Und Bela Guttmann lacht im Grab Chelseas Champions lassen Benfica leiden
16.05.2013, 05:07 Uhr
Ein Treffer in letzter Minute brachte Chelsea den Sieg.
(Foto: REUTERS)
Während der FC Chelsea nun auch die Europaliga gewinnt und immer unbeliebter wird, müssen die Fußballer von Benfica Lissabon damit leben, endgültig als das unglücklichste Team des Kontinents zu gelten. Wie bitter. Doch auch beim Sieger gibt es einen Verlierer.
Sie haben es geahnt. Ach was, sie wussten es. Sie haben das Déjà-vu in diesem Endspiel der Fußball-Europaliga mit der Kraft ihrer Stimmen erzwungen. Amsterdam, Mittwoch, 15. Mai 2013, 22.34 Uhr, elf Grad, leichter Wind - und die letzte Ecke sitzt. Bevor Chelseas Juan Mata sich anschickt, den Ball in Benficas Strafraum zu befördern, brechen die Fans der Blues hinter dem Tor in Jubel aus, der einem Torschrei gleicht. Sie erinnern sich an München, an das Finale der Champions League gegen den FC Bayern vor einem Jahr. Auch damals war ihre Mannschaft schlechter, auch damals gab es in letzter Minute einen Eckball. Und Didier Drogba erzielte das 1:1, am Ende siegte der FC Chelsea im Elfmeterschießen. Die Geschichte hat sich wiederholt.
Juan Mata trat den Ball so, dass er genau auf den Kopf des serbischen Innenverteidigers Branislav Ivanovic flog - und von dort aus in hohem Bogen über Lissabons Keeper Artur ins Tor zum 2:1 für den FC Chelsea. Nachdem Fernando Torres die Londoner nach einer knappen Stunde mit einem feinen Alleingang in Führung und Oscar Cardoso per Handelfmeter nach 68 Minuten ausgeglichen hatte, hätte das Ganze vor 46.163 Zuschauern in der Amsterdamer Arena noch in die Verlängerung gehen können - wenn eben jener Cardoso Sekunden vor dem Abpfiff seine größte Chance in dieser Partie genutzt hätte. Hat er aber nicht. Auch deshalb ist der FC Chelsea nun Gewinner der Europaliga und hat gleichzeitig wieder viel dafür getan, mit seiner uninspirierten, aber eben erfolgreichen Interpretation des Fußballspiels den Ruf als unbeliebteste Mannschaft des Kontinents zu festigen.
"Wir wissen, was wir sind - die Champions Europas!"
Den Fans war das naturgemäß herzlich egal, ist ihr Lieblingsverein doch nun bis zum Finale der Königsklasse zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund am 25. Mai im Londoner Wembleystadion im Besitz der beiden großen europäischen Titel. Und so schwenkten sie ihre blau-weiß karierten Fähnchen und sangen: "We know, what we are - Champions of Europe!" Stimmt ja jetzt doppelt. Und für zwei sogar vierfach. Die Spanier Fernando Torres und Juan Mata sind die einzigen aktiven Spieler auf diesem Planeten, die von sich behaupten können, amtierender Weltmeister, Europameister, Champions-League-Gewinner und Europaligasieger zu sein.
Die unglücklichste Mannschaft Europas aber ist endgültig Lissabon. Eine Erkenntnis so demütigend wie das Etikett "Meister der Herzen". Seit 1963 stand Benfica sieben Mal in einem europäischen Finale. Und hat alle sieben Endspiele verloren. Auch wenn niemand mehr weiß, ob er das wirklich gesagt hat - der Fluch des 1981 gestorbenen Bela Guttman hat auch in Amsterdam seine Kraft nicht verloren. Der ungarische Trainer hatte die Portugiesen 1961 und 1962 zum Sieg im Europapokal der Landesmeister geführt, dem Vorgänger der Champions League. Nach dem zweiten Triumph forderte er mehr Geld. Und wurde entlassen. Verabschiedet hat er sich der Überlieferung zufolge mit der Prophezeiung, Benfica werde in den kommenden 100 Jahren keinen Titel mehr in Europa gewinnen. Wer die Spieler nach der Partie auf dem Rasen stehen sah, jeder für sich allein, sprachlos um Fassung ringend, der ahnt, dass das die nächsten 49 Jahre so weiter geht.
Dabei war Benfica, und diesen Eindruck hatte Trainer Jorge Jesus nicht exklusiv, in diesem nett anzusehenden Finale die bestimmende Mannschaft. Enzo Perez führte, assistiert von Nemanja Matić, im Mittelfeld Regie. Nicolás Gaitán sorgte auf der linken Seite für Wirbel und besagter Oskar Cardozo zeigte, dass ein Stoßstürmer auch mit dem Ball umgehen kann und zu schnellem Kurzpassspiel fähig ist. Nur mit dem Abschluss hatten sie es nicht so - als gäbe es in Portugal eine Regel, dass erst fünf Spieler der eigenen Mannschaft den Ball im gegnerischen Strafraum berühren müssen, bevor einer ihn ins Tor schießen darf.
Im Grunde würde Rafael Benitez gut zu Benfica passen
Jesus jedenfalls, der während der 93 Minuten wie das HB-Männchen durch seine Coachingzone gesteppt war, lobte hinterher seine Spieler, die Anhänger - und nicht zuletzt sich selbst. Nicht nur, weil er eine Stimme hat, wie Paolo Conte, hörte sich das dann doch ein wenig besser an, als es in Wirklichkeit war. „Benfica hat der ganzen Welt gezeigt, dass es hätte gewinnen müssen. Die Niederlage schmerzt mich sehr wegen unserer Fans, die besser waren als die von Chelsea.“ Der große niederländische Spieler und Trainer Johann Cruyff - "Ich habe viel von ihm gelernt" - habe ihm bei der Siegerehrung auf der Tribüne gratuliert. "Er hat gesagt, dass Benfica großen Fußball gezeigt hat, Fußball, wie er ihn mag", berichtete Jesus fast ehrfürchtig. Aber was heißt das schon, wenn am Ende nur zählt, wer wie viele Tore schießt?
Wer nun allerdings erwartet hatte, mit Rafael Benitez einen strahlenden Siegertrainer zu erleben, hatte sich getäuscht. Zu tief sitzt der Stachel der Enttäuschung, dass er seit November vergangenen Jahres nie mehr als ein Platzhalter war. Im Sommer geht er weg. Für ihn kommt, das gilt als ausgemachte Sache, José Mourinho von Real Madrid zurück zum FC Chelsea. Dass er nur schwer damit leben kann, nie eine echte Chance gehabt zu haben, deutete Benitez nach der Partie an. Es sei traurig, das zu sagen. "Aber wenn du sechs Monate hart arbeitest und es dann keine Rolle spielt, ob du das Finale gewinnst oder verlierst, ist das bitter." Den Pokal hatte Benitez zwar wie alle anderen in die Höhe gestemmt und dabei sogar gelächelt. Als jedoch die Spieler vor die Kurve zur Anhängerschaft zogen, hielt er sich zurück und trottete hinterher. Nur dabei statt mittendrin.
Die Hände in den Taschen seiner schwarzen Anzughose stand er auf dem Rasen wie einer, der lieber im Hinterzimmer sein Bier trinken würde als zusehen zu müssen, wie die anderen feiern. Und er kehrte jenen Fans den Rücken, die ihn bei seinem Amtsantritt als "fetten spanischen Kellner" verhöhnt hatten. Als er hinterher gefragt wurde, ob er denn nach diesem Sieg nun glücklich sei, sagte er nur: "Ich vermute, dass heute alle glücklich sind. Also bin ich es auch." Im Grunde genommen würde Rafael Benitez gut zu Benfica passen. Ein Trainer, der weiß wie es ist, Titel zu gewinnen. Und einer, der sich mit Enttäuschungen nur allzu gut auskennt.
Quelle: ntv.de