15-Millionen-Missverständnis Chelsea feuert "Mini-Mou"
05.03.2012, 12:23 Uhr
Teuer, aber erfolglos: Andre Villas-Boas scheiterte beim FC Chelsea an seiner Unerfahrenheit und renitenten Spielern.
(Foto: REUTERS)
Eine neue Ära sollte André Villas-Boas beim FC Chelsea einleiten, die Ablöse für den Jungtrainer war so exorbitant wie die Erwartungen. Nach Misserfolgen in allen Wettbewerben und einer Meuterei der Chelsea-Stars endet die Ära Villas-Boas nach nicht einmal neun Monaten. Sein Nachfolger könnte der Mann werden, als dessen Wiedergänger er eigentlich verpflichtet wurde.
Das 0:1 bei West Bromwich Albion war dann doch zu viel, fand der FC Chelsea. Zu viel, um weiter an einem Trainer festzuhalten, für dessen Weiterbeschäftigung seit Wochen nur noch eines gesprochen hatte: die exorbitante Summe, die der FC Chelsea im Sommer an den FC Porto überwiesen hatte, um André Villas-Boas überhaupt als Trainer beschäftigen dürfen. Für 15 Millionen Euro hatte Chelsea den Portugiesen im Sommer 2011 verpflichtet. Empfohlen hatte sich Villas-Boas mit einer perfekten Saison beim FC Porto, die in Triumphen in Meisterschaft, Pokal, Supercup und Europa League gipfelte. Und das alles mit erst 34 Jahren und in seiner ersten Saison als Porto-Coach.
Villas-Boas war der absolute Wunschtrainer von Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch. Er sollte eine Erfolgsära begründen wie zuletzt sein Landsmann Jose Mourinho, als dessen Trainer-Wiedergänger er gern beschrieben wurde. Doch "Mini-Mou" blieb nicht einmal neun Monate, er wird in der Chelsea-Historie nur eine sündhaft teure Randnotiz bleiben: der siebte Coach, den Abramowitsch seit 2003 verschlissen hat.
"RIP AVB"

Taktisch schaffte es Villas-Boas nicht, dem FC Chelsea eine Handschrift zu verpassen. Sportlich lief es mittelmäßig.
(Foto: AP)
"RIP AVB", hatte das Krawallblatt "Sun" bereits getitelt, als der Rauswurf von Villas-Boas noch gar nicht vollzogen war. Am Sonntagabend war die Chelsea-Zeit des Trainers dann abgelaufen. Der Verein begründete die Trennung nüchtern: "Unglücklicherweise sind die Resultate und die Leistungen des Teams nicht gut genug gewesen und zeigten keine Zeichen von Verbesserung in diesem Schlüsselmoment der Saison."
Für Verbesserung wäre viel Raum gewesen. Die sportliche Bilanz des 34-Jährigen nach acht Monaten im Amt ist bescheiden. Im FA-Cup muss Chelsea am Dienstag gegen Zweitligist Birmingham City einen zweiten Anlauf nehmen, um nach einem blamablen 1:1 im eigenen Stadion das Viertelfinale zu erreichen. In der Liga liegt Chelsea auf Rang fünf und damit außerhalb der Qualifikationsplätze für die Champions League, die Villas-Boas am besten schon in diesem Jahr hätte gewinnen sollen. Dass der bisherige Co-Trainer und nun zum Interimscoach bis Saisonende beförderte Roberto di Matteo das schafft, ist unwahrscheinlich: Das Achtelfinal-Hinspiel beim SSC Neapel hat Chelsea 1:3 verloren.
Meuterei der Altstars
Villas-Boas, der unter Mourinho bereits von 2004 bis 2007 als Assistenztrainer in London gearbeitet hatte, sollte bei Chelsea umsetzen, woran zuletzt der zweimalige Champions-League-Sieger Carlos Ancelotti gescheitert war: einen Umbruch vollziehen, die Mannschaft verjüngen. Und Klubboss Roman Abramowitsch endlich erlösen, mit dem Triumph in der Königsklasse.
2000 - 2004 : Claudio Ranieri
2004 - 2007 : Jose Mourinho
2007 - 2008 : Avram Grant
2008 - 2009 : Luiz Felipe Scolari
2009 : Guus Hiddink
2009 - 2011 : Carlo Ancelotti
2011 - 2012 : Andre Villas-Boas
2012 : Roberto di Matteo (Interim)
Bis zuletzt wiederholte Villas-Boas gebetsmühlenartig, die Rückendeckung von Abramowitsch für das "gemeinsame Drei-Jahres-Projekt" zu haben. Die Rückendeckung der alternden Chelsea-Stars um Frank Lampard und Didier Drogba konnte der junge Portugiese nie verlieren, er hatte sie nie. Erst kürzlich meuterte Lampard offen, als er sein Verhältnis zu Villas-Boas öffentlich als "nicht ideal" beschrieb. Lampard, mit 33 Jahren nur unwesentlich jünger als der Portugiese und eine Klub-Legende, war unter Villas-Boas nicht immer erste Wahl. Eine Sanktion des Vereins, ein Machtwort von Abramowitsch blieb aus.
Die nächste "Peinlichkeit"
Gemunkelt wurde ohnehin, dass manche Spieler von Villas-Boas nicht deshalb aufgestellt wurden, weil er restlos von ihnen überzeugt war, sondern weil er Ärger vermeiden sollte. Geholfen hat es ihm nicht. In England wurde die Entlassung des Portugiesen harsch kritisiert. Richard Bevan, Vorsitzender der League Managers Association (LMA), stellte dem Abramowitsch-Klub in der BBC ein vernichtendes Zeugnis aus: "Was sicher ist: Trotz unbegrenzter Reichtümer haben sie immer noch nicht verstanden, wie man einen erfolgreichen Fußballverein aufbaut." Dass der Verein nun nach dem achten Manager in neun Jahren sucht, sei eine große "Peinlichkeit".
Als Fan-Favorit auf die Nachfolge von Villas-Boas gilt ausgerechnet jener Mann, dessen Thronfolger er eigentlich werden sollte: Jose Mourinho, mit sechs Titeln erfolgreichster Trainer der Chelsea-Geschichte und derzeit bei Spaniens Tabellenführer Real Madrid unglücklich, sucht derzeit ein Haus in der englischen Hauptstadt. Chelsea-Trainer will er laut eigener Aussage aber nicht werden: "Ich bin dort Vergangenheit und alle sollten jetzt gemeinsam für den Erfolg kämpfen." Reine Koketterie? Zumindest hält selbst der gescheiterte Villas-Boas seinen Landsmann für den perfekten Trainer der "Blues": "Denn jeder Trainer bei Chelsea muss mit seinem Schatten leben."
Als weitere Aspiranten gelten Ex-Liverpool-Coach Rafael Benitez und Josep Guardiola vom FC Barcelona. Laut "Mail on Sunday" ist Guardiola der Wunschtrainer von Abramowitsch. Der neue Wunschtrainer.
Quelle: ntv.de